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30.05.2022 14:22

Gut oder schlecht? - Nervenzellen in höheren Zentren des Fliegenhirns sind bei der Beurteilung von Düften entscheidend

Angela Overmeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Im lateralen Horn des Gehirns von Essigfliegen erfolgt die Bewertung einzelner Düfte und die Steuerung des daraus resultierenden Verhaltens. Dies berichtet ein Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in der Zeitschrift eLife. Höhere Hirnregionen sind somit in der Lage, Duftinformationen aus der Umgebung zu filtern und die Außenwelt der Fliege in unterschiedliche neuronale Aktivitäten im Gehirn umzuwandeln. Das daraus resultierende Verhalten sichert Überleben und Fortpflanzung der Fliege

    Im lateralen Horn des Gehirns von Essigfliegen, einer höheren Hirnregion, verarbeiten bestimmte Nervenzellen Geruchsinformationen und ermöglichen so Verhaltensentscheidungen, die auf der Bewertung dieser Düfte beruhen. Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie hat eine Untergruppe dieser Nervenzellen, die glutamatergen Neuronen, genauer unter die Lupe genommen und untersucht, wie unterschiedliche Gerüche in diesen Neuronen verarbeitet werden und wie die Stärke der Neuronenaktivität wiederum das Verhalten der Fliegen bestimmt. Höhere Hirnregionen sind somit in der Lage, Duftinformationen aus der Umgebung zu filtern und die Außenwelt der Fliege in unterschiedliche neuronale Aktivitäten im Gehirn umzuwandeln. Das daraus resultierende Verhalten sichert Überleben und Fortpflanzung der Fliege (eLife, doi: 10.7554/eLife.74637).

    Taufliegen sind wie alle anderen Insekten auf ihren äußerst feinen Geruchssinn angewiesen. Sie spüren Düfte auf, die sie zu ihrer Nahrung oder zu ihren Paarungspartnern führen. Für Insektenweibchen ist die Wahl der richtigen Stelle für die Ablage ihrer Eier entscheidend für das Überleben ihrer Larven. Auch dabei verlassen sie sich auf den richtigen Duft, der beispielsweise signalisiert, dass reichlich Futter für den Nachwuchs vorhanden ist, oder aber dass keine Räuber in der Nähe sind, die den Larven schaden können. Es gibt schließlich auch Düfte, die sie meiden, wie den Duft von Fressfeinden, Nahrungskonkurrenten oder verdorbener Nahrung. Daher ist es nicht nur wichtig, Düfte zu erkennen und aufzuspüren, sondern auch zu bewerten, ob der Duft gut oder schlecht ist. Diese Beurteilung ist entscheidend für das Überleben in der Natur und den Fortbestand der Art, denn auf ihr basiert letztlich das Verhalten der Fliegen.

    Ein Forschungsteam um Sudeshna Das Chakraborty und Silke Sachse von der Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung widmet sich der Frage, wie die Nervenzellen im Riechhirn der Fliegen Geruchsinformationen verarbeiten, um geruchsgesteuerte Verhaltensentscheidungen zu ermöglichen. Zahlreiche Studien haben bereits die Aktivität von Neuronen bei der Wahrnehmung von Gerüchen im Fliegenhirn am Modellorganismus Drosophila melanogaster visualisiert und ausgewertet. Sie konzentrierten sich allerdings überwiegend auf das Verständnis der Geruchskodierung auf der Ebene des Antennallobus, des primären Geruchszentrums von Insekten. Während bei der olfaktorischen Kodierung im Antennallobus große Fortschritte erzielt werden konnten, sind die Kodierungsstrategien und Verarbeitungsmechanismen höherer Hirnzentren wie dem Lateralen Horn immer noch weitgehend ungeklärt. Das laterale Horn ist jedoch eines der wichtigsten Zentren für die Geruchsverarbeitung im Insektenhirn, da es in erster Linie angeborene, aber überlebenswichtige Verhaltensreaktionen koordiniert.

    „In dieser Studie haben wir untersucht, wie Neuronen höherer Gehirnzentren Geruchsinformationen auslesen, verarbeiten und bewerten. Genauer gesagt wollten wir herausfinden, wie eine Untergruppe von Neuronen im lateralen Horn, nämlich die glutamatergen Neuronen, Gerüche identifizieren und bewerten, und somit die Informationen aus dem primären Riechhirn einer Feinabstimmung unterziehen", erklärt die Erstautorin Sudeshna Das Chakraborty.

    Dafür nutzten die Forschenden 14 unterschiedliche, für Essigfliegen ökologisch relevante Düfte, die auf die Fliegen eine abstoßende oder besonders anziehende Wirkung haben. Beispielsweise wirkt Isoamylacetat, ein für sehr reife Bananen typischer Duftstoff, besonders anziehend auf Essigfliegen, während Geosmin, ein von bestimmten Bakterien und Pilzen gebildeter Stoff, der den Fliegen Fäulnis signalisiert, abstoßend ist und bei den Fliegen einen regelrechten Fluchtreflex auslöst. Mit Hilfe verschiedener bildgebender Verfahren konnte gezeigt werden, welche Neuronen im lateralen Horn jeweils wie stark durch die unterschiedlichen Düfte aktiviert wurden.

    Da das laterale Horn keine klare strukturelle Organisation aufweist, teilten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses Hirnareal mit Hilfe eines Rasters in mehrere kleinere Regionen auf und verglichen die Reaktionsmuster auf verschiedenen Düfte in den einzelnen Rastern. „Mit diesem Ansatz konnten wir genau nachvollziehen, wie jeder Duft ein bestimmtes visuelles Aktivierungsmuster hervorruft und wie wir attraktive von unangenehmen Düften in Bezug auf ihre Repräsentation im lateralen Horn unterscheiden können“, sagt Sudeshna Das Chakraborty.

    Neuronen in höheren Gehirnzentren halten die Identität eines Geruchsreizes fest, indem sie ein geruchsspezifisches Aktivitätsmuster bilden, das mit bildgebenden Verfahren visualisiert werden kann. Sie kodieren die Wertigkeit des Geruchs, indem sie die Informationen aus mehreren Geruchskanälen integrieren. „Wir gehen davon aus, dass die Repräsentation dieser Reizmerkmale im lateralen Horn die Fliege in die Lage versetzt, schneller, genauer und sinnvoller auf einen Duft zu reagieren. Damit stellt die Fliege ihr eigenes Überleben und den Fortbestand ihrer Art in der natürlichen Umgebung sicher. Dieselben neuronalen Mechanismen könnten auch bei anderen Tieren solche Entscheidungsprozesse und angeborene Verhaltensreaktionen steuern“, fasst Silke Sachse die Ergebnisse der Studie zusammen.

    Weitere Untersuchungen sollen sich nun darauf konzentrieren, die den Geruchssinn betreffenden neuronalen Schaltkreise bis hin zu den motorischen Zentren zu ergänzen, in denen das Verhalten schließlich ausgeführt wird. Das Ziel der Forschung ist es, die gesamte Kette von Ereignissen, vom Aufspüren eines Dufts mit den Antennen bis hin zum Verhalten, im Gehirn der Fliegen zu entschlüsseln.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Sudeshna Das Chakraborty, PhD, Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, E-Mail sdas@ice.mpg.de

    Dr. Silke Sachse, Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Tel. +49 3641 57-1405, E-Mail ssachse@ice.mpg.de


    Originalpublikation:

    Das Chakraborty, S., Chang, H., Hansson, B. S., Sachse, S. (2022). Higher-order olfactory neurons in the lateral horn support odor valence and odor identity coding in Drosophila. eLife. doi: 10.7554/eLife.74637
    https://doi.org/10.7554/eLife.74637


    Weitere Informationen:

    https://www.ice.mpg.de/240644/olfactory-coding Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung


    Bilder

    Essigfliege Drosophila melanogaster auf einem Pfirsichstück.
    Essigfliege Drosophila melanogaster auf einem Pfirsichstück.
    Benjamin Fabian
    Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Schematische Darstellung der Geruchsrepräsentation und –bewertung im Lateralen Horn
    Schematische Darstellung der Geruchsrepräsentation und –bewertung im Lateralen Horn
    Sudeshna Das Chakraborty
    Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Essigfliege Drosophila melanogaster auf einem Pfirsichstück.


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    Schematische Darstellung der Geruchsrepräsentation und –bewertung im Lateralen Horn


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