Berlin - Nahezu jeder Bundesbürger hat ein Handy. Es wird immer wieder diskutiert, ob die elektromagnetische Hochfrequenzstrahlung Risiken birgt. Die größte Sorge besteht hinsichtlich Hirntumoren. Nach aktueller Studienlage ist davon auszugehen, dass die Handynutzung das Hirntumorrisiko nicht erhöht. Auch die nun publizierte Follow-up-Analyse der prospektiven, seit über 20 Jahren laufenden „UK Million Women Study“ [1] konnte keinen Anhalt für ein höheres Hirntumorrisiko durch Handystrahlung liefern.
Die kabellose Kommunikation über Mobiltelefone geht mit einer Emission von elektromagnetischen Feldern („radiofrequency electromagnetic fields“/RF-EMF) einher. RF-EMF gab es im Alltag bereits vor dem Mobilfunk durch Radio und Fernsehen; dies sind jedoch keine Geräte, die in Kopfnähe verwendet wurden. Die ausgesendete elektromagnetische Strahlung liegt im hochfrequenten Spektrum zwischen FM-Radiowellen und Mikrowellen; sie ist wie auch sichtbares Licht und Wärmestrahlung nicht-ionisierend – im Gegensatz zu ionisierenden Strahlen wie UV-, Röntgen-, und γ-Strahlung. Die Energie der Handy-Strahlung reicht nicht aus, um die DNA in den Zellkernen direkt zu schädigen und somit Krebs auszulösen. Hohe Dosen von RF-Wellen können jedoch Zellen und Gewebe erwärmen; dabei gilt: je niedriger die Frequenz, desto tiefer dringen die Strahlen ein. Innerhalb der vorgeschriebenen Grenzwerte reicht die Energie von Mobiltelefonen aber nicht aus, um beispielsweise die Körpertemperatur zu erhöhen. Lange Zeit wurde diskutiert, dass es auch unterhalb dieser Grenzwerte biologische Nebenwirkungen von Mobiltelefon-Nutzung geben könnte, möglicherweise durch andere Mechanismen als die Wärmeabgabe. Viele Studien untersuchten die Assoziation zwischen Handynutzung und Hirntumoren – nach der aktuellen Evidenz erhöht eine normale Nutzung von Mobiltelefonen das Hirntumorrisiko nicht [2].
Ein Update der „UK Million Women Study“ [1] berichtet nun über die Follow-up-Phase (ab 2013) zur möglichen Assoziation zwischen Mobiltelefon-Nutzung und Hirntumoren. Die großangelegte, prospektive Studie begann 1996 in England und Schottland mit der Rekrutierung jeder vierten, zwischen 1935-1950 geborenen Frau in UK an 66 Brustkrebs-Screeningzentren des NHS (National Health Service). Primär sollte die Assoziation von Brustkrebsrisiko und menopausalen Hormontherapien evaluiert werden – sowie anderer potenziell modifizierbarer Faktoren, die die Gesundheit von Frauen im späteren Leben beeinträchtigen könnten. Bis 2001 wurden 1,3 Millionen Frauen in die Studie eingeschlossen. Im Jahr 2001 wurden erstmals Fragen zur Nutzung von Mobiltelefonen gestellt, dann wieder 2011.
Von 776.156 Frauen, die 2001 den Fragebogen vollständig beantwortet hatten, erkrankten im Follow-up über 14 Jahre 3.268 an einem Hirntumor. Das adjustierte relative Risiko bei Handy-Nutzung („ever“) versus keine Handynutzung („never“) betrug für alle Arten von Hirntumoren 0,97; für Gliome 0,89 und für Meningeome, Hypophysentumoren und Akustikusneurinome jeweils 1,0. Daher besteht kein erhöhtes Hirntumorrisiko bei Handynutzung. Verglichen mit Teilnehmerinnen, die angaben, nie Mobiltelefone zu nutzen, gab es auch keine statistisch signifikanten Assoziationen für Hirntumoren bzw. Tumor-Subtypen bei den Untergruppen mit „täglichem Gebrauch des Mobiltelefons“ oder mit „Gebrauch des Mobiltelefons seit mindestens zehn Jahren“. Wenn man die Handy-Nutzung von 2011 zugrunde legt, gab es gegenüber „Nie-Nutzerinnen“ auch keine statistisch signifikanten Assoziationen bei Teilnehmerinnen, die „mindestens eine Minute pro Woche“ oder „mindestens 20 Minuten pro Woche mobil telefonierten“ oder „seit mindestens zehn Jahren ein Mobiltelefon nutzten“: Für alle Gruppen lag das relative Risiko für Gliome in den Gehirnbereichen, die potenziell der stärksten Handystrahlung ausgesetzt sind (Temporal- oder Parietallappen), ungefähr bei 1,0. Auch kommt hinzu: Die Strahlungsemission hat mit immer neueren Handy-Generationen deutlich abgenommen, so dass man heute bei exzessiver Nutzung wahrscheinlich der gleichen Menge an RF-EMF-Exposition ausgesetzt ist wie bei moderater Nutzung von Mobiltelefonen der ersten Generation.
„Auch wenn in dieser Studie ausschließlich Daten zu Frauen erhoben wurden, unterstützen die Ergebnisse die zunehmende Evidenz, dass eine Mobiltelefon-Nutzung unter den üblichen Bedingungen Risiko und Inzidenz für Hirntumoren nicht erhöht“, kommentiert Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, der Pressesprecher der DGN. „Eine weitere seit über 10 Jahren laufende internationale prospektive Kohortenstudie [6] zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunk-Nutzung bei beiden Geschlechtern könnte demnächst weitere Erkenntnisse bringen“, ergänzt Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
[1] Schüz J, Pirie K, Reeves GK et al. Cellular Telephone Use and the Risk of Brain Tumors: Update of the UK Million Women Study. J Natl Cancer Inst 2022 May 9; 114 (5): 704-711 doi: 10.1093/jnci/djac042.
[2] Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (SCENIHR). Opinion on Potential Health Effects of Exposure to Electromagnetic Fields (EMF). European Commission; 2015 https://ec.europa.eu/health/scientific_committees/emerging/docs/scenihr_o_041.pd.... Accessed January 20, 2022
[3] Baan R, Grosse Y, Lauby-Secretan B et al.; for the WHO International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group. Carcinogenicity of radio frequency electromagnetic fields. Lancet Oncol 2011; 12 (7): 624–626
[4] Falcioni L, Bua L, Tibaldi E et al. Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8GHz GSM base station environmental emission. Environ Res 2018; 165: 496–503 doi:10.1016/j.envres.2018.01.037.
[5] National Toxicology Program (NTP). NTP Technical Report on the Toxicology and Carcinogenesis Studies in Hsd:Sprague Dawley SD Rats exposed to Whole-Body Radio Frequency Radiation at a Frequency (900 MHz) and Modulations (GSM and CDMA) Used by Cell Phones. National Institutes of Health, Public Health Service, US Department of Health and Human Services; November 2018 https://ntp.niehs.nih.gov/publications/reports/tr/500s/tr595/. Accessed March 8, 2022
[6] Schüz J, Elliott P, Auvinen A et al. An international prospective cohort study of mobile phone users and health (Cosmos): design considerations and enrolment. Cancer Epidemiol 2011; 35 (1): 37–43
Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
E-Mail: presse@dgn.org
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren fast 11.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).