Forscher*innen haben einen grundlegenden Mechanismus in menschlichen Zellen identifiziert: das Lipid PI(18:1/18:1) unterbricht typische Stressreaktionen und verhindert so unter anderem den Zelltod. Gerät dieser Vorgang aus dem Gleichgewicht, kann er schädliche Folgen haben und Krankheiten wie Krebs und Diabetes begünstigt. Die Wissenschaftler*innen um Andreas Koeberle vom Michael-Popp-Institut der Universität Innsbruck veröffentlichten ihre Studie im Fachjournal Nature Communications.
Der programmierte Zelltod ist ein wichtiges Werkzeug, mit dem ein Organismus sich gesund hält. Wenn eine Zelle nicht so funktioniert wie sie sollte, werden verschiedene Stressreaktionen aktiviert. Das Ziel dieser Reaktionen ist es, die ursprüngliche Zellfunktion wiederherzustellen.
Ein Beispiel ist die Autophagie, ein Vorgang bei der die Zelle sich teilweise selbst verdaut und so Energie gewinnt, die sie in ihre Reparatur stecken kann. Falls diese Versuche jedoch fehlschlagen, stirbt die Zelle. Damit kann der Körper Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Neurodegeneration und Infektionen bekämpfen.
Ein zweischneidiges Schwert
Stressreaktionen sind allerdings ein zweischneidiges Schwert und müssen im Gleichgewicht gehalten werden, um für den Körper förderlich zu sein. Deswegen gibt es auch körpereigene Stoffe, die Stressreaktionen unterbinden und den Zelltod aufhalten.
Ein internationales Konsortium von Forschungsgruppen unter der Leitung von Andreas Koeberle vom Michael-Popp-Institut der Universität Innsbruck konnte nun nachweisen, dass ein Membranlipid namens PI (18:1/18:1) maßgeblich an diesem Vorgang beteiligt ist. Die im Forschungsmagazin Nature Communications publizierte Studie eröffnet viele interessante medizinische Möglichkeiten. Das Journal führt die Arbeit unter den 50 aktuell relevantesten Beiträgen im Themenbereich „Von Molekülen und Zellen zu Organismen“.
Stress durch Fettsäuren
An der Regulation von Stressreaktionen sind viele Enzyme beteiligt. Dazu gehört auch das Enzym SCD1. Dieses wandelt gesättigte Fettsäuren in ungesättigte um und wirkt deswegen vor allem gegen Stress, der durch Fette in schädlichen Konzentrationen ausgelöst wird.
Dieser prinzipiell gesundheitsförderliche Vorgang kann jedoch gefährlich werden, wenn er exzessiv betrieben wird. In der Forschung wird schon seit langem ein deutlicher Zusammenhang zwischen SCD1 und Entzündungen, Stoffwechselerkrankungen und Krebs gesehen.
Der vollständige Funktionsumfang dieses Enzyms ist nach wie vor nicht bekannt. Deswegen führen Behandlungen, die gezielt SCD1 hemmen, mitunter zu starken Nebenwirkungen und sind zur Therapie nicht zugelassen. Forscher*innen konnten die Stressreaktions-hemmende Wirkung von SCD1 nun auf ein indirektes Produkt dieses Enzyms zurückführen: Das Membranlipid PI(18:1/18:1). Dieses setzt sich zum großen Teil aus einer Fettsäure zusammen, die von SCD1 produziert wird.
Einen grundlegenden Vorgang entschlüsselt
Das Lipid PI (18:1/18:1) könnte nun gezielt verabreicht oder in seiner Bildung gehemmt werden, um Krankheiten zu bekämpfen, ohne dabei den vollen Funktionsumfang des Enzyms SCD1 stören zu müssen. Dazu muss aber zunächst die genaue Funktionsweise von PI(18:1/18:1) erforscht und verstanden werden.
„Ganz besonders interessant ist: Stress-assoziierte Vorgänge, wie der Alterungsprozess, Resistenzen gegen Chemotherapie oder die Entstehung von Tumoren haben alle einen Einfluss auf die Menge von PI(18:1/18:1) in den betroffenen Geweben. Es gibt da also einen klaren Zusammenhang, der neue therapeutische Ansätze eröffnet“, sagt Andreas Koeberle.
„Wir haben hier einen ganz grundlegenden Vorgang entschlüsselt“, fügt er hinzu. „Das ist ein Startschuss und gibt neue Richtungen für weitere Forschung vor.“
Pflanzliche Wirkstoffe als Ideengeber
Am Michael-Popp-Institut der Universität Innsbruck wird die molekularpharmakologische Wirkung von pflanzlichen Arzneimitteln erforscht. Auch die nun veröffentlichte Forschungsarbeit geht auf Pflanzenwirkstoffe zurück.
„Wir wollten einen übergeordneten Mechanismus finden, der im Körper immer abläuft, egal auf welchem Weg der Zelltod eintritt“, sagt Koeberle. „Dazu haben wir Pflanzenstoffe benutzt, die auf Zellen toxisch wirken, zum Beispiel Myrtucommulon A, das aus der Myrte gewonnen wird. Bei der Zugabe dieses Stoffes konnten wir deutliche Veränderungen in der Zusammensetzung der zellulären Lipide beobachten und so kamen wir auf die Idee zu diesem Projekt. Die Naturstoffe waren also gewissermaßen der Startpunkt um Ideen zu sammeln und zu lernen, was in der menschlichen Zelle vorgeht.“
Partnerinstitutionen: Beteiligte der Universität Innsbruck waren das Michael-Popp-Institut, das Institut für Biochemie und das Centrum für Molekulare Biowissenschaften Innsbruck. Weitere Forschungspartner waren die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Universitätsklinik Jena, das Max-Planck Institut für chemische Ökologie, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die LMU München, die Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, das Leibniz-Institut für Alternsforschung, die Universität Groningen, die Universität Oldenburg sowie die Universität Barcelona.
Mehr Informationen: Die Forschungsarbeit wurde gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Phospholipid-Forschungszentrums, der Universitäten Jena und Innsbruck, des Leibniz-Instituts für Alternsforschung, des Landes Thüringen, der Carl-Zeiss-Stiftung, des Bundesministeriums für Forschung und Entwicklung, des EU-Forschungsrahmenprogrammes Horizon 2020 und des Tiroler Wissenschaftsfonds.
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Andreas Koeberle
Michael Popp Institut
Universität Innsbruck
Mitterweg 24,
6020 Innsbruck
Tel: +43 512 507 57903
E-Mail: Andreas.Koeberle@uibk.ac.at
Thürmer, M., Gollowitzer, A., Pein, H. et al. PI(18:1/18:1) is a SCD1-derived lipokine that limits stress signaling. Nat Commun 13, 2982 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-30374-9
http://www.uibk.ac.at/mpi/ Das Michael-Popp-Institut der Universität Innsbruck
https://www.nature.com/collections/bbcaeejggj Sammlung "From molecules and cells to organisms"
Andreas Koeberle, Leiter des Michael-Popp-Instituts der Universität Innsbruck
Alena Klinger
Ein Wissenschaftler bei Laborarbeit im Michael-Popp-Institut
Alena Klinger
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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