Die Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA hat den Gaia Data Release 3 (Gaia DR3) veröffentlicht: die bislang umfangreichste "kosmische Volkszählung" mit Daten zu den Eigenschaften von Milliarden astronomischer Objekte – eine Schatztruhe für die astronomische Forschung der kommenden Jahre. Klassifizierungsdaten, die den Astronomen eine einfache Suche nach Objekten wie Sternen, Galaxien oder Quasaren ermöglichen, sowie Informationen über Sterneigenschaften wie Temperatur und chemische Zusammensetzung, wurden von der Gaia-Gruppe am Max-Planck-Institut für Astronomie beigesteuert.
Angesichts beeindruckender Bilder wie denen des Hubble-Weltraumteleskops ist es kein Wunder, dass die meisten Menschen astronomische Forschung mit immer detaillierteren Bildern von immer weiter entfernten astronomischen Objekten assoziieren. Eines der produktivsten astronomischen Observatorien aller Zeiten produziert allerdings keine Bilder und hat trotzdem die Voraussetzungen für mehr als 6000 Fachartikel geliefert, die bereits mehr als 150 000 Mal in anderen wissenschaftlichen Arbeiten zitiert wurden.
Es geht um den ESA-Satelliten Gaia, und die Daten, die Gaia produziert, sind Zahlen – Zahlenwerte für Sternpositionen, Entfernungen, die Helligkeit von Quellen in verschiedenen Filterbändern, die zeitlichen Schwankungen jener Helligkeiten, und all dies für Milliarden von Sternen und Millionen anderer astronomischer Objekte. Jetzt, am 13. Juni 2022, wird der dritte vollständige Datensatz der Gaia-Mission veröffentlicht. Der Datensatz wird umfangreicher sein als frühere Versionen; insbesondere werden zusammen mit den Positions- und Helligkeitsdaten zum ersten Mal optische Spektren für 220 Millionen astronomische Objekte veröffentlicht werden.
Ein Teil der Daten, die veröffentlichten werden, sind mit Hilfe der Gaia-Gruppe am Max-Planck-Institut für Astronomie unter der Leitung von Coryn Bailer-Jones gewonnen worden: zum einen astrophysikalische Parameter wie Temperatur und chemische Zusammensetzung, die aus den Beobachtungsdaten mit Hilfe ausgefeilter Analyseverfahren erschlossen wurden, zum anderen Informationen zur Klassifizierung der erfassten Objekte, die es den Astronom*innen beträchtlich erleichtern, die Gaia-Daten für ihre Forschung zu nutzen.
Hauptaufgabe von Gaia war und ist es, genaue Entfernungen für Milliarden von Sternen zu bestimmen, und das mit Hilfe der so genannten Parallaxenmethode. Diese Methode nutzt den folgenden Umstand aus: Während die Erde die Sonne im Laufe eines Jahres umrundet, verändern sich von der Erde aus gesehen die Positionen der Sterne, die der Erde näher sind, gegenüber denen, die weiter entfernt sind, in genau modellierbarer Weise. (Sie können den geometrischen Effekt reproduzieren, indem Sie den Arm ausstrecken, ihren Daumen nach oben recken, und dann abwechselnd je ein Auge schließen – dabei können Sie sehen, wie Ihr Daumen relativ zum weiter entfernten Hintergrund zu "springen" scheint). Gaias bereits veröffentlichte Entfernungsmessungen haben in so gut wie allen astronomischen Forschungsgebieten Anwendung gefunden – von der räumlichen Verteilung der sonnennächsten Sterne bis zur Bestimmung der Expansionsrate des Universums als Ganzes.
Doch wie der jetzt veröffentlichte Datensatz mit der Bezeichnung DR3 deutlich zeigt, geht der wissenschaftliche Nutzen der Gaia-Daten weit über die Entfernungsmessungen und deren Anwendung hinaus. Tatsächlich ist Gaia, nimmt man die Daten, welche die Mission liefert und die schiere Anzahl der beobachteten Objekte, die bisher vollständigste kosmische Volkszählung überhaupt. Und genau so, wie ein Datensatz mit Angaben über Alter, Lebensbedingungen, Einkommen, Familiengröße und andere Informationen zu den Bewohner*innen eines Landes es Forscher*innen ermöglicht, gesellschaftliche Strukturen zu erforschen, ermöglichen es die Gaia-Daten den Astronomen, verschiedene Klassen astronomischer Objekten, von speziellen Sternsorten bis hin zu Galaxien, zu verstehen.
Um die Daten zugänglicher zu machen und es den Forscher*innen zu erleichtern, sie direkt für wissenschaftliche Untersuchungen zu benutzen, veröffentlicht Gaia mehr als nur seine grundlegenden Beobachtungsdaten. So liefert Gaia für viele seiner Quellen Informationen über astrophysikalische Parameter, wie z. B. Temperaturen oder Angaben zur chemischen Zusammensetzung ("Metallizität") der Objekte. Der Datensatz enthält außerdem Informationen über die Objektklassen und gibt beispielsweise an, ob es sich bei einer bestimmten Quelle um einen Stern, eine Galaxie oder einen Quasar handelt.
Für einen wichtigen Teil dieser Zusatzinformationen ist die Gruppe von Coryn Bailer-Jones am Max-Planck-Institut für Astronomie verantwortlich: Sie war maßgeblich an der Entwicklung der "Gaia-Klassifizierungsmaschine" beteiligt, die statistische Verfahren einsetzt, um den von Gaia entdeckten Quellen wahrscheinliche Objektklassen zuzuordnen. Die Gruppe hat auch Algorithmen entwickelt, die sowohl Einzel- als auch Doppelsternen im Gaia-Katalog Parameterwerte für Temperatur und chemische Zusammensetzung zuweisen.
Die Analyse von Bailer-Jones und seinen Kolleg*innen ermöglicht außerdem die Rekonstruktion der Staubmenge zwischen fernen Sternen und der Erde. Ähnlich wie Staub das Sonnenlicht bei Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang rötlich färbt, rötet kosmischer Staub das Sternenlicht auf charakteristische Weise. Daraus lässt sich eine dreidimensionale Karte der Verteilung kosmischen Staubs in der Milchstraße rekonstruieren, und diese Karte wiederum hilft Astronom*innen, die Himmelsobjekte innerhalb oder außerhalb der Milchstraße beobachten, den Einfluss des Staubs bei der Auswertung ihrer Messungen angemessen zu berücksichtigen.
Bailer-Jones sagt: "Mit dem jetzt veröffentlichten Gaia-Datensatz liefern wir zusammen mit Kollegen aus anderen Instituten in ganz Europa detaillierte Informationen über die Eigenschaften von Hunderten von Millionen von Sternen. Diese basieren in erster Linie auf den Spektren der Sterne, die Gaia misst, und ergänzen die Entfernungs- und Geschwindigkeitsinformationen, die Gaia liefert."
Der Gaia-DR3-Katalog als bisher vollständigste kosmische Volkszählung dürfte einen erheblichen Einfluss auf fast alle Bereiche der astronomischen Forschung haben. Und das alles ohne ein einziges veröffentlichtes Bild, sondern allein durch die Aussagekraft von Katalogdaten – umfangreich, gut aufgearbeitet, von gleichmäßig hoher Qualität und einfach zugänglich.
Hintergrundinformationen
Die Gaia-Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) wird vom MPIA sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert, letzteres über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Der Gaia DR3-Katalog wird offiziell am 13. Juni 2022 veröffentlicht. Es wird zahlreiche lokale Veranstaltungen in ganz Europa geben, die hier zu finden sind:
https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/dr3-events
Wenn Sie als Journalist an der Veranstaltung in Heidelberg im Haus der Astronomie teilnehmen möchten, wenden Sie sich bitte an Stefan Jordan unter jordan@ari.uni-heidelberg.de
Die Europäische Weltraumorganisation hat ein umfangreiches Medienpaket über die Veröffentlichung der Gaia DR3 Daten zusammengestellt, das hier abgerufen werden kann:
https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Gaia/Gaia_data_release_3_m...
Alle Gaia-Ressourcen der ESA sind hier verfügbar:
https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Gaia
Dr. Coryn Bailer-Jones
+49 6221 528-224
calj@mpia.de
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
https://www.esa.int/Science_Exploration/Space_Science/Gaia
Karte der Abschwächung des Lichts in der Milchstraße durch interstellaren Staub, die aus den jetzt v ...
ESA/DPAC/MPIA
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
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Forschungsprojekte
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