In vielen unterfränkischen Dorf- und Stadtkirchen finden sich hochwertige Zeugnisse der spätgotischen Baukunst. Das zeigt der Kunsthistoriker Stefan Bürger erstmals in einem neuen Buch.
In der Forschung zur Baukunst der deutschen Spätgotik gab es bis jetzt einen weißen Fleck: „Die Forschung kümmerte sich vorzugsweise um Großbauprojekte wie in Nürnberg, Nördlingen oder Frankfurt. Die Baukunst in Unterfranken war in der Fläche kaum sichtbar“, sagt Professor Stefan Bürger vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Würzburg.
Nun aber liegen die Dinge anders: Bürger hat ein zweibändiges Buch vorgelegt, das kunsthistorisch interessierten Leserinnen und Lesern die spätgotische Baukunst im Regierungsbezirk Unterfranken näherbringt – dokumentiert und illustriert durch mehrere tausend Fotos, die zumeist Birgit Wörz als Institutsfotografin anfertigte.
Erstmals hat die Wissenschaft damit eine Region in den Blick genommen, die bisher nicht durch herausragende Bauten der Spätgotik (15. / 16. Jahrhundert) auffiel. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Unterfranken baukünstlerisch durchaus präsentabel zeigt: In seinem Buch stellt Bürger einige überraschende Befunde vor.
Beispiele für Baukunst von Qualität
Systematisch haben sich der Professor und Studierende des Fachs Kunstgeschichte unterfränkische Dorf- und Stadtkirchen angesehen, immer mit der Frage im Kopf: „Was war baukulturell normal, was sticht heraus?“ Und das ist einiges.
Die Marienkirche in Königsberg in Bayern zum Beispiel. Dass sie einen baukünstlerisch hervorragend gestalteten Turm besitzt, ist kein Zufall. Um 1400 kam die Stadt unter die Herrschaft der Wettiner. Und diese Fürstendynastie drückte ihren neu erworbenen Herrschaftsanspruch auch medial mit den Mitteln der Baukunst aus, über eine handwerklich hochwertige und prachtvolle Gestaltung des Kirchenbaus.
Wer hat vor Ort das Sagen, wie wirken sich die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse auf die Baukunst aus? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Denn Machtinteressen und Machtdarstellung waren oft ein ganz wesentlicher Antrieb für die Bautätigkeit.
In Münnerstadt ist die Kirche St. Maria Magdalena besonders für ihren Riemenschneider-Altar bekannt. Stefan Bürger hat dort noch etwas anderes bemerkt: „Im Südschiff findet sich ein für die Region ungewöhnliches Gewölbe, wie ich es auch aus der Kirche in Podelwitz bei Leipzig kenne“, sagt der Professor. Er vermutet einen Zusammenhang: Münnerstadt wie Podelwitz gehörten zum Einflussgebiet des Deutschen Ordens.
Weiter nach Dettelbach mit seiner bekannten Wallfahrtskirche Maria im Sand. Großes war dort auch beim Bau der Stadtpfarrkirche St. Augustinus geplant, und zwar ein ambitionierter dreischiffiger Hallenchor mit großem Gewölbe. Vollendet wurde der Plan aber nicht, und darum steht das Gotteshaus noch heute baulich wie ein Torso da.
Dann sind da die Kirche in Dettingen/Main mit ihrer schönen Chorausstattung oder die Kirche in Bad Königshofen mit ihrer kunstvollen Empore samt damals modernstem Schlingrippengewölbe von hoher Qualität. Die Marienkapelle in Würzburg, St. Johannes in Kitzingen, diverse Sakral- und Profanbauten in Ochsenfurt, Kapellen in Haßfurt, Großlangheim oder Bürgstadt, ein Turm in Wettringen, die verlorene Kanzel von Heidingsfeld – oder, oder, oder. „Ich könnte mit der Aufzählung immer so weitermachen“, sagt Stefan Bürger.
Vertiefende Studien müssen folgen
Das neue Buch stellt rund 250 Bauwerke vor. Das sei aber nur ein erster Überblick, wie der Würzburger Kunsthistoriker betont. Vertiefende Studien müssten folgen. Außerdem gebe es ein Manko zu beheben: Es klafft noch eine Lücke im mittleren 16. Jahrhundert, in dem Zeitraum also, bevor Würzburgs Fürstbischof und Universitätserneuerer Julius Echter von Mespelbrunn an die Macht kam.
Würzburg war Standort einer Haupthütte
Die erstaunlichste Erkenntnis aus seiner Studie sieht Stefan Bürger auf einem Gebiet, das sich mit der Organisation des Bauwesens befasst. Sie betrifft die sogenannten Bauhütten, also die Handwerksverbände der lokalen Kirchenbaustellen, der städtischen oder landesherrlichen Bauwesen, besonders jene, die sich seit 1459 unter Führung Straßburgs in einer Bruderschaft zusammenschlossen.
Aus Quellen konnte der Professor herauslesen, dass Würzburg 1515 als eine von zwölf Städten – darunter Augsburg, Ulm oder Freiburg – zum Standort einer überregional bedeutenden Haupthütte und damit als ein Gerichtsort für das Steinmetzhandwerk ernannt wurde. 1518 wurde die Würzburger Haupthütte als Gerichtsinstanz im sogenannten Annaberger Hüttenstreit eingeschaltet und war über längere Zeit involviert.
Wie das, wo doch in der Stadt gar kein Münster oder dergleichen gebaut wurde? „Es gab hier ein Hofbauwesen. Der damals herrschende Fürstbischof Lorenz von Bibra ließ domkapitulare und landesbauherrliche Projekte mit Hilfe am Hofe beamteter Werkmeister realisieren.“
Namen eines unbekannten Werkmeisters entdeckt
Stefan Bürger identifizierte bei seinen Recherchen zur Würzburger Haupthütte zwei wichtige Namen, Werkmeister Hans Bock und Martin Knoch (Merten Knochen). Letzterer war bislang völlig unbekannt, aber offenbar eine führende Meisterpersönlichkeit: Knoch hatte auf Lebenszeit das Amt des Obersten Landes- und Domwerkmeisters inne.
„In Würzburg ist ja vor allem Julius Echter für seine umfangreiche Bautätigkeit berühmt. Es gab aber schon vor seiner Zeit Fürstbischöfe wie Rudolf von Scherenberg oder Lorenz von Bibra, die offensichtlich ein Bauprogramm verfolgten. Das hatte die Forschung bisher nicht auf dem Schirm“, sagt der Kunsthistoriker.
Organisation des Bauwesens im Blick
Sieben Jahre lang hat Stefan Bürger für das neue Buch geforscht. Studierende wirkten bei Lehr-Lern-Projekten mit, aus denen Studien- und Abschlussarbeiten entstanden. Deren Ergebnisse sind in das Buch mit eingeflossen. Die Resultate werden auch in die Arbeit des DFG-Netzwerks „Nordalpine Baukultur des Spätmittelalters“ betreffen. Bürger gehört dem Koordinationsgremium des Netzwerks an.
Und die Arbeit geht weiter: Der Professor möchte die Geschichte der Haupthüttenstandorte, wie jener in Würzburg, genauer analysieren. Wie waren sie organisiert, welche Personen waren beteiligt, was wurde bauhandwerklich geleistet? In welcher Weise waren die Werkmeister daran beteiligt, die Herrschaftsansprüche ihrer Auftraggeber oder eigene Ansprüche des Handwerksverbandes darzustellen?
Auch die Lücke zur unterfränkischen Baukultur im mittleren 16. Jahrhundert möchte Bürger mit den fränkischen Landes- und Kunsthistorikern Gerrit Himmelsbach und Johannes Sander von der Uni Würzburg nach und nach mit Inhalten füllen. Geplant sind zunächst Seminare, in denen gemeinsam mit Studierenden der Schloss- und Kirchenbau dieser Zeit unter die Lupe genommen werden soll.
Über den Buchautor
Stefan Bürger ist seit 2014 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Würzburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Kunst des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Bautechnik und Bauorganisation im Mittelalter, Bettelordensbaukunst und Frühneuzeitliche Festungsbaukunst.
Prof. Dr. Stefan Bürger, Institut für Kunstgeschichte, Universität Würzburg, stefan.buerger@uni-wuerzburg.de
Stefan Bürger: „Spätgotische Baukunst in Unterfranken. Ein Überblick zur Baukultur von 1370 bis 1530“. Echter Verlag Würzburg 2022, Sonderveröffentlichung in der Reihe „Quellen und Forschungen zur Geschichte von Bistum und Hochstift Würzburg“. Band 1: 590 Seiten, Band 2: 684 Seiten. 99 Euro, ISBN 978-3-429-05593-6 (Gesamtausgabe)
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Bauwesen / Architektur, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Kunst / Design
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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