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23.06.2022 17:00

Forschende der Universität Bern messen die Grenze des «Nudging»

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Nudging (Anstossen oder Schubsen) – ist ein Kerngebiet der verhaltenswissenschaftlichen Politikgestaltung und der Verhaltensökonomik. In Kooperation mit einer Plattform zur Kompensation von Flugreisen konnten Forschende der Universität Bern untersuchen, zu welchen Preisen Menschen gerade noch bereit sind, so genannte Defaults zu akzeptieren. Diese treten automatisch in Kraft, wenn man nicht explizit widerspricht.

    Ob bei Widerspruchsregelungen bei der Organspende oder der Wahl des Energievertrages, Defaults sind ein probates Instrument der verhaltenswissenschaftlichen Politikgestaltung und kommen vielfach zum Einsatz. Ein Default regelt, was passiert, wenn man nichts tut. Auch im Bereich des Klimaschutzes wird die Wirkung von Default-Einstellungen genutzt und sorgt etwa dafür, dass viele Schweizerinnen und Schweizer automatischen in einem Energievertrag mit grüner Energie versorgt werden, wenn sie nicht explizit widersprechen. Bisherige Forschung zeigt, dass Defaults das Verhalten sehr effektiv steuern. Wie effektiv solche Defaults bei höheren Kosten sind, war jedoch bisher eine Forschungslücke. Ein Team um Sebastian Berger, Assistenzprofessor für Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung an der Universität Bern, machte sich ein Detail im Kompensationsprozess einer grossen europäischen Fluglinie zunutze, um diese Frage empirisch zu beantworten. Die Studie wurde im renommierten Fachjournal Nature Human Behaviour publiziert.

    Synthetisches Kerosin oder Aufforstung als Kompensationsinstrument

    Flugpassagiere, welche die Emissionen ihres Fluges kompensieren möchten, können dies auf einer Online-Plattform tun, indem sie entscheiden, wie schnell sie ihr aus dem Flug entstandenes Kohlendioxid kompensieren wollen. Schnellere Kompensation wird mittels Investition in synthetisches Kerosin ermöglicht. Dieses ist sehr teuer, lässt die Emissionen aber gar nicht erst entstehen. Langsamere Kompensation erfolgt durch eine Investition in Aufforstungsprojekte. Dies ist eine Methode, die das CO2 in einer Frist von 20 Jahren kompensiert. Auf der Plattform können Passagiere die zeitliche Frist selber wählen (0 Jahre bis 20 Jahre, in zweimonatigen Schritten). Sie hat aber unterschiedliche Kosten zur Folge. Die Plattform nutzt nun unterschiedliche Voreinstellungen – Defaults -, um das Verhalten der Kundinnen und Kunden dahingehend zu leiten, die kurzfristigere Kompensationen zu wählen bei einer gleichbleibenden Kompensation des Kohlendioxids. So lässt sich die Wirksamkeit von Defaults je nach Kosten analysieren.

    Je teurer der Default, desto weniger effektiv

    43.28% der Passagiere akzeptierten den gesetzten Default, trotz der teilweise hohen individuellen Kosten. «Dieses Ergebnis zeigt, dass Menschen auch bereit sind, Defaults mit teilweise hohen Kosten zu akzeptieren», fasst Sebastian Berger die Ergebnisse zusammen. Je teurer der Default jedoch war – gemessen im Vergleich zu billigsten Kompensationsmöglichkeit– desto weniger effektiv war er. «Sehr teure Defaults wurden nicht mehr akzeptiert», erklärt Sebastian Berger, «Menschen lassen sich also nicht beliebig ‹nudgen› und reagieren sehr preissensitiv auf die Kosten».

    Wichtiges Element des Policy-Mixes in der Energiepolitik

    «Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, welche Rolle Kosten von Defaults spielen, wenn man die Effektivität vorhersagen will», erklärt Sebastian Berger. Man kann davon ausgehen, dass Nudging besser funktioniert, wenn es mit anderen Zielen im Einklang steht. Anreize, welche etwa zu Einsparung von Energie beitragen, sind vermutlich effektiver als solche, welche mit hohen Kosten einhergehen. «Dies könnte auch helfen, geeignete Methoden zu finden, wenn es zu Versorgungskrisen kommt und man schnell Energie sparen muss», so Berger. Nudging könnte entsprechend dazu beitragen, Energieeinsparungen zu realisieren und die europäische Nachfrage nach fossilen Energien zu drosseln.

    Institut für Soziologie
    Das Institut für Soziologie wurde 1960 gegründet und war damit das erste Institut für Soziologie in der deutschsprachigen Schweiz. Die Schwerpunkte liegen in der politischen Soziologie, Kultursoziologie, Religionssoziologie, Umweltsoziologie, Spieltheorie, Netzwerk- und Sozialkapitalforschung sowie in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Ungleichheitsforschung.
    Mehr Informationen: https://www.soz.unibe.ch


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Sebastian Berger
    Universität Bern, Institut für Soziologie
    E-Mail: sebastian.berger@unibe.ch Twitter: @SeBerger_Lab
    Tel.: Rückruf nach Emailanfrage


    Originalpublikation:

    Berger, S., Kilchenmann, A., Lenz, O., & Ockenfels, A., Schlöder, F., & Wyss, A. M. (2022). Large, but diminishing effectiveness of climate action nudges under rising costs. Nature Human Behaviour. DOI: 10.1038/s41562-022-01379-7


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Meer / Klima, Psychologie, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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