Hirnblutungen sind medizinische Notfälle, die zu einer lebensbedrohlichen Hirndrucksteigerung führen können. Insbesondere bei massiven Einblutungen in die inneren Hirnkammern (Ventrikel) muss eine Druckentlastung mittels Katheter erfolgen (externe Ventrikeldrainage), um das Leben der Betroffenen zu retten. Eine zusätzliche intraventrikuläre Thrombolyse, d. h. die Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten über den Katheter, kann die Mortalität weiter senken. Eine große Metaanalyse [1] zeigte nun erstmals auch einen signifikanten Effekt auf das spätere funktionelle Outcome (den Behinderungsgrad).
Jedes Jahr erleiden in Deutschland 20.000 bis 24.000 Menschen eine Hirnblutung (Inzidenz 25-30/100.000 [2]). Hirnblutungen (intrazerebrale Blutungen ICB) können „spontan“ auftreten oder durch unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden, wie z. B. Bluthochdruck, Unfälle oder Gefäßfehlbildungen. Die Symptome entsprechen denen eines Schlaganfalls; hinzu kommen akuter massiver Kopfschmerz, Übelkeit/Erbrechen und Bewusstseinsstörungen. Eine Hirnblutung stellt einen lebensbedrohlichen Notfall dar und muss unverzüglich in der Klinik behandelt werden. Je nach Schweregrad liegt die Sterblichkeit bei bis zu 60% innerhalb eines Jahres [2]. Therapeutisch kommen abhängig von Größe und Lokalisation der Blutung eine Operation, minimal-invasive Eingriffe oder konservative Möglichkeiten in Betracht.
Im Rahmen von Hirnblutungen kann es auch zu Einblutungen in die Hirnkammern (Hirnventrikel) kommen. Das Ventrikelsystem ist mit einer klaren Flüssigkeit („Liquor“) gefüllt und dient unter anderem dem Druckausgleich zur Konstanthaltung des normalen Hirndrucks. Blutungen in die Ventrikel können zu einer Störung der Liquorzirkulation und zum Liquorstau (Hydrozephalus) führen. Der Hirndruck kann dadurch lebensbedrohlich ansteigen, so dass eine Druckentlastung durch einen Katheter erfolgen muss (externe Ventrikeldrainage/EVD). Wenn das Blut im Liquor gerinnt, können Gerinnsel (Thromben) den Liquorabfluss besonders stark behindern, so dass in Studien versucht wurde, intraventrikuläre Thromben durch eine medikamentöse intraventrikuläre Thrombolyse aufzulösen bzw. deren Entstehung zu verhindern. Verschiedene Studien bestätigten den sicheren Einsatz dieser Behandlung; die Sterblichkeit konnte gesenkt werden, allerdings übersetzte sich dieser Vorteil nicht in ein besseres funktionelles Outcome. Eine neue Studie [1] ging daher der Frage nach, welche Parameter einer definierten Patientenauswahl bei der intraventrikulären Thrombolyse zu einem erkennbaren funktionellen Benefit (weniger bleibende Behinderungen) führen kann – um damit die intraventrikuläre Thrombolysetherapie mit besserer Evidenz zu etablieren.
Die Metaanalyse poolte Daten aus einer randomisierten und sieben Beobachtungsstudien. Insgesamt konnten von 8.482 gescreenten ICB-Betroffenen 1.501 mit akutem blutungsbedingtem Hydrocephalus und externer Ventrikeldrainage ausgewertet werden. Verglichen wurde die intraventrikuläre Thrombolyse (n=596) mit einer Standardbehandlung (n=905; „Standard of care“/SoC mit Placebo). Primäres Outcome war die funktionelle Behinderung nach sechs Monaten gemäß der modifizierten Ranking Scale (mRS, Behinderungs-Score von 0-6, Tod=6), klassifiziert in mRS 0-3 (günstig) versus mRS 4-6 (ungünstig). Das sekundäre Outcome beinhaltete die Gesamtmortalität und unerwünschte Effekte/ Ereignisse. Potenzielle systematische Fehler und Störfaktoren wurden statistisch adjustiert und die „odds ratios“ (OR) sowie der absolute Behandlungseffekt (ATE) berechnet.
Die Thrombolysebehandlung zeigte (mit einer OR von 1,75) signifikant günstigere Ergebnisse über die gesamte funktionelle Bandbreite (mRS-Werte). Für das primäre Outcome nach sechs Monaten ergab sich ein absoluter Behandlungseffekt von 9,3% ohne Zunahme unerwünschter Ereignisse. Eine frühzeitige Thrombolyse spätestens 48 Stunden nach Symptombeginn war sogar mit einem absoluten Behandlungseffekt von 15,2% assoziiert. Einen günstigen funktionellen Outcome hatten absolut 251/596 (42,1%) versus 276/905 (30,5%), nach „propensity matching“ (statistischer Paarbildung zum Verzerrungsausgleich) 42,4% versus 35,0%. Die Sterblichkeit (mRS=6) in der Thrombolysegruppe betrug 22,8% versus 31,1% in der SoC-Gruppe. Am meisten profitierten Betroffene, die initial die ausgeprägtesten Bewusstseinsstörungen hatten (Glasgow Coma Scale 3-7); hier ging die Sterblichkeit um 19,6% zurück.
„Die intraventrikuläre Thrombolyse stellt einen sinnvollen therapeutischen Ansatz bei ausgeprägten Ventrikelblutungen mit akuter Hirndrucksteigerung dar“, konstatiert PD Dr. med. Joji B. Kuramatsu, Erlangen, Erstautor der publizierten Metaanalyse. „Neben der Mortalitätssenkung ist das Verhindern einer bleibenden funktionellen Behinderung für die Betroffenen essenziell. Genauso wichtig ist es aber auch sicherzustellen, dass durch die Therapie bei den Betroffenen nicht anderweitige Blutungskomplikationen ausgelöst werden“, ergänzt Studienleiter Herr Prof. Dr. med. Hagen Huttner.
Die Studie zeigte außerdem, dass es ein frühes Zeitfenster zu geben scheint, innerhalb dessen eine intraventrikuläre Thrombolyse besonders wirksam ist. Das sollte nach Ansicht des Experten bei weiteren Studien berücksichtigt werden, um den Behandlungseffekt weiter zu verbessern.
[1] Kuramatsu JB, Gerner ST, Ziai WC et al. Association of intraventricular fibrinolysis with clinical outcomes in ICH: an individual participant data meta-analysis. Stroke 2022 May 6. doi: 10.1161/STROKEAHA.121.038455. Online ahead of print.
[2] Steiner T, Unterberg A. et al., Behandlung von spontanen intrazerebralen Blutungen, S2k-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 14.06.2022)
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