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06.05.2004 10:02

Demografischer Wandel stellt hohe Anforderungen an das Bildungssystem: FiBS legt 12-Punkte-Plan vor

Birgitt A. Cleuvers Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)

    Die in den Arbeitsmarkt nachwachsende Generation ist in rund 20 Jahren nur halb so groß wie die dann Ausscheidende. Um den Ersatzbedarf decken zu können, muss sie daher durchschnittlich höher qualifiziert sein.

    Aktuelle Analysen des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) zeigen, dass aufgrund des demografischen Wandels in 20 bis 25 Jahren die in den Arbeitsmarkt eintretenden Alterskohorten nur noch halb so groß sein werden wie die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden. Um dann den Ersatzbedarf an Akademikern decken zu können, muss deren Anteil von derzeit knapp 20 % eines Altersjahrgangs nahezu verdoppelt werden, da ansonsten eine immer größere werdende Lücke entsteht. Da zugleich die Absolventenquote bei den abgeschlossenen Berufsausbildungen weitgehend konstant bleiben sollte, müsste die Zahl der Personen ohne Hauptschulabschluss bzw. Berufsausbildung minimiert werden. Kernziel ist somit, das Qualifikationsniveau nachwachsender Generationen durchgängig zu erhöhen.

    Daher schlägt das FiBS den folgenden 12-Punkte-Plan vor:

    1. Um in 20 Jahren den Ersatzbedarf an Akademikern decken zu können, sollte die Hochschulabsolventenquote auf 35-40 % eines Altersjahrgangs angehoben werden. Bei Erfolgsquoten im Bachelorstudium von 75 % und Übergangsquoten von durchschnittlich 50 % in das Masterstudium, wäre eine Studienanfängerquote von 50 % eines Jahrgangs erforderlich. Derzeit liegt die Quote bei gut 35 % bezogen auf deutsche Studierende. Werden diese Quoten nicht erreicht, kommt es durch die Umstellung auf Bachelor und Master zu einer Dequalifizierung im Bereich der Hoch- und Höchstqualifizierten.

    2. Um den Anteil an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei 60-70 % halten zu können, müsste der derzeitige Anteil an Schulabbrechern bzw. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung - derzeit etwa 20 % - minimiert werden.

    3. Eine durchgängige Höherqualifizierung kann nur erreicht werden, wenn Kindern aus bildungsfernen Schichten der Zugang zu weiterführenden schulischen und hochschulischen Bildungsangeboten erleichtert wird. Von der bisherigen Bildungsexpansion haben vor allem Frauen, kaum aber Kinder aus bildungsfernen Familien profitiert. Bildungsverläufe sind nach wie vor über Generationen hinweg weitgehend identisch. Da aber zugleich der Anteil von Kindern wächst, die in bildungsfernen und niedrigeren sozio-ökonomischen Schichten geboren werden, und gerade gut gebildete und hochqualifizierte Frauen auf Nachwuchs verzichten, muss diese Kontinuität durchbrochen werden. Hierzu ist auch eine verbesserte finanzielle Förderung für den Besuch weiterführender Schulen notwendig, etwa in Form des Schüler-BAföGs.

    4. Da zudem ein starker Zusammenhang zwischen Bildungsabbruch und sozialer Herkunft bzw. Migrationshintergrund besteht, sollten Kinder aus diesen Gruppen stärker gefördert werden. Dies wird aber nur gelingen, wenn damit bereits im Kindergarten begonnen wird. Die verfolgten Ansätze für Sprachförderung etc. gehen zwar in die richtige Richtung, reichen aber noch nicht aus. Darüber hinaus sollten Maßnahmen und Programme entwickelt werden, die die Eltern zur Förderung und Unterstützung ihrer Kinder animieren und motivieren.

    5. Eine bessere Förderung kann auch durch flexiblere Klassengrößen erreicht werden; dies gilt insbesondere für Kinder mit Lernschwächen oder anderen Problemen und Benachteiligungen. Während eine generelle Verringerung der Klassengröße bzw. Schüler-Lehrer-Relation keine zwingend erforderliche, sondern eher kostenintensive Strategie ist, weisen internationale Untersuchungen darauf hin, dass kleine Klassen oder Gruppen vor allem in frühen Bildungsphasen und bei benachteiligten Schülern vorteilhaft sind. Derzeit sinkt die Klassengröße bzw. Schüler-Lehrer-Relation aber eher mit der Verweildauer bzw. dem Bildungsniveau der Schule; Grundschulklassen sind oft deutlich größer als Oberstufenkurse.

    6. Schüler können auch durch einen Unterricht gefördert werden, der sich stärker an ihrer Realität und Lebenswelt orientiert; rein abstrakte und akademisch ausgerichtete Lernprozesse, wie sie heutzutage überwiegend zu finden sind, werden vielen Schülern nicht gerecht. Beispiele für gute Modelle sind Produktives Lernen, Stadt als Schule, Betrieb und Schule oder Handwerk-Lernen etc., die potenziellen Schulabbrechern nicht nur zum Hauptschulabschluss, sondern oft auch zur Berufsausbildung verhelfen.

    7. Insgesamt muss die Verweildauer im Bildungssystem erheblich verkürzt werden, ohne die Qualität zu verringern. Dies bezieht sich nicht nur auf die langen Studienzeiten, sondern es haben auch 15 % der Auszubildenden vorher ein Berufsgrundbildungs- oder -vorbereitungsjahr durchlaufen oder eine Berufsfachschule besucht; knapp 25 % der Studienanfänger haben vorher eine Berufsausbildung im dualen System absolviert. Die kürzere Verweildauer lässt sich somit vor allem durch Vor allem die Verringerung von Umwegen, Nachqualifizierungen und Mehrfachausbildungen führt somit zu kürzeren Bildungszeiten. Unter Einbeziehung der Studienfachwechsler dürften jedes Jahr fast doppelt so viele Jugendliche eine Ausbildung beginnen, wie einem Altersjahrgang entsprechen würde. Dies kann die Kapazitäten des Bildungs- und Ausbildungssystems nur sprengen.

    8. Darüber hinaus lässt sich die Effizienz erheblich steigern, indem die Zahl der Bildungsabbrecher verringert wird. So schließen derzeit 35-40 % der deutschen und fast 50 % einschließlich der ausländischen Studienanfänger ihr Studium nicht erfolgreich ab. Geht man von Vollzeit-Äquivalenten aus, dann dürfte die Zahl der tatsächlich Studierenden bei allenfalls etwa 1 Mio. liegen; somit würde umgerechnet nicht einmal jede/r zweite Immatrikulierte studieren. Weiterhin brechen 25 % ihre Berufsausbildung ab und 10 % erreichen keinen Hauptschulabschluss. Unter Einbeziehung der beruflichen Schulen dürfte somit durchschnittlich jeder Jugendliche einmal eine Ausbildung oder Schule abbrechen.

    9. Gleichzeitig sollten die hochbegabten und leistungsstarken Schüler und Studierenden nicht vergessen werden. Dies setzt aber ein gutes Fundament voraus, das derzeit allenfalls eingeschränkt vorhanden ist, was auch und gerade für den Hochschulbereich gilt.

    10. Kita, Schule und Hort sind nicht nur wichtige Einrichtungen zur frühen Förderung von Kindern, sondern auch für die Erwerbsbeteiligung von Müttern von zentraler Bedeutung. Sie brauchen eine verlässliche und zugleich flexible Halb- und Ganztagsbetreuung für ihre Kinder. In den alten Bundesländern werden Mütter auch dadurch zum Rückzug oder zur Einschränkung der Erwerbsbeteiligung genötigt, dass das Angebot vor allem im Bereich der 0-3-Jährigen und während der Grundschule unzureichend ist. Eine bessere Kinderbetreuung könnte auch dazu beitragen, dass Akademikerinnen wieder häufiger und mehr Kinder bekommen, da sie Familie und Beruf besser miteinander verbinden können.

    11. Da Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft länger erwerbstätig sein müssen, ist eine stärkere Partizipation an Weiterbildung erforderlich, um Qualifikationen zu erhalten oder anzupassen. Während heute eine starke Korrelation zwischen Weiterbildungsbeteiligung und Vorbildung besteht, werden zukünftig verstärkt auch Arbeitskräfte mit geringerer Vorqualifikation und Berufstatus daran teilhaben müssen. Soweit dies nicht durch die Unternehmen ermöglicht wird, sollte die öffentliche Förderung entsprechend ausgerichtet werden und komplementär zu den Unternehmen agieren. Dies sollte nicht erst bei Arbeitslosigkeit, sondern bereits während der Erwerbstätigkeit einsetzen. Ein Ansatz wäre ein lebenslanges Bildungskonto, wie es das FiBS vor kurzem vorgeschlagen hat. Auch sollte sich Weiterbildung und Kompetenzentwicklung stärker auf praxis- und unternehmensorientierte Prozesse ausrichten.

    12. Eine umfassende Strategie zur Erreichung der genannten Punkte sollte in einen Bildungsbereich übergreifenden Masterplan mit konkreten Konzepten, genauen Zahlen und finanziellen Kosten und Einsparungen überführt werden. Diese Masterpläne sollten dabei auf Länder- oder kommunaler Ebene ebenso ansetzen wie auf Bundesebene. Das FiBS arbeitet zurzeit an einem solchen Masterplan und an konkreten Lösungsansätzen zur Erreichung der genannten Ziele.

    "Der 12-Punkte-Plan muss kurzfristig angegangen und umgesetzt werden. Ein Abwarten, bis die Jahrgänge kleiner werden, können wir uns nicht leisten. Dann ist es zu spät und eine dritte Bildungskatastrophe kaum noch abzuwenden", so Dr. Dieter Dohmen, Leiter der FiBS. "Man muss sich bewusst machen, dass die Abiturienten des Jahres 2020 und die Hochschulabsolventen 2025 in diesem und im nächsten Jahr ihr Bildungsleben im Kindergarten beginnen. Ein frühzeitiges und konsequentes Umsteuern würde sich auch schneller rentieren. Derzeit werden Milliarden für Reparatur- und Parkmaßnahmen ausgegeben, die zukünftig eingespart werden könnten. Diese freiwerdenen Mittel können zur Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen eingesetzt werden. Qualitätssteigerung und Höherqualifizierung muss nicht unbedingt mehr Geld kosten als heute, das Geld muss nur besser eingesetzt werden. Das Bildungssystem wird einer der zentralen Wettbewerbsfaktoren für die nationale, regionale und lokale Entwicklung. Nur, wo es hochqualifizierte Arbeitskräfte gibt, werden sich Unternehmen ansiedeln und Arbeitsplätze entstehen."

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    Kontakt: Birgitt A. Cleuvers (FiBS), Tel. 02 21 / 550 95 16
    Wir freuen uns über einen Hinweis auf Ihre Berichterstattung. Vielen Dank!


    Weitere Informationen:

    http://www.fibs-koeln.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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