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07.05.2004 10:06

Deutschland bei ernährungsmedizinischer Versorgung im internationalen Vergleich Schlusslicht

S. Nicole Bongard Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

    Konjunktur haben die Themen rund um Übergewicht und Diäten: Keine Illustrierte erscheint ohne Tipps zu kalorienarmer Kost und Anleitung zum Sport, keine Elternzeitschrift ohne die Mahnung zu fettarmer Ernährung der Kleinen und auf dem Buchmarkt rangieren Publikationen über die deutsche Esskultur auf den Bestsellerlisten. Doch nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich in den vergangenen Jahren ein zweites Problemfeld aufgetan: Viele Menschen essen zu wenig und sind untergewichtig oder krankhaft mangelernährt. So unterschiedlich die Ursachen und Symptome hierfür auch sind, ein großes Problem stellt diese Unternährung nicht zuletzt dar, wenn der Betreffende erkrankt: 30% aller Patienten kommen mangelernährt in deutsche Kliniken.

    Mangelernährung bei Kranken erfordert konsequente Behandlung

    Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin veranstaltet vom 6. bis 8. Mai 2004 am Klinikum der Universität München ihre Jahrestagung "ernährung 2004", gemeinsam mit den Schweizerischen und Österreichischen Fachgesellschaften für klinische Ernährung. Die interdisziplinäre Tagung wird von mehr als 600 Teilnehmern aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten, Apothekern und Ernährungsfachkräften besucht. Zu den Themen des dreitägigen Kongressprogramms gehören
    · die Diagnostik und Behandlung von Mangelernährung im Krankenhaus und bei ambulant betreuten Patienten,
    · die Rolle der Ernährung in der Krankheitsprävention und
    · neue wissenschaftliche Methoden in der Ernährungsmedizin.

    Der DGEM-Präsident und Kongressvorsitzende, Professor Dr. Berthold Koletzko vom Klinikum der Universität München, äußerte sich bestürzt über die hohe Zahl mangelernährter Patienten in Deutschland und die ungenügende Umsetzung angemessener diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen. "In Deutschland leiden 20-30 % Prozent der Krankenhauspatienten an Unterernährung. Dadurch wird nicht nur ihre Lebensqualität und ihr Wohlbefinden beeinträchtigt. Mangelernährte Patienten erholen sich langsamer, erleiden häufiger ernste Komplikationen, weisen eine erhöhte Pflege- und Intensivpflegebedürftigkeit sowie eine längere Krankenhausaufenthaltsdauer auf, mit deutlich höheren Krankheitskosten. Eine effektive Vorbeugung und Behandlung der Mangelernährung hilft also nicht nur dem Patienten, sondern spart auch Kosten im Gesundheitswesen."

    Internationaler Vergleich

    Die Bundesrepublik Deutschland hat gemeinsam mit anderen europäischen Staaten im November 2003 eine Entschließung des Europarates zur ernährungsmedizinischen Versorgung im Krankenhaus verabschiedet (Council of Europe. Committee of Ministers. Resolution ResAP(2003)3 on Food and Nutritional Care in Hospitals - https://wcm.coe.int/rsi/CM/index.jsp). Der Europarat verweist auf die ganz unakzeptabel hohe Zahl unterernährter Krankenhauspatienten und fordert die europäischen Regierungen zur Verbesserung der ernährungsmedizinischen Praxis in den Krankenhäusern und der ambulanten Behandlung auf. Gefordert wird insbesondere, bei allen Krankhauspatienten ein mögliches Risiko für Mangelernährung zu untersuchen. Für Risikopatienten sollen ernährungstherapeutische Maßnahmen nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft konsequent eingesetzt werden. Zur praktischen Umsetzung fordert der Europarat die Etablierung von interdisziplinären Ernährungsteams in den Krankenhäusern. Ernährungsteams stellen die Durchführung der Diagnostik zur frühzeitigen Erkennung von Mangelernährung sicher. Sie können zudem Bedarfslücken individueller Patienten durch eine wirksame und qualitätsgesicherte Ernährungstherapie umsetzen, zum Beispiel durch besondere und häufigere Mahlzeiten, ergänzende Supplemente, eine Sondenernährung oder eine intravenöse Ernährung.
    "Deutschland gehört bei der Praxis der ernährungsmedizinischen Versorgung seiner Kranken im internationalen Vergleich zu den Schlusslichtern" bedauert Professor Koletzko. "Während schon vor 10 Jahren an 37 % der britischen und an 30 % der amerikanischen Krankenhäuser Ernährungsteams etabliert waren, haben in Deutschland noch heute nur 2 % der Kliniken ein solches Ernährungsteams. Diese katastrophale Situation ist sowohl aus ethischen Gründen als auch zur Vermeidung vermeidbarer Mehrkosten unverantwortlich und bedarf dringend einer Änderung".

    Mangelernährung bei kindlichen Patienten

    Wachsende Kinder und Jugendliche mit ihrem hohen Bedarf an Energie und Nährstoffen sind durch eine Mangelernährung ganz besonders gefährdet. Durch die Fortschritte der Kinder- und Jugendheilkunde müssen immer weniger Kinder mit akuten Gesundheitsstörungen im Krankenhaus behandelt werden, zum Beispiel weil Infektionskrankheiten mit ihren Folgen durch Impfungen verhütet werden können. Deshalb nimmt der relative Anteil chronisch Kranker unter den Patienten in Kinderkliniken deutlich zu. Chronische Erkrankungen führen aber gerade bei Kindern zu einem erhöhten Risiko für eine Mangelernährung. Eine jetzt bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin vorgestellte Studie aus dem Dr. von Haunerschen Kinderspital am Klinikum der Universität München zeigt ein erschreckend großes Ausmaß des Problems. "Unter den in unserer Klinik stationär behandelten Kinder und Jugendlichen sind bei der Aufnahme 24 % untergewichtig. Besonders groß ist das Risiko für behinderte Kinder, von denen jedes Dritte mangelernährt ist," sagte Prof. Dr. Berthold Koletzko, einer der Autoren der Studie. "Die hohe Zahl ist sehr beunruhigend, denn Mangelernährung kann die körperlichen und geistigen Entwicklungschancen von Kindern ernsthaft gefährden". Eine ausgeprägte Unterernährung im Kindesalter beeinträchtigt das Wachstum und schwächt die Muskelkraft, vermindert die Abwehr gegen Infektionen, gefährdet die Wundheilung nach Operationen, und beeinträchtigt die Entwicklung des wachsenden Gehirns und die zerebrale Leistungsfähigkeit. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass stark unterernährte Kinder ein drastisch erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufweisen. Bei vielen Erkrankungen wird der Krankheitsverlauf nachteilig beeinflusst. So verschlechtert sich bei Kindern und Jugendlichen mit Mukoviszidose mit dem Ausmaß des Untergewichtes die Lungenfunktion, bei Kindern mit einer Lebertransplantation führt Unterernährung zu vermehrten Infektionen und erhöhter Sterblichkeit. "Die frühe Erkennung und konsequenten Behandlung der Unterernährung ist bei Kindern besonders wichtig. Dabei ist für eine effektive und kindgerechte Betreuung der stationären und ambulanten Patienten ein auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen spezialisiertes Ernährungsteam unverzichtbar, in dem Ernährungsfachkräfte und Pädiater zusammenarbeiten" so Koletzko. Unter solchen Bedingungen ist heute eine wirksame Ernährungstherapie im Kindesalter möglich. So konnte während des Krankenhausaufenthaltes im Haunerschen Kinderspital das mittlere Körpergewicht der unterernährten Kinder deutlich
    angehoben werden. In Deutschland bestehe an vielen Kinderkliniken jedoch noch großer Nachholbedarf im Aufbau dieser wichtigen Behandlungsstrukturen. "Die berechtigten Bemühungen um Kostenbegrenzungen im Gesundheitswesen dürfen nicht auf Kosten der Deckung fundamentaler Grundbedürfnisse chronisch kranker Kinder gehen," mahnt Koletzko.

    Bei Rückfragen:
    Professor Berthold Koletzko
    Klinikum der Universität München
    Dr. von Haunersches Kinderspital
    Lindwurmstr. 4, D-80337 Muenchen
    Tel: +49 (0)89 5160 2826
    Fax: +49 (0)89 5160 3336
    E-mail: Berthold.Koletzko@ med.uni-muenchen.de


    Weitere Informationen:

    http://www.klinikum.uni-muenchen.de
    http://www.dgem.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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