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14.07.2022 09:35

Kindermedikamente gezielt und sicher einsetzen!

Giulia Roggenkamp Pressestelle
Stiftung Kindergesundheit

    Stiftung Kindergesundheit informiert über den richtigen Umgang mit Arzneimitteln für kranke Kinder

    Macht das Kind einen kranken Eindruck, ist den Eltern schnell angst und bange: Was hat es bloß? Ist es etwas Schlimmes? Was können wir tun? Gibt es etwas dagegen in der Apotheke? Oder müssen wir sofort zum Kinderarzt? In solchen Fällen sofort zu einem Medikament zu greifen ist unnötig und häufig sogar falsch, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

    Keine Frage: Viele Krankheiten lassen sich heute mit Medikamenten wesentlich besser behandeln als noch vor Jahren. Sie machen Schmerzen erträglich, bekämpfen Keime, heilen oft schwere Leiden. Wenn heute die Tuberkulose kein Todesurteil mehr darstellt, wenn viele ansteckende Krankheiten sicherer behandelt werden können oder wenn seelische Störungen einer Therapie zugänglich geworden sind, so ist das wesentlich den modernen Arzneimitteln zu verdanken. Wenn ein Medikament von dem Kinder- und Jugendarzt als notwendig bewertet und dem Kind verschrieben wird, sollte es entsprechend der Verordnung und für die vorgesehene Dauer eingesetzt werden.

    Bei „Aua“ hilft oft schon Ablenken und Trösten
    Aber nicht bei jedem kleinen Wehwehchen sind Medikamente nötig, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit. Bei Kindern klingen viele Krankheiten nach einer Weile von selbst ab und lassen sich durch Beruhigen, Ablenken und Trösten oft gut überwinden.

    „Bei harmlosen Beschwerden wie leicht erhöhten Temperaturen sollten Eltern nicht immer sofort zu Fieberzäpfchen, Säften oder Tropfen greifen, sondern der Selbstheilung des kindlichen Organismus eine Chance geben und auch bewährte Hausmittel wie Wadenwickel oder ein Abkühlbad erwägen“, empfiehlt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der in München ansässigen Stiftung Kindergesundheit. Bei Kindern, die trotz erhöhter Temperatur munter sind und normal essen und trinken, müssen keine Maßnahmen ergriffen werden. Steigt die Temperatur aber über 38,5 Grad an, kann der Allgemeinzustand eines Kindes beeinträchtigt werden: Es fühlt sich schlecht, hat Muskel- und Gliederschmerzen, ist appetitlos und quengelig. „Wenn das Kind so offensichtlich leidet, ist es sinnvoll, das Fieber zu senken“, so Professor Berthold Koletzko.

    „Sollen Medikamente bei Kindern eingesetzt werden, so müssen die Eltern mehr beachten als Erwachsene bei der Einnahme von Arzneimitteln“, sagt der Münchner Kinder- und Jugendarzt: „Sie sollten auch bei rezeptfreien Mitteln vorsichtig sein und sich in Zweifelsfällen lieber an ihre Kinder- und Jugendarzt wenden“.

    Mädchen greifen häufiger zu Medikamenten als Jungen
    Aktuelle Daten zeigen, dass für einen beachtlichen Teil der Menschen in Deutschland das Einnehmen von Medikamenten zur Gewohnheit geworden ist:

    • Die Umsätze für Arzneimittel auf Kassenrezept haben sich seit 2005 von 23,6 auf 53,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.

    • Die große Kindergesundheitsstudie des Robert Koch Instituts KiGGS (Welle 2) untersuchte die Einnahme von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen bis zu 17 Jahren und ermittelte beunruhigende Zahlen: Von 3.462 Kindern und Jugendlichen wendeten 1.292 mindestens ein Präparat in den letzten sieben Tagen an. Das entspricht einer Häufigkeit von 36,4 Prozent und bedeutet, dass im Durchschnitt jedes dritte Kind und Jugendliche im Alter von 3 bis 17 Jahren mindestens ein Arzneimittel und/oder Nahrungsergänzungsmittel in den letzten sieben Tagen angewendet hatte. Mädchen nahmen mit 38,5 Prozent signifikant häufiger Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel ein als Jungen mit 34,4 Prozent. Verwendet wurden insgesamt 2.265 Präparate, am häufigsten Mittel gegen Husten und Schnupfen.

    Unter diesen Umständen ist es tröstlich zu wissen, dass viele Medikamente ausgesprochen harmlos oder manche Präparate sogar ohne eine spezifische Wirkung sind. Dass sie dem Patienten dennoch häufig nützliche Dienste erweisen, liegt vermutlich in der sogenannten „Placebo-Wirkung“ dieser Präparate. Als „Placebo“ bezeichnet die Medizin Scheinmedikamente, die im Aussehen und Geschmack einem echten Arzneimittel gleichen, aber keine pharmakologisch wirksamen Substanzen enthalten.

    Auch homöopathische Arzneimittel zählen zu den Medikamenten mit nicht belegbarer Wirksamkeit. Sie wirken nicht über den Placeboeffekt hinaus. Die meisten Homöopathika müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Ihr Apothekenumsatz lag 2021 bei immerhin 535 Millionen Euro.

    „Rezeptfrei“ heißt nicht immer harmlos!
    Weil viele Arzneimittel ohne Rezept erhältlich sind, werden ihre Wirkungen und Risiken von Eltern häufig unterschätzt, betont die Stiftung Kindergesundheit. Diese Medikamente werden als OTC-Arzneimittel bezeichnet („Over The Counter“). Zu ihnen gehören auch verschiedene Schmerz- und Fiebermittel, die in Apotheken angeboten werden.

    Sie sind keineswegs immer harmlos: So soll Acetylsalicylsäure (ASS, „Aspirin“) wegen der Gefahr einer zwar seltenen, aber gefährlichen Komplikation („Reye-Syndrom“) bei Kindern erst ab zwölf Jahren eingesetzt werden. Andere Schmerzmittel können die Nierenfunktion beeinflussen. Auch Paracetamol gehört zu den am häufigsten verkauften OTC-Schmerzmitteln in Deutschland. Bei Überdosierung bzw. zu häufiger Gabe kann der Wirkstoff schwere Leberschäden verursachen, aber auch Veränderungen des Blutbildes auslösen.

    Es gibt viele Gründe, weshalb Medikamente gerade bei Kindern generell zurückhaltend eingesetzt werden sollten, sagt die Stiftung Kindergesundheit:

    • Kinder reagieren anders auf Arzneimittel als Erwachsene: So bauen Babys und kleine Kinder ein Arzneimittel weniger schnell ab und scheiden sie auch weniger rasch aus.

    • Der wachsende Organismus von Kindern und Jugendlichen reagiert unter Umständen in jeder Entwicklungsphase unterschiedlich auf die Wirkstoffe von Arzneimitteln. Gerade die Funktionen jener Organe, die entscheidend bei der Aufnahme und Verarbeitung von Medikamenten sind, sind zunächst unvollständig entwickelt. Diese Effekte sind umso ausgeprägter, je jünger das Kind ist. Deshalb ist bei Früh- und Neugeborenen die Gefahr einer Überdosierung besonders hoch. So sind zum Beispiel die Arbeit der Leber und die Nierenfunktion noch nicht vollständig ausgereift.

    • Ebenfalls noch nicht vollständig gereift ist in sehr jungem Alter die Barrierefunktion der Haut. Die Folge: Bestimmte Arzneimittel, die auf der Haut angewendet werden, gelangen durch eine verstärkte Aufnahme (Resorption) durch die Haut auch in andere Teile des Körpers (Mediziner sprechen von einer „systemischen Wirkung“.) Beispiele dafür sind kortisonhaltige Zubereitungen oder jodhaltige Desinfektionsmittel.

    • Es gibt zudem Arzneimittel, die Wachstum und Entwicklung beeinträchtigen können.

    Gewohnheiten der Familie vererben sich leicht
    Eltern sind ihren Kindern manchmal auch in Dingen Vorbild, in denen sie es gar nicht so gern sein möchten, gibt die Stiftung Kindergesundheit zu bedenken: Nicht nur die Tischsitten werden in der Familie erlernt, sondern auch die Trinkgewohnheiten und der Umgang mit Medikamenten.

    Die Kinder beobachten, wie ihre Eltern ihre Alltagsprobleme zu bewältigen versuchen. Wenn die Mutter bei jedem Unwohlsein oder jeder Verstimmung zur Tablette greift oder der Vater zur Flasche, gewinnen die Kinder den Eindruck, dies sei ganz normal – und machen es später genauso. Viele Suchtexperten sind überzeugt, dass weder Zigaretten noch Haschisch die eigentlichen Einstiegsdrogen für härtere Substanzen sind, sondern Medikamente, die in vielen Familien oft so unbekümmert konsumiert werden.

    So können Kindern auch durch den regelmäßigen Einsatz von frei verkäuflichen Arzneimitteln oder Globuli auf die Einnahme einer Tablette konditioniert werden. Sie lernen dann nicht ihrem Körper und sich selbst zuzutrauen, auch allein mit Schmerzen oder negativen Gefühlen fertig zu werden, ohne etwas einzunehmen. Sie verinnerlichen schon früh: „Ich nehme eine Tablette, dann geht es mir besser”.

    Keine Pillen aus der Hausapotheke der Eltern!
    Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt den Eltern bei der Selbstbehandlung ihres Kindes mit Medikamenten die Beachtung folgende Punkte:

    • Verwenden Sie nur Präparate, die für Kinder zugelassen sind und bei denen klare Dosierungshinweise auf dem Beipackzettel stehen.

    • Geben Sie Ihrem Kind niemals Medikamente, die von der Behandlung eines Erwachsenen übriggeblieben sind.

    • Lassen Sie sich bei der Dosierung des Mittels von einem Arzt oder einem Apotheker beraten.

    • Halten Sie sich streng an die vorgeschriebene Dosierung und ändern Sie sie niemals eigenmächtig – viel hilft nicht viel, eher im Gegenteil!

    • Seien Sie sparsam mit Cremes und Salben und wenden sie nie großflächig an: Wegen der im Bezug zum Körpergewicht weitaus größeren Hautoberfläche von Babys und kleinen Kindern werden Wirkstoffe, aber auch potentiell schädliche Hilfsstoffe (z. B. Alkohol oder Phenole) in höherem Maße aufgenommen als im späteren Alter.

    • Kinder können farbige Dragees, Tabletten oder Arzneisäfte nicht von Süßigkeiten oder Getränken unterscheiden: Bewahren Sie Arzneimittel deshalb immer außer der Reichweite von Kinderhänden und kindersicher verschlossen auf.

    „Medikamente als Tabletten oder Dragees für das Kind sollten übrigens auf keinen Fall als ‚Bonbons‘, ‚Guddi‘ oder ‚Zuckerl‘ bezeichnet werden“, betont Professor Dr. Berthold Koletzko: „Auch flüssige Medikamente sollten niemals als ‚Fruchtsaft‘ oder ‚süß‘ angepriesen werden, um sie dem Kind schmackhaft zu machen! Solche Verharmlosungen erhöhen die Gefahr, dass unverschlossene Medikamente in einem unbeobachteten Augenblick vom Kind geschluckt oder getrunken werden“.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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