► Zivilgesellschaftliches Wirtschaften zielt auf das Gemeinwohl, teilt Eigentum gemeinschaftlich und fördert Transparenz
► Forschungsprojekt „Teilgabe“ macht kooperatives Wirtschaften über neuen Analyserahmen sichtbarer
► Merkmale zivilgesellschaftlichen Wirtschaftens geben Impulse für Politik, Wissenschaft und Unternehmen, um transformative Wirtschaftspraktiken zu unterstützen
Berlin, 19. Juli 2022 – Sozialunternehmen, Genossenschaften, Bürgergesellschaften oder Vereine: Was solche Formen kooperativen Wirtschaftens ausmacht und wie sie den sozialen und ökologischen Wandel der Gesellschaft voranbringen können, untersucht das Forschungsprojekt Teilgabe mit Förderung vom Bundesforschungsministerium. Die Forschenden vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, der Universität Hamburg, der Universität zu Köln und der Genossenschaft Innova zeigen nun: Neue Wirtschaftsformen bauen neue kollektive Eigentumsstrukturen auf und orientieren sich stark an ihren Zielgruppen. Sie setzen mehr auf das Gemeinwohl als auf Profite und handeln mit einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Öffentlichkeit besonders transparent. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl vorgestellt.
Teilgabe-Projektleiter Christian Lautermann vom IÖW erklärt: „Die klassische Einteilung in Markt, Staat und Non-Profit-Sektor macht neue Formen des Wirtschaftens unsichtbar. Dabei gibt es immer mehr Unternehmungen, die konkrete Zielgruppen und das Gemeinwohl fördern wollen und die dabei sowohl am marktlichen Wettbewerb teilnehmen als auch in zivilgesellschaftlichen Verbünden kooperieren. Damit wirtschaften sie jenseits der klassischen Sektorenlogik“.
Kooperatives Wirtschaften: von Bürgerenergiegenossenschaften über Solidarische Landwirtschaft hin zu Plattform-Kooperativen
Die Forschenden haben einen Analyserahmen entwickelt, um kooperatives Wirtschaften sichtbar zu machen und haben dafür aus zentralen Diskursen zur Zivilgesellschaft und dem Non-Profit- bzw. Dritten Sektor, zum Genossenschaftswesen sowie zum Sozialunternehmertum zehn übergeordnete Kernmerkmale kooperativen Wirtschaftens herausgearbeitet.
IÖW-Wissenschaftlerin Carla Young erläutert: „Gemeinschaftlich geteiltes Eigentum als ein Merkmal kann zu neuen Organisationsformen für die gemeinsame Bewirtschaftung von Ressourcen führen, etwa Bürgerenergiegenossenschaften. Die Handlungsweise der Civic Action als ein weiteres Merkmal bedeutet unter anderem, dass auch beim Wirtschaften gewaltfreie Aushandlungen das gemeinsame Ideal darstellen und soziale Inklusion angestrebt wird.“
Das Merkmal der Bedarfswirtschaft zeichnet Wirtschaftsweisen aus, die nicht auf Wachstum orientiert sind, sondern Ziele erfüllen, die für Mensch und Erde verträglich sind. Ein Beispiel sind die neuen Initiativen der Solidarischen Landwirtschaft. Diese entziehen den Gemüseanbau der Marktlogik und ermöglichen somit an Bedarfe angepasste Produktion. Verantwortung für die Öffentlichkeit übernehmen kooperativ wirtschaftende Akteure, indem sie ihre Stakeholder weit fassen und sich in der Pflicht sehen, ihr Handeln der breiten Öffentlichkeit gegenüber transparent zu machen. „Diese Gemeinwohlorientierung treibt die Akteure kooperativen Wirtschaftens dazu an, das große Ganze immer mitzudenken“, so Young.
Die Bewegung des Plattform-Kooperativismus zeigt ebenfalls, wie kooperatives Wirtschaften aussehen kann. In der CoopCycle-Föderation etwa haben sich mehr als 30 Fahrradkurier-Kollektive zusammengeschlossen, um gemeinsam eine Plattform-Infrastruktur für Letzte-Meile-Lieferungen zu nutzen. Die Föderation fördert so Emanzipation – lokale Initiativen werden dabei unterstützt, sich selbstbestimmt zu organisieren und faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.
Zivilgesellschaftliches Wirtschaften kann den sozial-ökologischen Wandel voranbringen
Um den sozialen und ökologischen Wandel voranzutreiben, muss zivilgesellschaftliches Wirtschaften bekannter, und dessen Merkmale müssen bewusster umgesetzt werden und mehr Verbreitung finden, auch bei konventionellen Wirtschaftsakteuren, so die Empfehlung der Forschenden. Verbundwirtschaftliche Kooperationen können dabei helfen, wertvolle Ressourcen besser in Kreisläufen zu führen. Bedarfswirtschaft als Handlungsmaxime kann helfen, blindes Wachstumsstreben zu vermeiden und mehr demokratische Mitwirkung beim Wirtschaften kann dafür sorgen, dass soziale und ökologische Ziele vor Profitziele gestellt werden.
Impulse für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
Die Forschenden richten sich mit den Merkmalen kooperativen Wirtschaftens an Politik, Wissenschaft, Akteure kooperativen Wirtschaftens selbst sowie an alle Unternehmen, die ihre Rolle in der Zivilgesellschaft bewusster gestalten wollen. Die Forscher*innen geben den Akteuren zivilgesellschaftlichen Wirtschaftens Orientierungen an die Hand, anhand derer sie ihre Praktiken reflektieren können. Für die Politik und die Wirtschaftsförderung bieten sie Grundlagen, um die Qualitäten alternativer Wirtschaftsweisen verstehen und bewerten zu können. Dies schafft Möglichkeiten, transformative Wirtschaftspraktiken mittelfristig etwa über das öffentliche Beschaffungswesen aktiv zu unterstützen.
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Mehr Informationen:
- zu dem Artikel „Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in der Zivilgesellschaft“ (Johannes Blome-Drees, Philipp Degens, Burghard Flieger, Lukas Lapschieß, Christian Lautermann, Joschka Moldenhauer, Jonas Pentzien, Carla Young (2021): Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in der Zivilgesellschaft, in: Z'GuG Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl (Jg. 44/4), Seite 455-485): https://www.ioew.de/publikation/kooperatives_wirtschaften_fuer_das_gemeinwohl_in...
- zu dem Projekt „Teilgabe – Die bürgerschaftliche, genossenschaftliche und sozialunternehmerische Schaffung und Gestaltung von gemeinwohlorientierter Versorgung“: https://www.teilgabe.net/
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Pressekontakt:
Richard Harnisch
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
Tel.: 030 – 884 594-16
kommunikation@ioew.de
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Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ist ein führendes wissenschaftliches Institut auf dem Gebiet der praxisorientierten Nachhaltigkeitsforschung. Rund 70 Mitarbeiter*innen erarbeiten Strategien und Handlungsansätze für ein zukunftsfähiges Wirtschaften – für eine Ökonomie, die ein gutes Leben ermöglicht und die natürlichen Grundlagen erhält. Das Institut arbeitet gemeinnützig und ohne öffentliche Grundförderung. Das IÖW ist Mitglied im „Ecological Research Network“ (Ecornet), dem Netzwerk der außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland.
http://www.ioew.de | http://twitter.com/ioew_de | http://www.ioew.de/newsletter
Dr. Carla Young
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
Tel.: 030 – 884 594-39
carla.young@ioew.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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