In Zukunft werden immer mehr Medikamente, Materialien und Katalysatoren allein durch Computersimulationen entworfen, getestet und weiterentwickelt. Dafür sind jedoch Algorithmen nötig, die genau genug sind, um die Chemie des wirklichen Lebens vorherzusagen. Ein besonderes Beispiel ist die Katalyse, bei der die elementaren Ratenkonstanten (die Geschwindigkeit, mit der Reaktionen ablaufen) mit quantenchemischen Methoden modelliert werden können.
Einem Team der Universität Göttingen und des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen ist es nun gelungen, die elementaren Geschwindigkeitskonstanten für die Rekombination von Wasserstoffatomen an Platin zu Wasserstoffmolekülen zu bestimmen. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Leider werden bei der Entwicklung von Computersimulationen viele vereinfachende Näherungen verwendet, um das jeweilige Problem rechnerisch lösbar zu machen, was zu Lasten der Vorhersagekraft geht. Erschwerend kommt hinzu, dass nur sehr wenige elementare Geschwindigkeitskonstanten aus Experimenten bekannt und genau genug sind, um als kritische Referenzwerte zu dienen. Das Graduiertenkolleg BENCh an der Universität Göttingen hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren entscheidende Daten für die Prüfung und Verbesserung von Computersimulationen geliefert und nun einen wichtigen Meilenstein erreicht.
In der aktuellen experimentellen Göttinger Studie geht es um die einfachste mögliche chemische Reaktion auf einer katalytischen Oberfläche, deren Geschwindigkeitskonstante bisher nicht bestimmt werden konnte und die für die Simulation unerreichbar war. Die Autorinnen und Autoren zeigen, dass ein wesentlicher Beitrag zur Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment aus der falschen Berücksichtigung von Kernquanteneffekten resultiert, die mit der geringen Masse des Wasserstoffatoms zusammenhängen. Eine Methode der klassischen Mechanik, die die Heisenbergsche Unschärferelation nicht berücksichtigen konnte, sagte eine zu geringe Entropie des Adsorbats voraus, was sich in einem Fehler von bis zu drei Größenordnungen bei der Geschwindigkeitskonstante niederschlug. Darüber hinaus präsentierte das Team klare Anzeichen für die Bedeutung des Elektronenspins bei chemischen Reaktionen auf Metalloberflächen – ein Quanteneffekt, der bisher in der rechnergestützten heterogenen Katalyse ignoriert wurde.
Das Graduiertenkolleg organisiert auch sogenannte Blind Challenges, bei denen verschiedene Methoden und Softwareprogramme auf der Suche nach den robustesten Algorithmen gegeneinander antreten. Bis zum 15. September 2022 läuft noch der Fe-MAN-Wettbewerb (Ferrates – Microkinetic Assessment of Numerical Quantum Chemistry), bei dem Gruppen aus aller Welt aufgefordert sind, in silico gemessene Geschwindigkeitskonstanten aus dem Koszinowski-Labor in Göttingen vorherzusagen. “Unser Ziel ist es, Benchmarks zu schaffen, die den Test der Zeit in der Entwicklung von quantenchemischer Software bestehen, und gleichzeitig ehrlich zu beurteilen, wo wir stehen", sagt Prof. Dr. Ricardo Mata, Sprecher des Graduiertenkollegs.
Prof. Dr. Ricardo Mata
Georg-August-Universität Göttingen
Facultät für Chemie
Computerchemie und Biochemie
Tammannstraße 6, 37077 Göttingen
Telefon (0551) 39-23149
E-Mail: rmata@gwdg.de
Internet: https://uni-goettingen.de/de/123801.html
Dmitriy Borodin et al. Quantum effects in thermal reaction rates at metal surfaces. Science 2022. https://www.science.org/doi/10.1126/science.abq1414.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Chemie
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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