„Schon als ich ein kleiner Junge war, wollte ich mit Delphinen forschen“, sagt Tim Hüttner. Denn seitdem er mit sechs Jahren mit seinen Eltern einen Delphinpark in den USA besucht hat, „war es um mich geschehen“. Der 32-jährige gebürtige Erlanger hat sich diesen Traum erfüllt und jetzt an der Universität Rostock seine Doktorarbeit zur Sinneswahrnehmung von Delphinen, konkret vom Großen Tümmler, sehr erfolgreich verteidigt. Der Große Tümmler ist die wohl bekannteste von insgesamt fast 40 Delphinarten.
Tim Hüttner hat herausgefunden, dass diese lernfähigen Säugetiere auch kleinste elektrische Felder im Wasser wahrnehmen, wie sie beispielsweise von Fischen erzeugt werden. Zum Hintergrund: alle Lebewesen im Wasser produzieren durch Muskelpotenziale oder Teilchenbewegungen an Schleimhäuten elektrische Felder.
Bislang kannte man diese so genannte Elektrorezeption vor allem von Fischen und hier insbesondere von Haien und Rochen, die ihren Elektrosinn in erster Linie bei der Nahrungssuche einsetzen. Bei den Säugetieren wurde die Elektrorezeption bisher nur beim Schnabeltier, beim Kurzschnabelameisenigel und seit 2012 auch beim Guyana-Delphin nachgewiesen.
Als Elektrorezeptoren identifizierten die Forschenden damals die so genannten Vibrissengruben auf dem Oberschnabel der Guyana-Delphine. Diese haarlosen Gruben sind stark mit Nervenfasern versorgt. Beim Graben nach Nahrung im Meeresboden könnte die Elektrowahrnehmung dem Guyana-Delphin helfen seine Beute zu finden.
Ähnliche Jagdtechniken kennt man auch von weiteren Delphinarten, wie z.B. dem Großen Tümmler. „Diese ökologische Bedeutung und auch morphologische Untersuchungen der haarlosen Vibrissengruben legen nahe, dass auch Große Tümmler elektrische Felder wahrnehmen können“, sagt Tim Hüttner. Der studierte Biologe, der seinen Master in Biodiversität und Ökologie an der Universität Bayreuth abgelegte, hat diese Fragestellung nun unter Betreuung von Professor Guido Dehnhardt, der das Robbenforschungszentrum der Universität Rostock leitet und dort Orientierungsmechanismen mariner Säugetiere erforscht, im Rahmen seiner Doktorarbeit untersucht.
Aufbauend auf seine Masterarbeit hat Tim Hüttner über drei Jahre im Tiergarten Nürnberg mit vier Delphinen Verhaltensversuche durchgeführt. Das große Ziel sei es gewesen, den Meeressäugern beizubringen, zu signalisieren, wenn sie ein elektrisches Feld wahrnehmen. Dafür haben sie zunächst gelernt, in eine Versuchsapparatur unter Wasser zu schwimmen, um dort zu verbleiben. Sobald sie ein elektrisches Signal wahrnehmen, sollten sie die Apparatur wieder verlassen. Gab es kein Signal, so sollten sie für mindestens 12 Sekunden in der Apparatur warten. Richtige Entscheidungen wurden immer mit einem Fisch belohnt.
Wie das Training ablief, schildert der Forscher so: „Zunächst habe ich den Tieren dieses so genannte Go/No-Go-Prinzip – also die Apparatur verlassen, wenn ein Signal kommt bzw. warten, wenn kein Signal kommt – nicht mit elektrischen Reizen beigebracht, sondern mit verschiedenen, einfachen Tönen trainiert. Als nächstes habe ich dann getestet, ob die Tiere das Gelernte auch auf neue Signale übertragen können. Dafür habe ich neue Töne, ein Lichtsignal oder einen Wasserstrahl verwendet.“
Für die vier Delphine waren diese neuen Signale alle kein Problem. Der erste Schritt war also getan, denn die Delphine hatten gelernt, die Apparatur zu verlassen, unabhängig davon, welche Art von Signal präsentiert wurde. „Damit war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie jetzt auch auf elektrische Reize eindeutig reagieren würden“, sagt Tim Hüttner. Und tatsächlich: alle Delphine sprachen bereits beim ersten Versuch auf elektrische Gleichstromfelder an. Nach und nach hat Tim Hüttner die Stärke der elektrischen Felder reduziert, um herauszufinden wie empfindlich die elektrische Wahrnehmung der Großen Tümmler ist. Mit einer Wahrnehmungsschwelle von bis zu 2,4 µV/cm reicht die Empfindlichkeit sehr gut aus, um im unmittelbaren Nahbereich die elektrischen Felder von Fischen zu registrieren. „Wir sind davon überzeugt, dass die Elektrorezeption eine etablierte Wahrnehmung bei Delphinen darstellt und sie diese Fähigkeit bei der Nahrungssuche einsetzen, um auch im Sand versteckte Beute aufzuspüren“, sagt Tim Hüttner. Seine wissenschaftlichen Ergebnisse erweitern damit das Wissen um die Sinnesökologie von Delphinen. „Je besser wir sie verstehen, desto besser können wir sie auch schützen“, so Tim Hüttner. Viele Wal- und Delphinarten sind vom Aussterben bedroht. Bei der kleinsten Walart, dem mexikanischen Vaquita, gehe man noch von maximal zehn Exemplaren aus, die es auf der Welt gibt.
Der Familienvater arbeitet mittlerweile im Tiergarten Nürnberg in der Forschungsabteilung. Der Tiergarten bietet optimale Voraussetzungen für Grundlagen- sowie angewandte Forschung und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz.
Die wissenschaftliche Forschung im Nürnberger Delphinarium begann Anfang der 1990er Jahre mit dem Verhaltensbiologen Dr. Lorenzo von Fersen. Von Fersen erweiterte bereits vorhandene tiermedizinische Forschungen, die auch gestrandeten Delphinen zu Gute kamen, um neue Forschungsimpulse im Bereich der Biologie, besonders der Sinnesphysiologie und der Kognitionsforschung. Mit der Delphinlagune, die im Sommer 2011 eröffnet wurde, hat der Tiergarten die Voraussetzungen für umfangreichere Forschungsprojekte geschaffen, wie beispielweise die Arbeit von Tim Hüttner.
Text: Wolfgang Thiel
Professor Guido Dehnhardt
Universität Rostock
E-Mail: guido.dehnhardt@uni-rostock.de
Delphin Kai in der Versuchsapparatur. Über dem Schnabel ist die Elektrode sichtbar
privat
Universität Rostock
Tim Hüttner beim Training mit Delphin Anke
privat
Universität Rostock
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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