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17.05.2004 08:45

Volkszählung in der Vogelwelt

Erhard Jakobs Pressestelle
Fachhochschule Gießen-Friedberg

    Ein Projektteam hat den gesamten Artenbestand an Brutvögeln im Wetteraukreis erfasst und auf aktuellem Stand dokumentiert.

    "Manchmal, wenn sie draußen vorm Hörsaal singt, muss ich mich zusammenreißen, damit ich nicht unterbreche und die Studenten lauschen lasse", gibt er zu. Sie, das ist ein Vogel, eine Klappergrasmücke, die er, der Hochschullehrer Prof. Dr. Wilfried Hausmann, an ihrem Gesang erkennen kann. Zum Vorlesungsstoff würde die Lauschpause nur bedingt passen, denn der Professor unterrichtet nicht Ornithologie, sondern Mathematik an der Fachhochschule in Friedberg. Andererseits sind Mathematik und Vogelkunde keine unvereinbaren Disziplinen, das hat Wilfried Hausmann als Leiter der "Projektgruppe Brutvogelrasterkartierung" bewiesen.

    "Die Brutvögel des Wetteraukreises zur Jahrtausendwende" heißt der aktuelle Band, der die Arbeitsergebnisse dieser Gruppe zusammenfasst. Dass es sich hierbei nicht um ein farbenprächtiges Bilderbuch handelt, sondern um eine wissenschaftliche Publikation, die ornithologische, mathematisch-statistische und kartografische Kompetenz gleichermaßen vereint, verrät schon der Untertitel "Auswertung der Rasterkartierung 1998/99". Herausgeber sind der Arbeitskreis Wetterau der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) und der Naturkundliche Arbeitskreis Wetterau. Die Dokumentation erfasst nicht nur den kompletten Artenbestand der Brutvögel im Landstrich zwischen Vogelsberg, Taunus und Spessart. Sie weist das Vorkommen der verschiedenen Vogelarten nach statistisch anspruchsvollen Kriterien in Zahl und Standort nach und liefert dazu viele Detailkarten.

    Die Wetterau bietet mit Feuchtgebieten wie dem Naturschutzgebiet Bingenheimer Ried, mit Wäldern, Auen, Streuobstwiesen und großen landwirtschaftlich genutzten Freiflächen vielen Vogelarten gute Lebensbedingungen. Die "Projektgruppe Brutvogelrasterkartierung" hatte sich nicht weniger vorgenommen, als das gesamte Gebiet des Kreises inklusive der Städte und Dörfer zu erfassen. Rund 70 geschulte Helfer durchkämmten in den Jahren 1998 und 1999 vor allem im Frühjahr ihre jeweiligen Planquadrate, hielten dabei ihre Ohren gespitzt, um die Vögel an ihren Stimmen zu erkennen, und beobachteten zudem den Luftraum und das Gelände per Fernglas. Ihre Beobachtungen trugen sie nach einer systematischen Methode in Erhebungsbögen ein, deren Daten in den Computer eingegeben und mit einem Programm verarbeitet wurden. Rund 5000 Stunden ehrenamtliche Tag- und Nachtarbeit leisteten die Beobachter bei Sonne und Regen. Vom Wintergoldhähnchen, dem kleinsten gefiederten Freund, winziger noch als ein Zaunkönig, bis zum Weißstorch, dem größten Vogel der Region, reicht das Spektrum ihrer Entdeckungen. Insgesamt wurden 161 Arten während ihrer Brutzeit angetroffen. Manche davon sind "Allerweltsvögel" wie die Amsel, die auch in der Wetterau in puncto Häufigkeit auf Platz eins steht. Andere aber sind Raritäten, echte "Aha-Erlebnisse" für Ornithologen. Der Schlagschwirl gehört dazu, der unverhofft gleich an drei Stellen nachgewiesen wurde, der Sperlingskauz oder der exotisch farbenprächtige Bienenfresser, der allerdings nur einmal kurz im Flug gesehen wurde.

    In die Vorbereitung des Projekts und die statistisch-kartografische Auswertung investierte das Team weitere 2000 Arbeitsstunden. Das Ergebnis ist eine Bestandsdokumentation, die in ihrer Gründlichkeit und Systematik ihresgleichen sucht.
    Für Wilfried Hausmann hat das Projekt verschiedene Funktionen. Es leistete mit seinen detaillierten Aussagen zu den Vorkommen bestimmter Vogelarten bereits einen wichtigen Beitrag zur Auswahl von Flächen für die Meldung als "Important Bird Areas" (IBA) des Naturschutzbund-Landesverbands Hessen. Ebenso lieferte es Daten für die Meldung geeigneter Vogelschutzgebiete des Landes Hessen an die Europäische Union im Rahmen des "Natura 2000"-Vorhabens. Mit dieser Initiative setzt die Europäische Union die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten um, natürliche Lebensraumtypen sowie das Vorkommen von wilden Pflanzen- und Tierarten in ihrem angestammten Lebensraum dauerhaft zu sichern.
    Zudem erlaubt die neue Erfassung einen vorsichtigen Vergleich mit einer "Volkszählung" in der Wetterauer Vogelwelt aus dem Jahr 1987. Demnach ist die Artenvielfalt etwa konstant geblieben, 34 Populationen haben erfreulicherweise zugenommen, wobei die Zunahme zum Teil nur eine Bestandserholung ist. Ein alarmierendes Ergebnis ist aber, dass 17 Arten rückläufig sind, darunter vor allem Bodenbrüter und mit dem Großen Brachvogel ein Symboltier der Wetterau.

    Der Projektleiter sieht einen weiteren Nutzen der umfassenden Rasterkartierung darin, über eine gesicherte Datengrundlage zu verfügen, mit der sich künftige Bestandsentwicklungen bewerten lassen. Als Hochschullehrer kann sich Wilfried Hausmann auch vorstellen, dass Studenten der FH Gießen-Friedberg an Verbesserungen der statistischen Methodik mitarbeiten. Einen Ansatz, das Rasterverfahren zu optimieren, zeigt der Mathematiker in einem eigenen Kapitel des Buches auf, das als Band 10 der Reihe "Beiträge zur Naturkunde der Wetterau" erschienen ist. Zu beziehen ist die Publikation zum Preis von 14,50 Euro bei Hans-Joachim Rüblinger, Fuhrstraße 5, 61191 Rosbach (E-Mail: hj.rueblinger@t-online.de).

    Gießen, 17. Mai 2004


    Bilder

    Prof. Wilfried Hausmann bei der Vogelbeobachtung im Naturschutzgebiet "Bingenheimer Ried"
    Prof. Wilfried Hausmann bei der Vogelbeobachtung im Naturschutzgebiet "Bingenheimer Ried"

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik, Mathematik, Meer / Klima, Physik / Astronomie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Prof. Wilfried Hausmann bei der Vogelbeobachtung im Naturschutzgebiet "Bingenheimer Ried"


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