idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.10.2022 09:47

Wie die Klimakrise die Gesundheit von Kindern bedroht

Giulia Roggenkamp Pressestelle
Stiftung Kindergesundheit

    Stiftung Kindergesundheit fordert energische Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels

    Der globale Klimawandel setzt nicht nur Gesellschaft und Wirtschaft unter Druck, sondern dürfte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch zu einer immensen Zunahme der Gesundheitsrisiken führen. Als besonders bedroht davon erweisen sich neben älteren oder chronisch kranken Personen vor allem Kinder und Jugendliche, heißt es im hoch aktuellen, ersten „Kindergesundheitsbericht“ der Stiftung Kindergesundheit, der jüngst in Berlin vorgestellt wurde.

    „Klimawandel, Corona-Pandemie, Krieg in Europa – Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Zeit bedrohlicher Krisen auf. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf ihre Gesundheit“, sagt der Münchner Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Umweltfaktoren und klimatische Veränderungen wie steigende Druchschnittstemperaturen, Extremwetter und Hitzeperioden führen schon jetzt zu einem deutlichen Anstieg von Infektionskrankheiten und zu Krankenhausbehandlungen. Kinder und Jugendliche werden auch durch eine Zunahme allergischer Erkrankungen belastet. Erschwerend kommt hinzu: Die heutigen Kinder werden im Verlauf ihres späteren Lebens besonders lange mit den veränderten Umständen und deren oft schädlichen Folgen konfrontiert“.

    Auf der Basis von Klimamodellen könnte bis zum Ende des 21. Jahrhunderts eine globale Erwärmung von bis 4,8 Grad Celsius eintreten. Das bedeutet: Ein Kind, das heute geboren wird, wird als Erwachsener in einer Welt leben, die fast fünf Grad Celsius wärmer ist als die Welt während der Kindheit seiner Eltern. Das hat weitreichende Folgen für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, erläutert die Stiftung Kindergesundheit in ihrem aktuellen „Kindergesundheitsbericht“:

    O Der noch unreife kindliche Organismus kann sich noch schwer auf belastende Umwelteinflüsse wie z. B. Hitze einstellen. Seine Fähigkeit zur Regulierung der Körpertemperatur durch Schweißproduktion ist noch nicht vollständig entwickelt. Bei extremen Hitzewellen, wie z. B. zuletzt im Jahre 2003, drohen besonders Säuglingen und jüngeren Kindern Austrocknen, Hitzschlag und Sonnenstich.

    O Mit der zunehmenden Sonnenscheindauer wächst die Belastung durch UV-Strahlung. Diese wiederum gilt als Hauptursache von Hautkrebs. Laut dem kürzlich veröffentlichen „Kindergesundheitsbericht“ der Stiftung Kindergesundheit hat sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Hautkrebsfälle mehr als verdoppelt: Die Zahl der Neuerkrankungen lag zuletzt beim malignen Melanom (schwarzer Hautkrebs) bei ca. 23.000 und beim „weißen“ Hautkrebs bei ca. 230.000 Fällen.

    O Der Anstieg der Durchschnittstemperaturen führt zur Zunahme von Allergien und begünstigt das Auftreten neuer Allergene. Der Grund laut Stiftung Kindergesundheit: „Die klimatischen Veränderungen führen auch zu zeitlich veränderten Jahreszeiten mit einem früheren Frühlingsbeginn und oft einer längeren Pollenflugzeit“. Auch das Wachstum von Schimmelpilzen wird durch die Kombination von erhöhtem CO2, dem früheren Einsetzen des Frühlings, wärmeren Wintern sowie regional höheren Niederschlägen gefördert.

    Ein aktuelles Beispiel für die Zunahme von Allergien ist die durch den Klimawandel begünstigte Ausbreitung von „Ambrosia artemisiifolia L.“, ein Asterngewächs, das hoch allergen ist und dessen Pollen als Auslöser von Beschwerden wie Heuschnupfen, Asthma oder atopischer Dermatitis gelten. Die auch als Ragweed, Traubenkraut oder Hohe Ambrosie bezeichnete Pflanze produziert vom Hochsommer bis zum ersten Frost sehr große Mengen an Pollen, die zu den aggressivsten Inhalationsallergenen gehören. Fachleute schätzen, dass Ragweed weltweit für mehr Allergien verantwortlich ist als alle anderen Allergie-auslösenden Pflanzen zusammen. Eine einzelne Pflanze produziert bis zu 60.000 Samen, die mit dem Wind verbreitet werden und im Boden bis zu 40 Jahren keimfähig bleiben.

    Nach aktuellen Prognosen könnte sich die Anzahl der Menschen, die aufgrund von Ambrosia-Pollen an Heuschnupfen leiden, in nur 19 Jahren verdoppeln, und zwar von derzeit 33 auf 77 Millionen Europäer. Durch seine späte Blüte- und Pollenflugzeit im Spätsommer und Herbst kann Ambrosia bei Kindern mit bestehenden Pollenallergien zu einer fast ganzjährigen Krankheitslast führen, betont die Stiftung Kindergesundheit. Eine Studie aus Baden-Württemberg ergab, dass bereits 2008 zehn bis 15 Prozent der untersuchten Kinder gegenüber Ambrosia sensibilisiert waren. Höhere Konzentrationen an Ambrosia-Pollen und eine längere Pollensaison könnten auch den Schweregrad der Symptome verstärken. Wer eine Allergie auf Ambrosiapollen entwickelt hat, muss sich leider auch vor bestimmten Lebensmitteln in Acht nehmen: So genannte Kreuzallergien bestehen zu Bananen, Gurken, Melone, Zucchini, Beifuß, Sellerie und zur echten Kamille.

    Steigende Durchschnittstemperaturen, Hitzewellen, Dürreperioden oder Extremwetterereignisse wie Starkregen beeinflussen auch das Auftreten von sogenannten vektorübertragenen Infektionskrankheiten, erläutert die Stiftung Kindergesundheit in ihrem „Kindergesundheitsbericht“. Als Vektoren bezeichnet man lebende Organismen, die Krankheitserreger von einem infizierten Tier oder Menschen auf andere Menschen (oder Tiere) übertragen. Zu den wichtigsten Vektoren zählen Arthropoden (Gliederfüßer) wie Stechmücken, Zecken, Sandfliegen oder Läuse und auch Nagetiere.

    Im Zuge der klimatischen Veränderungen breiten sich invasive Mückenarten auch in Europa immer weiter aus. So haben sich die Asiatische Tigermücke und die Gelbfiebermücke inzwischen in Europa etabliert. Mit den zukünftig veränderten klimatischen Bedingungen und der zu erwartenden Temperaturzunahme ist mit einer weiteren Verbreitung dieser Überträger der Infektionsleiden West-Nil-Fieber, Chikungunya-Fieber und Dengue-Fieber zu rechnen.

    „Das aktuell weitaus bedeutendere Risiko betrifft jedoch die deutliche Zunahme an bereits heimischen vektorübertragenen Erkrankungen wie der durch Zecken übertragenen Krankheiten Lyme-Borreliose und der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)“, betont die Stiftung Kindergesundheit.

    Die Veränderungen im Klima sind auch mit einer Verschlechterung der Luftqualität verbunden. Auch davon sind Kinder besonders betroffen: Sie reagieren empfindlich auf Luftverschmutzungen, Ozon und Smog. Ihre Atemwege und Lungen sind noch im Stadium der Entwicklung, sie atmen zudem infolge einer höheren Atemfrequenz im Vergleich zu Erwachsenen größere Dosen an luftverschmutzenden Partikeln oder Gasen ein. Unter den Kindern sind es wiederum besonders diejenigen mit Asthma, die aufgrund entzündeter und hyperreaktiver Atemwege gefährdet sind.

    Extreme Hitze ist weltweit eine der wichtigsten wetterbedingten Todesursachen. Sie stellt heute schon eine Gefahr für die Gesundheit dar, wie das Beispiel des heißen Sommers 2003 zeigt. So treten vermehrt Hitzeerschöpfung und Hitzschlag, Hitzekrämpfe, Sonnenstich und auch Dehydratationen auf.

    Für Kleinkinder stellen längere Hitzeperioden ein lebensbedrohliches Risiko dar, weil sie über eine schlechtere Regulation ihrer Körpertemperatur verfügen. Sie schwitzen weniger und haben ein vermindertes Durstgefühl, was Herz und Kreislauf beeinflussen kann. Der Kindergesundheitsbericht zeigt auf, dass die zunehmenden Hitzetage in den vergangenen Sommern zu häufigeren Krankenhausbehandlungen von Kindern wegen Austrocknung geführt haben.

    Eine schnelle Lösung der Probleme ist nicht in Sicht. Deshalb müssen die Anstrengungen in Forschung, Versorgung und Politik verstärkt werden, fordert die Stiftung Kindergesundheit. Die bereits heute deutlichen Auswirkungen der Klimakrise erlauben keinerlei Verharmlosung.

    „Angesichts der von der Stiftung Kindergesundheit ermittelten Fakten ist es unverzichtbar, das Voranschreiten der Klimakrise mit energischen Maßnahmen zu bremsen“, unterstreicht Professor Berthold Koletzko mit großem Nachdruck. „Der Kampf gegen die globale Klimakrise sollte besonders auch im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen ein zentrales Motiv jedes gesellschaftlichen und politischen Handelns sein. Das Ausmaß unserer Bemühungen wird maßgeblich darüber entscheiden, in welcher Welt die kommenden Generationen leben werden“.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Medizin, Politik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).