AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN Nr. 16 1998
Die Lebensqualität von Krebspatienten muß bei der Abwägung der möglichen Therapieschritte stärker beachtet werden als bisher üblich. Dafür plädiert Professor Joachim Müller, Direktor der "Klinik für Allgemein-,Visceral-, Gefäß und Thoraxchirurgie" der Charité. In einer Studie, über die er auf einem Symposium in Berlin am 20./21. November berichtete, ist an seiner Klinik die Lebensqualität von Patienten mit Krebs der Speiseröhre (Oesophagus-Karzinom) in Beziehung gesetzt worden zu verschiedenen Formen der Behandlung. Ärzte (und Patienten) sollten sich zum Verzicht auf Therapie veranlaßt sehen, wenn das Verhältnis zwischen dem Erfolg einer Behandlung und dem Verlust an Lebensqualität nicht angemessen erscheint, mahnt Müller.
Bis vor rund 25 Jahren wurde der Erfolg einer Krebstherapie ganz vorrangig am Gewinn an Überlebenszeit bzw. an der Länge krankheitsfreier Intervalle zwischen mehreren Behandlungseinheiten gemessen. Mitte der 70 ger Jahre fand dann, aus Amerika kommend, der Gedanke der Lebensqualität Eingang in die Bemühungen um die Behandlung von Tumorkranken, bei denen Heilung nicht mehr möglich ist und Linderung des Leidens im Vordergrund steht. Zwar ist trotz vieler Ansätze bis heute keine Einigkeit darüber erzielt worden, wie denn Lebensqualität exakt zu messen wäre. Gleichwohl haben sich Kriterien herausgebildet, die geeignet sind, die subjektive "Qualität" der Lebensumstände deutlich werden zu lassen.
Müller verwendet an seiner Klinik einen Fragebogen der EORTC (European Organisation for the Research and Treatment of Cancer). Der Bogen erfaßt die Selbsteinschätzung des Patienten hinsichtlich seiner Funktionsfähigkeit im Alltag bzw. im Beruf, seinem kognitives Vermögen und körperlichen Symptomen, ermittelt aber auch das emotionale Befinden und die wirtschaftliche und soziale Situation des Kranken. Die Auswertung des Fragebogens ergibt durchaus ein Abbild subjektiven Befindens, das besonders im Vergleich - vor und nach der Therapie - aufschlußreich ist.
Der Speiseröhrenkrebs wird meist zu spät erkannt, als daß Heilung noch möglich wäre. Daher ist die Prognose ungünstig. Betroffen sind meistens Männer um das 60.Lebensjahr. Ohne Tumor hätten sie noch eine Lebenserwartung von mindestens 16 Jahren. Tatsächlich liegt die mittlere (nicht die durchschnittliche !) Überlebenszeit bei Personen mit fortgeschrittenem Ösophaguskrebs nach der Operation bei 16 Monaten. Die wenigen Patienten mit günstigerem Ausgangsbefund können mit 39 Monaten rechnen. Einige überleben aber auch 10 Jahre und länger.
Im Vordergrund der Behandlung dieser Krebsart steht die chirurgische Entfernung der Speiseröhre, die durch den nach oben gezogenen Magen ersetzt wird. Ergänzt werden kann die Behandlung durch eine der Operation vorgeschaltete Chemo- und Strahlenbehandlung oder eine der Operation angefügte Radiotherapie. An der Charité wurden die drei Therapiemodalitäten bei Speiseröhrenkrebs gegen die dadurch bewirkte Minderung der Lebensqualität abgewogen:
-Beschränkte sich die Behandlung allein auf die Tumorentfernung, so hatten die Kranken etwas mehr als 2 Monate von der ihnen insgesamt verbliebenen mittleren Überlebenszeit (von 16 Monaten) unter eingeschränkter Lebensqualität gelebt. Dies ergab sich aus der Beobachtung von 30 Patienten.
-34 weitere unterzogen sich im Anschluß an die Operation noch einer Strahlentherapie. Die Nebenwirkungen dieser Nachbehandlung ( Schluckbeschwerden, zunehmendes körperliches Schwächegefühl und unerwünschten Hautreaktionen) waren so erheblich, daß eine Lebensqualität, die in etwa jener vor der Operation entsprach, erst nach Ablauf von mehr als 6 Monaten (der 16 monatigen Überlebensfrist) erreicht wurde. Da auch 3 weitere Studien zeigten, daß die Nachbestrahlung keine Lebensverlängerung bewirkt, wird sie an der Charité nicht mehr angewendet.
-12 Patienten, die vor der Operation sowohl eine Chemo- als auch eine Strahlentherapie erhalten hatten, erreichten einen erträglichen Grad der Lebensqualität sogar erst nach Ablauf von etwa 10 Monaten, so daß rechnerisch nur noch etwa 6 Monate beschwerdearmen Daseins übrig blieben. Nachdem dies klar wurde, brach man die Studie ab und sieht seither von solcher Kombinationsbehandlung bei Patienten mit Ösophaguskarzinom ab.
Zwar liegt der intensiven Vor- oder Nachbehandlung die Vorstellung zugrunde, möglichst alle Tumorzellen, auch die in den örtlichen Lymphknoten, abzutöten. Tatsächlich aber fehlen bisher aussagefähige, große Studien zur Richtigkeit dieser Annahme beim Ösophaguskarzinom. Gestützt wird die Entscheidung für Verzicht auf zusätzliche Therapiemaßnahmen an der Charité auch durch eine auswärtige Untersuchung aus dem Jahre 1997, an der 400 Patienten mit Ösophaguskarzinom teilgenommen hatten. Eine Lebensverlängerung durch einer Behandlung mit Chemotherapeutika vor der Operation konnte nicht erreicht werden.
Silvia Schattenfroh
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
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