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04.11.2022 14:00

Mehr Frauen in neurologische Führungspositionen! Eine Initiative der DGN

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Frauen sind in medizinischen Führungspositionen unterrepräsentiert, obwohl im Medizinstudium und in der Weiterbildungszeit der Frauenanteil überwiegt – die Neurologie bildet hier keine Ausnahme. Die DGN hat eine Arbeitsgruppe gegründet, die die Ursachen der „gläsernen Decke“ untersucht und strukturelle Lösungsansätze erarbeitet, um mehr Frauen in Chefarztpositionen und Ordinariate zu bringen. Erste Ergebnisse einer Mitgliederbefragung liegen bereits vor, die wichtige Impulse geben.

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat sich dem Thema „Gender Equality gewidmet und eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von DGN-Past-Präsidentin Prof. Dr. Christine Klein, Lübeck, gegründet. Hintergrund ist, dass der Anteil von Klinikerinnen in Führungspositionen weiterhin niedrig ist und deutlich unter dem Anteil männlicher Kollegen liegt. Das gilt für nahezu alle Disziplinen, mit Ausnahme der Gynäkologie und Dermatologie [1]. Der prozentuale Anteil an Frauen in Führungspositionen in klinischen Fächern (C4/W3) lag 2019 in deutschen Universitätskliniken bei 13 Prozent [2]. Auch in der Neurologie sind Klinikerinnen in Führungspositionen immer noch selten.

    Nach Eigenrecherche der Arbeitsgruppe besetzen lediglich neun Frauen eines der 63 Ordinariate in der Neurologie – das sind rund 15 Prozent. In den kommunalen Häusern sieht es sogar noch schlechter aus: Von 252 Chefarztpositionen sind 20 von Frauen besetzt, das ist als weniger als 10 Prozent. „Das muss uns zu denken geben, und zwar insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Hälfte der Mitglieder unser Fachgesellschaft weiblich ist und im Medizinstudium und der Weiterbildungszeit Frauen bei Weitem in der Überzahl sind“, erklärt Prof. Christine Klein. „Wir müssen uns fragen: Warum kommen Frauen nicht ‚oben‘ an?“

    Um diese Frage zu beantworten, hat die Arbeitsgruppe eine Befragung der DGN-Mitglieder durchgeführt. Von 9.600 DGN-Mitgliedern mit E-Mail-Adresse haben 499 den Fragebogen ausgefüllt und zurückgeschickt, die Rücklaufrate lag also bei 5,2 Prozent. Hinsichtlich der Karrierestufenverteilung repräsentieren die Umfrageteilnehmenden in etwa die DGN-Mitgliederstruktur, lediglich der Anteil der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung war etwas geringer als in der Fachgesellschaft. Auffällig war aber, dass sich mehrheitlich weibliche DGN-Mitglieder (69,6 Prozent) an der Umfrage beteiligt haben.

    Die Befragung ergab, dass Frauen und Männer am Anfang der Karriere prinzipiell gleich motiviert sind, weit zu kommen. Doch im Verlauf der Karriere kommt es im Zuge der Familiengründung bei Frauen zu einer stärkeren Orientierung aufs Private – gerade Frauen mit kleinen Kindern können und/oder möchten oft nicht Vollzeit arbeiten, wenn es kein familiäres „Back-up“ durch Partner oder Eltern gibt. Die Befragung zeigte, dass Frauen sehr viel häufiger als Männer in Teilzeit arbeiten – und das über alle Karrierestufen hinweg. Besonders oft waren Frauen, die in Partnerschaft leben und mindestens ein Kind haben, in Teilzeit (fast 60 Prozent), bei in Partnerschaft lebenden Männern mit mindestens einem Kind gaben hingegen nur 15 Prozent an, in Teilzeit zu arbeiten. Das zeigt, dass in Partnerschaften lebende Männer weniger häufig die Karriere für die Kinder zurückstellen als Frauen. „Es ist schwierig zu beurteilen, wie viele Frauen das aus ‚systemischen Gründen‘ machen, einfach weil der Mann vielleicht mehr verdient oder sich keine Betreuung für die Kinder organisieren lässt, und wie viele Frauen ganz bewusst und aus eigenem Willen ihre Prioritäten verändern und die eigene Karriere der Familie unterordnen.“

    Ein systemischer Grund, warum Frauen weniger häufig in Führungspositionen anzutreffen sind, ist, dass Teilzeitarbeit in höheren Positionen schwierig ist: Es zeigte sich sehr deutlich, dass der Anteil an Teilzeit mit jeder Karrierestufe sinkt. Teilzeitarbeit in Chefetagen ist sogar extrem selten. Um mehr Frauen in neurologische Chefpositionen zu bringen, müsse diskutiert werden, ob auch in Führungspositionen „Jobsharing“ möglich ist. „Wir müssen hier neue Wege gehen und das alte Paradigma, dass eine Chefposition generell nicht teilbar ist, hinterfragen. Sicher, das Teilen einer Führungsposition ist eine große Herausforderung und setzt eine perfekte, reibungslose Absprache zwischen beiden Akteurinnen/Akteuren voraus, aber man sollte versuchen, Modelle für ein Job-sharing in gehobenen Positionen zu erarbeiten und zu erproben. Wir müssen zumindest eine Kultur entwickeln, die das Suchen nach Lösungen erlaubt“, erklärt Prof. Klein. Neben dem Jobsharing wären auch Rotationsmodelle denkbar, sie hätten jedoch den Nachteil der fehlenden Kontinuität.

    Die DGN-Past-Präsidentin betont aber auch, dass Frauen für sich bewusst die Entscheidung treffen müssen, der Karriere Priorität einzuräumen. „Ich habe oft erlebt, dass Frauen attraktive Positionen angeboten wurden, sie diese aber mit Verweis auf die Work-Life-Balance ablehnten. Ich persönlich habe in meinem Werdegang kaum systemische Diskriminierung erfahren, aber natürlich bringt jeder Karriereschritt mehr Arbeit und Verantwortung mit sich – und dazu muss man bereit sein. Frauen sollten dieser Herausforderung beherzter begegnen und sich mehr zutrauen. Leider habe ich in den letzten Jahren gesehen, dass Frauen sich wieder mehr auf althergebrachte Rollenmodelle berufen und aus freien Stücken erst gar nicht den Versuch wagen, Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren. Ich würde mir eine höhere intrinsische Motivation von Frauen wünschen, die eigenen Karriereziele hochzustecken, und wir möchten hier auch an junge Kolleginnen appellieren, dass es sich lohnt und dass Führungspositionen erreichbar sind.“

    Einen Hoffnungsschimmer gebe es aber. Die Neurologie sei bereits im Wandel, zumindest in den mittleren Positionen sei in den letzten Jahren der weibliche Anteil kontinuierlich gestiegen. Das lässt sich gut am Anteil neurologischer Fachärztinnen ablesen: Der erhöhte sich von 30,19 Prozent im Jahr 2000 über 31,75 Prozent im Jahr 2005, 36,80 Prozent im Jahr 2010 und 42,83 Prozent im Jahr 2015 auf 47,14 Prozent im Jahr 2019. „Insofern wird perspektivisch auch der Anteil an Chefinnen in der Neurologie steigen. Aber um eine wirkliche Parität und ‚Gender Equality‘ zu erreichen, müssen wir die Weichen neu stellen, sonst dauert der Prozess zu lange. Die DGN möchte in diesem Prozess eine Vorreiterfunktion einnehmen und zeigen, dass man durch Strukturänderungen und eine positive Bestärkung mehr Frauen in Führungspositionen unseres Fachs bringen kann. Ich möchte in zehn Jahren zurückblicken und sagen können, dass sich da etwas getan hat.“

    Literatur
    [1] Deutscher Ärztinnenbund (2019) Documentation of the number of women in leading positions in 15 specialities of German university clinics- update. Medical Women on Top [Internet]. https://www.aerztinnenbund.de/downloads/6/MWoT_update_2019.pdf
    [2] Destatis. Direktorate. www.destatis.de2020

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.700 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    http://www.neuro-woche.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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