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19.05.2004 11:44

Das "Hildebrandlied": Universität Kassel bewahrt den Beginn deutscher Literatur

Ingrid Hildebrand Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Kassel

    Eigentlich war alles falsch gelaufen zwischen den beiden. Und dann treffen sie sich mit gekreuzten Klingen auf dem Schlachtfeld. Bittere Erkenntnis ereilt den Alten, spätestens nachdem sich sein Gegner identifiziert hat. Das gehört zu den Regeln des Kampfes, eine Frage der Ehre. Der Vater erkennt den Sohn, kann dessen Misstrauen aber nicht überwinden. "Wohlan nun, waltender Gott", sagt Hildebrand, "Unheil geschieht." Der Ausgang des Kampfes ist unklar und nicht überliefert. Fest steht lediglich, dass es sich um die älteste und einzige erhaltene Überlieferung germanischer Heldendichtung in deutscher Sprache handelt, ein Dokument von einmaliger Bedeutung, vor mehr als 1000 Jahren im Scriptorium der hochberühmten Fuldaer Klosterbibliothek aufgeschrieben: Das "Hildebrandlied", wertvollstes Exemplar der Kasseler Handschriftensammlung in der Universitäts-Bibliothek, markiert den Beginn der geschriebenen deutschen Dichtung.

    Kassel. Eigentlich war alles falsch gelaufen zwischen den beiden. Und dann treffen sie sich mit gekreuzten Klingen auf dem Schlachtfeld. Bittere Erkenntnis ereilt den Alten, spätestens nachdem sich sein Gegner identifiziert hat. Das gehört zu den Regeln des Kampfes, eine Frage der Ehre. Der Vater erkennt den Sohn, kann dessen Misstrauen aber nicht überwinden. "Wohlan nun, waltender Gott", sagt Hildebrand, "Unheil geschieht." Der Ausgang des Kampfes ist unklar und nicht überliefert. Fest steht lediglich, dass es sich um die älteste und einzige erhaltene Überlieferung germanischer Heldendichtung in deutscher Sprache handelt, ein Dokument von einmaliger Bedeutung, vor mehr als 1000 Jahren im Scriptorium der hochberühmten Fuldaer Klosterbibliothek aufgeschrieben: Das "Hildebrandlied", wertvollstes Exemplar der Kasseler Handschriftensammlung in der Universitäts-Bibliothek, markiert den Beginn der geschriebenen deutschen Dichtung. So überrascht es wenig, dass die Brüder Grimm - Begründer der Germanistik und damals Bibliothekare in Kassel - dieses Lied im Jahre 1812 erstmals wissenschaftlich edierten und damit zur weltweiten Berühmtheit einer Vater-Sohn-Geschichte beitrugen, die auch heute noch berührt. Mit einer Faksimile-Ausgabe, die jetzt in dritter, überarbeiteter Auflage bei kassel university press erschienen ist, folgt die Universität Kassel (UNIK) den Spuren der Grimm-Brüder: Die neuerliche Ausgabe erschien in der Reihe "Pretiosa Cassellana" der "Kasseler Semesterbücher", mit der die Universität die Kostbarkeiten ihrer Bibliothek einem breiten Publikum erschließt.
    Dem internationalen Rang des Werks sind in die Edition nicht nur eine zeilengetreue Umschrift, eine zeilengetreue wörtliche Übertragung ins moderne Deutsch, der althochdeutsche Text in Versform, sondern auch eine englische, französische und russische Übersetzung aufgenommen. Die Einführung hat der ehemalige Leiter der Handschriftenabteilung der Kasseler Universitätsbibliothek, Prof. Dr. Hartmut Broszinski übernommen. Die Herausgabe der "Kasseler Semesterbücher" wird durch die Kasseler Sparkasse unterstützt.

    Bescheidene Randnotiz

    Dass das Hildebrandlied die vielen Wirren und Irrungen der Jahrhunderte halbwegs heil überstanden hat, kommt einem Wunder gleich. Ungefähr im vierten Jahrzehnt des neunten Jahrhunderts, so ist man mittlerweile sicher, entstand die Niederschrift des Heldenliedes. Normalerweise wurden Lieder oder Epen nur mündlich überliefert. So ist das Hildebrandlied ursprünglich auch kein eigenständiges Dokument, sondern nur eine bescheidene `RandnotizŽ auf der ersten und der letzten Seite einer Fuldaer Pergamenthandschrift. Um so erstaunlicher ist es, dass diese außergewöhnliche Handschrift schließlich nach Kassel gelangte. Dort entdeckte man erst durch Hinweise des Kasseler Bibliothekars Johann Hermann Schmincke Anfang des 18. Jahrhunderts, welches Konjuwel deutscher Literatur sich hier eingefunden hatte, obwohl man schon seit der Übernahme der Fuldaer Klosterbibliothek im Jahr 1632 im Besitz des Dokuments war.
    Am 20. November 1580 war in Kassel die Landesbibliothek gegründet worden, die sich nach und nach zu einer Schatzkammer schier unermesslichen literarischen und kulturhistorischen Reichtums entwickelte und heute wertvollster Teil der Universitätsbibliothek ist. Allein der Fundus an Handschriften umfasst knapp 10.000 Exemplare. Natürlich war man zu Zeiten der handschriftlichen Vervielfältigung aufgrund der Knappheit an Pergament auf die nahe liegenden Gebiete des täglichen Gebrauchs beschränkt und kannte kaum Belletristik. So ist viel geistliches Schriftgut erhalten, wie zum Beispiel das Liederbuch der Kaiserin Kunigunde aus dem 11. Jahrhundert, ein prachtvolles Graduale, das aus dem alten Kaufunger Kloster in die Bibliothek nach Kassel gelangte. Aber auch Fachschriften sind erhalten wie Bücher der Astronomie, der Medizin, der frühen Kartographie, besonders aber aus dem Bereich der Alchemie, wo die Kasseler Handschriftensammlung die größte Sammlung derartiger Schriften in Deutschland besitzt.

    Vom Fuldaer Kloster in die Kasseler Landesbibliothek
    Immer spiegelt sich in der Geschichte der Schriften die Geschichte der Zeit, in der sie entstanden sind. So gelangte das wertvolle Liederbuch der Kaiserin Kunigunde wie auch zahlreiche andere Bücher erst in den Besitz der Kasseler Bibliothek, als Landgraf Phillip 1527 die Aufhebung der hessischen Klöster verfügte. Eine politische Entscheidung, die die Landesbibliothek um etliche wertvolle Stücke bereicherte. Ähnlich verlief die Geschichte des Hildebrandliedes, das 1632 aus der Klosterbibliothek Fulda seinen Weg nach Kassel fand. Seit 1978 sind die wertvollsten Exemplare der Kasseler Sammlung in einer ständigen Ausstellung in der Murhardschen Bibliothek am Brüder-Grimm-Platz zu bewundern, darunter auch eine Gutenbergbibel von ca. 1450, von der etwa 35 Exemplare auf Pergament und 165 auf Papier gedruckt worden sind. Und aus aktuellerem Bestand dort ebenfalls ausgestellt: Das Original der Paulskirchenverfassung von 1848/49, das in Kassel aufbewahrt wird und zusammen mit dem noch anderen erhaltenen Original aus Berlin ebenfalls in der Reihe "Pretiosa Cassellana" der "Kasseler Semesterbücher" faksimiliert vorliegt.

    Verschollen geglaubte Kriegsbeute
    Im September 1941, noch vor dem großen Bombenangriff auf Kassel von 1943, wurde ein Großteil dessen, was Jahrhunderte an Schätzen angehäuft hatten, in einem Bombenangriff beschädigt oder vernichtet. Zum Schutz der Handschriften veranlasste man schließlich die Auslagerung an "sichere" Orte, unter anderen nach Bad Wildungen oder in Salzstöcke in Thüringen. Obwohl damit die Gefahr der Zerstörung durch Bombenangriffe gebannt war, sicher waren die Schriften keineswegs. Als begehrte Kriegsbeute verschwanden viele Handschriften in das alliierte Ausland, teilweise für immer. Einige Stücke tauchten jedoch in den USA wieder auf. So auch das Hildebrandlied, von dem zunächst nur die Handschrift selbst mit dem Schluss des Liedes in New York auftauchte und man das erste Blatt verschollen glaubte. Doch eindringliche Nachforschungen beförderten auch dieses Blatt ans Tageslicht, das schließlich 1972 nach Kassel zurückgeführt werden konnte.

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    Kontakt zur Herausgabe der Faksimile-Edition des Hildebrandlieds:
    kassel university press GmbH
    Geschäftsführung
    Beate Bergner
    tel (0561) 804 2159
    e-mail bergner@bibliothek.uni-kassel.de

    Kontakt und weitere Information zum Hildebrandlied und zur Kasseler Handschriftensammlung:
    Universitäts-Bibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel
    Leiter der Handschriftenabteilung
    Dr. Konrad Wiedemann
    tel (0561) 804 7340
    e-mail kowi@bibliothek.uni-kassel.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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