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14.11.2022 16:39

Zusammenhang zwischen Emotionen und der Entstehung von Selbstbildern entdeckt

Vivian Upmann Informations- und Pressestelle
Universität zu Lübeck

    Warum schätzen manche Menschen ihre Fähigkeit als gut und andere als schlecht ein, obwohl sie objektiv genau die gleiche Leistung zeigen? Wie solche Selbstkonzepten bei Menschen entstehen, wurde im Rahmen einer aktuellen Studie der Universität zu Lübeck erforscht. Sie zeigt, dass emotionales Erleben und die Art und Weise, wie Menschen neue Konzepte und Überzeugungen bilden, miteinander in direktem Zusammenhang stehen. Der Prozess, wie Menschen zu ihrem Selbstkonzept gelangen, hängt damit zusammen, welche Emotionen sie während des Lernens erleben.

    Lernen aus sozialer Rückmeldung ist mit spezifischen neurocomputationalen Prozessen assoziiert. Dabei sind Überzeugungen, die Menschen über sich selbst haben, nie neutral, sondern hängen von früheren Erfahrungen, dem sozialen Kontext und persönlichen Motivationen ab. Das macht es generell schwierig, den Prozess der Entstehung, solcher Konzepte über die eigene Person zu untersuchen. In der aktuellen Studie der Universität zu Lübeck wurde daher zunächst die Entstehung eines spezifischen Leistungsselbstkonzeptes untersucht, d.h. die Überzeugung, eine Aufgabe erfolgreich bewältigen zu können. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass der Prozess, wie Menschen zu ihrem Selbstkonzept gelangen, damit zusammenhängt, welche Emotionen sie während des Lernens erleben.

    In der Studie, die in der Zeitschrift Communications Biology veröffentlicht wurde, untersuchten die Forscherinnen und Forscher wie emotionales Erleben mit der Verarbeitung überraschend positiver oder negativer Rückmeldungen zusammenhängt. Die Rückmeldungen erhielten die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer während der Durchführung von Schätzaufgaben.

    Frühere Forschungsarbeiten, vor allem in der Pädagogischen Psychologie, konzentrierten sich darauf, wie schon etablierte Selbstkonzepte, z.B. die Überzeugung einer Schülerin über ihre mathematischen oder sportlichen Fähigkeiten, von der Lernumgebung abhängen oder die künftige Berufswahl beeinflussen. Die aktuelle Studie setzt an einem früheren Zeitpunkt an und geht der Frage nach, wie Menschen überhaupt erst zu ihren Selbstkonzepten kommen.

    "Wir haben beobachtet, dass Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer, die verstärkt Peinlichkeit erleben, dazu neigen, sich beim Lernen mehr auf negatives Feedback zu konzentrieren. Als Reaktion auf negativeres Feedback zeigten sie auch eine stärkere Aktivierung von Bereichen im Gehirn, die typischerweise damit assoziiert sind, den Wert von Informationen und emotionales Erleben abzubilden. Unsere Erkenntnisse über den Einfluss emotionaler Erfahrungen wie Peinlichkeit oder Stolz während des Lernens helfen uns zu verstehen, wie sich Leistungsrückmeldungen in Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten manifestieren. Und dies kann sich wiederum auf Entwicklungsprozesse und zukünftiges Verhalten auswirken", so Dr. Laura Müller-Pinzler, Forscherin an der Universität zu Lübeck und Erstautorin der Studie.

    In der Studie, die funktionelle Kernspintomographie (fMRT) einsetzte, schätzten insgesamt 39 junge Erwachsene wiederholt Eigenschaften wie das Gewicht von Tieren oder die Höhe von Häusern und erhielten anschließend eine fingierte Rückmeldung über ihre Schätzleistung.

    "Wir haben diese etwas abstrakten Schätzkategorien gewählt, weil wir davon ausgehen, dass die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer keine festen Vorannahmen über diese spezifischen Fähigkeiten haben. Auf diese Weise konnten wir die Teilnehmenden dazu bringen, völlig neuartige Selbstkonzepte auszubilden und währenddessen die zugrunde liegenden neurocomputationalen Prozesse untersuchen", erklärt Sören Krach, Professor am Social Neuroscience Lab an der Klinik für Psychiatrie der Universität zu Lübeck und Letztautor der Studie.

    Vor jeder Schätzung gaben die Teilnehmenden ihre jeweilige Erwartung für die folgende Schätzkategorie an. In einer Kontrollbedingung beobachteten sie eine andere Person bei der Durchführung der Schätzaufgabe und sollten hier ihre Erwartung über die vermutete Schätzleistung der anderen Person angeben. Mehrmals wurden sie zudem dabei aufgefordert, ihr aktuelles emotionales Erleben anzugeben. Über eine Analyse der Art und Weise, wie sich die Erwartungen der Teilnehmenden in Abhängigkeit der Rückmeldungen änderten, konnten die Forschenden die Lernprozesse modellieren, die der Entstehung dieser neuen Konzepte über die eigene Fähigkeit zugrunde liegen.

    Wie aufgrund vorheriger Studienergebnisse bereits erwartet, war die Entstehung dieser Selbstkonzepte in zweifacher Hinsicht verzerrt: Eine erste Verzerrung zeigte sich darin, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Durchführung der Aufgabe negative gegenüber positiven Rückmeldungen bevorzugt verarbeiteten. Diese Verzerrung war spezifisch für selbstbezogenes Feedback und nicht beobachtbar, wenn sie etwas über die Fähigkeiten der anderen Person lernten. Zweitens empfanden Personen mit einer stärkeren Verzerrung hin zu negativen Informationen auch stärkeres emotionales Arousal, wenn sie mit negativem Feedback konfrontiert wurden. Dies zeigte sich für den Moment des Erhalts des Feedbacks auf physiologischer Ebene in Veränderungen der Pupille und auf neuraler Ebene in einer veränderten Aktivität von Hirnregionen, die an der Affektregulation beteiligt sind. Zusammengenommen deuten die Ergebnisse auf neurocomputationale Mechanismen hin, bei denen emotionales Erleben und die Art und Weise, wie Menschen neue Konzepte über ihre Fähigkeiten entwickeln, in einem Zusammenhangen stehen.

    "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Aktivität der vorderen Insula, einer Hirnstruktur, die als zentral für die Verarbeitung emotionaler Erlebnisse gilt, in neuronale Prozesse eingebettet ist, die beteiligt sind, wenn Menschen aus Feedback über sich lernen. Wir denken, dass dies eine Grundlage dafür sein könnte, wie Emotionen zu Verzerrungen im Selbstkonzept beitragen und in verzerrte Selbstbilder übersetzt werden", erklärt Laura Müller-Pinzler.

    "Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten und damit verbundene Selbstwirksamkeitserwartungen sind enorm wichtig, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Unsere Studien zeigen, dass das Selbstkonzept mit der affektiven Erfahrung während des Lernens assoziiert ist. Während soziales Feedback auf unsere Leistungen im Alltag mehrdeutig sein kann, und wir auch immer wieder Erfahrungen des Scheiterns machen, ist es für die Entwicklung starker Selbstwirksamkeitsüberzeugungen förderlich, wenn die positiven Emotionen die negativen Erfahrungen während des Lernens überwiegen."


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Sören Krach / Dr. Laura Müller-Pinzler
    Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
    Universität zu Lübeck
    Marie-Curie-Strasse / Gebäude CBBM
    23562 Lübeck
    soeren.krach@uni-luebeck.de


    Originalpublikation:

    https://www.nature.com/articles/s42003-022-04165-3


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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