Auf der UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm El-Scheikh wird intensiv darüber diskutiert, wie die Folgen des Klimawandels eingegrenzt und abgemildert werden können. Bislang fokussiert die Diskussion auf Umwelt, Lebensumstände und die körperliche Gesundheit der Menschen. Nicht minder dramatisch sind die Auswirkungen aber für die Psyche. Die DGPPN-Task-Force „Klima und Psyche“ hat erarbeitet, was über den Zusammenhang von Psyche und Klimawandel bekannt ist und nun mit der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ Handlungsaufforderungen für die Politik und eine Selbstverpflichtung der Psychiatrie vorgestellt.
Vermehrte Suizide bei Hitze, Posttraumatische Belastungsstörungen in Folge von Extremwetterereignissen oder neue Syndrome wie Eco-Distress oder Solastalgie – der Klimawandel gefährdet die psychische Gesundheit, direkt und indirekt. Der psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsbedarf wird steigen und die Psychiatrie muss sich darauf einstellen. Bislang ist das Gesundheitssystem darauf nicht vorbereitet.
Mit der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ fordert die Psychiatrie die Politik auf, sofort tätig zu werden. Es müssen jetzt die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die psychiatrische Versorgung auch in der Klimakrise gewährleisten zu können. Gesundheitsförderung muss in allen politischen Bereichen priorisiert und die seelische Gesundheit konsequent einbezogen werden. Das Gesundheitssystem muss für den steigenden Bedarf gerüstet werden. Gleichzeitig verpflichten sich die in der Psychiatrie Tätigen, ihren Beitrag zur Bewältigung der enormen Herausforderungen zu leisten und die Psychiatrie nachhaltig und klimaneutral zu machen.
Auch die DGPPN will künftig noch konsequenter für die Klimaneutralität eintreten. Von dem weitgehenden Verzicht auf Papier in der Geschäftsstelle über die Kompensation von C02-Emissionen für den Jahreskongress, die Nutzung CO2-neutraler Dienstleister bis zur Förderung von Forschungsvorhaben zum Thema Klima und Psyche geht die Fachgesellschaft mit gutem Beispiel voran.
Als Handlungsleitfaden dient dabei ein neu erstelltes Positionspapier „Klima und Psyche“. Neben dem aktuellen Forschungsstand sind darin auch Checklisten und Materialsammlungen für Kliniken und Praxen zusammengestellt. „Die Psychiatrie als Disziplin kann so das ihrige tun, den Klimawandel und seine Folgen zu beeinflussen. Insbesondere aber können wir als Psychiater und Psychotherapeuten entscheidend dazu beitragen, dass die Bevölkerung den kommenden Belastungen psychisch stabil entgegentreten kann“, skizziert der Past President der DGPPN Andreas Heinz die Möglichkeiten der Psychiatrie. Der designierte DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg ergänzt: „Jede weitere Unterschrift unter der „Berliner Erklärung“ ist ein Zeichen dafür, dass die Psychiatrie Verantwortung für die Zukunft übernimmt.“
Die „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ kann unter dgppn.de unterzeichnet werden.
Statements:
Prof. Dr. Eckart von Hirschhausen, Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ über die Klimakrise und psychische Gesundheit und sein Engagement für die „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“:
„Die Klimakrise ist keine Jugendbewegung und auch keine Modeerscheinung. Es ist die existenziellste Krise, die die Menschheit je zu bewältigen hatte. Spätestens 2021 wurde durch die Flutkatastrophe im Ahrtal jedem die zerstörerische Kraft der Extremwetter deutlich, auch die damit verbundene Gefahr der seelischen Traumatisierung wurde offenbar. In diesem Sommer 2022 wurden die Auswirkungen von starker Hitze auf Körper und Psyche deutlich und die Dürre führte in ganz Europa, und auch speziell in Teilen von Deutschland, zu trockenen Böden und Trinkwassermangel. Angst machte sich breit und allen wurde bewusst: Unser Handeln in den nächsten zehn Jahren beeinflusst unsere Lebensbedingungen auf diesem Planeten für die nächsten 10.000 Jahre.
Als ehemaliger Arzt in der Kinderpsychiatrie liegt mir das Thema seelische Gesundheit immer schon sehr am Herzen. Ich freue mich deshalb sehr über die Initiative der DGPPN und die Botschaft der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“. Ärztinnen und Ärzte haben eine starke Stimme. Sie für den Klimaschutz zu erheben, wird für Gehör sorgen – das Gehör ihrer Patientinnen und Patienten, der Kolleginnen und Kollegen und auch der Politik.“
Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Past President der DGPPN, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin über die Folgen des Klimawandels für die psychische Gesundheit:
„Die menschengemachte Zerstörung der Biodiversität der Erde und der damit einhergehende Klimawandel wirken sich direkt negativ auf unsere psychische Gesundheit aus. Zunehmende Temperaturen, Luftverschmutzung und Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürren, Stürme und Brände stellen enorme Belastungen dar. Die Prävalenz Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) steigt nach zerstörerischen Extremwetterereignissen massiv an: Nach dem Hurrikan Katrina wies 2005 fast jeder dritte Bewohner in New Orleans Symptome einer PTBS auf, auch nach einer Flutkatastrophe in England litten ein Jahr nach dem Ereignis 36 % der Bevölkerung in der Region unter PTBS. Wenn Naturkatastrophen die Lebensgrundlage von Betroffenen zerstören, steigen auch Generalisierte Ängste, Depressionen und die Suizidraten. Auch Hitzewellen und Luftverschmutzung haben direkte Auswirkungen auf die Psyche. Je höher die Belastung durch Feinstaub, desto höher ist beispielsweise die Anzahl der Suizide. Und starke Hitze schränkt nicht nur die menschliche Konzentrations- und Funktionsfähigkeit ein. Eine aktuelle Meta‐Analyse zeigt, dass pro 1°C-Temperaturanstieg auch das Risiko für psychische Erkrankungen steigt – um 0,9 %.
Zu diesen direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit addieren sich die indirekten Folgen: Ökonomische Krisen, Nahrungsmittelunsicherheit, gewaltvolle Konflikte und die Vertreibung von Menschen. All dies – sowie neue, vollkommen begründete Zukunftsängste – sind zusätzliche, massive Belastungs- und Risikofaktoren für die psychische Gesundheit. Die Psychiatrie sieht es als ihre Aufgabe, über diese Zusammenhänge aufzuklären und Menschen in dieser Krise so weit wie möglich psychisch zu stabilisieren.“
Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, President Elect der DGPPN, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim zu den Auswirkungen des Klimawandels auf das psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungssystem:
„In der Psychiatrie und Psychotherapie müssen wir in den nächsten Jahren mit einer Häufung von Erkrankungen rechnen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Unsere Patientinnen und Patienten gehören zu einer für die Folgen des Klimawandels besonders anfälligen, vulnerablen Gruppe. Psychische Erkrankungen sind
z. B. einer der wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Todesfälle. Sie verdreifachen das Mortalitätsrisiko während Hitzewellen und sind damit schwerwiegender als kardiovaskuläre oder Lungenerkrankungen. Die Patienten können sich häufig nicht ausreichend selbstständig vor Hitze schützen, deshalb muss das Versorgungsystem hier aktiv werden. Wir müssen schon jetzt überlegen, wie wir die psychiatrische Versorgung nach Naturkatastrophen aufrechterhalten und wie wir auch neu auftretende Syndrome wie Eco-Distress, Klimaangst und Solastalgie behandeln können. Dafür brauchen wir ein erweitertes Spektrum psychiatrisch-psychotherapeutischer Angebote und Spezial-ambulanzen. Zudem müssen wir natürlich die Psychiatrie selbst klimaneutral machen – und zwar sowohl im Bereich der klinischen Versorgung, der Forschung als auch der Aus- und Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen. Die DGPPN strebt die Klimaneutralität bis 2030 an.“
Prof. Dr. Mazda Adli, Chefarzt Fliedner Klinik Berlin, Leiter des Forschungsbereichs „Affektive Erkrankungen“ der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin über die „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ und die Verantwortung von Psychiatrie und Politik:
„Als Psychiater und Psychotherapeuten betrachten wir es als unsere persönliche und berufliche Verantwortung über den Zusammenhang von Klimawandel und psychischer Gesundheit aufzuklären und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit zu behandeln. Mit Aufklärung und Behandlung allerdings ist es nicht getan. Deshalb haben wir mit der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ drängende Forderungen an die Politik formuliert. Es sind Dinge, die getan werden können und müssen, um die Folgen des Klimawandels für die psychische Gesundheit und insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen abzumildern. Dafür muss Gesundheitsförderung in allen Bereichen priorisiert und die seelische Gesundheit konsequent einbezogen werden. Zudem muss die Politik bei der Planung der zukünftigen psychiatrischen Versorgung berücksichtigen, dass Extremwetterereignisse und klimawandelspezifische Belastungen zu neuen und steigenden Bedarfen führen werden. Mit der Unterzeichnung der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ unterstütze ich diese Forderungen an die Politik und verpflichte mich, in unserer Klinik das Möglichste zu tun, einen Beitrag zur Bewältigung der enormen Herausforderungen der Klimakrise zu leisten.“
Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz (andreas.heinz@charite.de)
Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg (a.meyer-lindenberg@zi-mannheim.de)
Prof. Dr. Mazda Adli (mazda.adli@fliedner.de)
https://dgppn.de/schwerpunkte/klima-und-psyche.html Zusammenfassung der Forschungslage zu Klimawandel und psychischer Gesundheit, inkl. der Möglichkeit, die Berliner Erklärung zu unterzeichnen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Meer / Klima, Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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