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02.12.1998 15:28

RUB-ZEFIR erforscht "elitenfreiezone" Ruhrgebiet

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Die Spuren von Wirtschaftseliten im Ruhrgebiet verfolgt seit kurzem das Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) der RUB. In einem von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderten und auf zweieinhalb Jahre angelegten Forschungsprojekt untersuchen die Bochumer Wissenschaflter dabei u. a. die Hypothese vom Ruhrgebiet als einer "elitenfreien" Zone.

    Bochum, 02.12.1998
    Nr. 270

    Wie Industriekapitäne verschwinden ...
    ZEFIR erforscht "elitenfreiezone" Ruhrgebiet
    Von der Weltwirtschaftskrise zur sozial-liberalen Ära

    Die Spuren von Wirtschaftseliten im Ruhrgebiet verfolgt seit kurzem das Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) der RUB. In einem von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderten und auf zweieinhalb Jahre angelegten Forschungsprojekt untersuchen die Bochumer Wissenschaflter dabei u. a. die Hypothese vom Ruhrgebiet als einer "elitenfreien" Zone. Dieses Projekt ist Teil einer umfassenden Untersuchung der Geschichte der Oberschichten des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundet. Geleitet wird das von Dr. Stefan Unger bearbeitete Projekt von Hochschuldozent Dr. Werner Plumpe. Die Professoren Dr. Dietmar Petzina, Dr. Klaus Tenfelde und Dr. Bernd Faulenbach begleiten wissenschaftlich das Projekt.

    Eliten von der Forschung lange vernachlässigt

    Lange Zeit gehörten Untersuchungen zu Eliten zu den stiefmütterlich behandelten Bereichen der sozialhistorischen Forschung. Als sogar "bemerkenswert unbefriedigend" bezeichnen die Forscher den Kenntnisstand über die einst mächtige und machtbewußte wirtschaftliche Führungsgruppe des rheinisch-westfälischen Industriegebiets. Dabei mangelt es nicht an einzelbiographischen Studien aus der montanindustriellen Wirtschaft. Allerdings vermissen sie Studien, die etwas über das Sozialprofil dieser Schicht aussagen. Zugespitzt formuliert: Das Wissen über die Bergarbeiter ist heute größer als das über die Bergwerksdirektoren, weil seit den siebziger Jahren die gesellschaftlichen Unterschichten zu den Modethemen der sozialhistorischen Forschung gehören.

    Ruhrgebiet - eine "elitenfreie Zone"

    Das heutige Ruhrgebiet bildet eine "elitenfreie Zone", ist die Arbeitshypothese der Bochumer Forscher. Sie bestreiten zwar nicht die Existenz einer wirtschaftlichen Führungsschicht - eines abgrenzbaren Personenkreises, der mit ökonomischen Leistungsfunktionen betraut ist -, doch in der öffentlichen Rede und wissenschaftlichen Diskussion taucht im Ruhrgebiet der Begriff der "Elite" nicht auf. Der Grund könnte sein, daß unter dem Nationalsozialismus die traditionellen regionalen Wirtschaftseliten, die durch ein ausgeprägtes Machtbewußtsein und ihren Führungsanspruch charakterisiert waren, sozial, kulturell und aus dem öffentlichem Raum zurückgedrängt wurden. Dieser Prozeß ebnete frühere Mobilitätsbarrieren ein und löste traditionelle soziale Funktionseliten ab; ein Prozeß, der sich in später der Bundesrepublik mit der Entflechtung der Industrie, der Montankrise, der Gründung der Ruhrkohle AG, "Sozialdemokratisierung" des Reviers und der Montanmitbestimmung beschleunigt fortsetzte

    Von der zweiten Reihe in den Chefsessel

    Vergleichsweise nicht-elitär war daher die soziale Herkunft der westdeutschen Wirtschaftselite, die nach dem Krieg an die Führungsspitze gelang und Ende der sechziger Jahre abtrat. Der größte Teil dieser Gruppe hatte während des Dritten Reichs sein Studium, den Eintritt in das Berufsleben und seine ersten Karriereschritte durchlaufen. Der große Arbeitskräftebedarf und die Mobilitätsstrukturen des Nationalsozialismus begünstigten, daß die potentiellen Führungskräfte jener Jahre einer breiteren sozialen Basis als der im Kaiserreich und der Weimarer Republik entstammten. Im Ruhrgebiet wurde der Einzug dieser Gruppe nach dem Krieg besonders begünstigt, da viele Spitzenstellen frei wurden und Nachfolger gesucht wurden, die durch ihre Tätigkeit unter dem nationalsozialistischen Regime nicht allzu kompromittiert waren.

    Im Ruhrgebiet ging man andere Wege

    Diese deutschen Sonderbedingungen der Karriere- und Rekrutierungsmuster für die neue Führungsschicht gingen gleichzeitig mit einem weithin nicht existenten, öffentlichen Sprechen über Eliten einher, was zu einem tiefgreifendem Einschnitt in der Öffentlichkeit im Ruhrgebiet führte. Die für das Ruhrgebiet lange Zeit so typischen "Industriekapitäne" und "Generaldirektoren" mit einem steten konservativ und autoritär geprägten Stil traten nicht mehr auf. Dieser Stil, der bei der neuen Führungsriege verzweifelt gesucht wurde, beschleunigte damit das weitgehende Abtreten der wirtschaftlichen Oberschicht aus dem öffentlichen Raum.

    Von den Medien und dem öffentlichen Sprechen über Eliten

    Diesen Prozeß verfolgen die Bochumer Historiker als Teil eines umfassenderen Forschungsdesigns zur Geschichte der Wirtschaftselite des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundert. Sie behandeln schwerpunktmäßig die Zeit zwischen den Jahren 1930 und 1970. Die Untersuchung entsteht vor dem Hintergrund und in der Auseinandersetzung mit veränderten politischen Bedingungen, sozialen Verhältnissen ökonomischen Strukturen in der Gesellschaft. Dabei stehen drei Aspekte im Zentrum der Untersuchung: die Entwicklung von Medien, die Formen der Selbstdarstellung der Führungsschicht und die Fremdwahrnehmung der Gruppe in der Öffentlichkeit. Mittelfristige Änderungen in der strukturellen Zusammensetzung dieser sozialen Gruppe Beachtung sollen dabei auch untersucht werden.

    Weitere Informationen

    Dr. Stefan Unger, Ruhr-Universität Bochum, Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR), HZO 32, Universitätsstr. 150, 44780 Bochum, Tel.: 0234/700-4675, Fax.: 0234/7094-253


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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