idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
21.12.2022 17:00

Die rasante Evolution der Spermatogenese

Marietta Fuhrmann-Koch Kommunikation und Marketing
Universität Heidelberg

    Der evolutionäre Druck bei männlichen Säugetieren, die Zeugung von eigenem Nachwuchs sicherzustellen, hat zu einer rasanten Evolution des Hodens geführt. Bioinformatische Untersuchungen, die ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Henrik Kaessmann, Wissenschaftler am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg, durchgeführt haben, zeigen, dass dieser Druck insbesondere die Evolution später Stadien der Spermienbildung beschleunigt hat.

    Pressemitteilung
    Heidelberg, 20. Dezember 2022

    Die rasante Evolution der Spermatogenese
    Heidelberger Wissenschaftler entschlüsseln die genetischen Grundlagen der schnellen Hodenevolution bei verschiedenen Säugetierarten und beim Menschen

    Der evolutionäre Druck bei männlichen Säugetieren, die Zeugung von eigenem Nachwuchs sicherzustellen, hat zu einer rasanten Evolution des Hodens geführt. Bioinformatische Untersuchungen, die ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Henrik Kaessmann, Wissenschaftler am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg, durchgeführt haben, zeigen, dass dieser Druck insbesondere die Evolution später Stadien der Spermienbildung beschleunigt hat. Ziel war es, erstmals vergleichend die genetische Steuerung der Spermienbildung bei verschiedenen Säugetierarten und beim Menschen zu entschlüsseln und damit die Evolution der sogenannten Spermatogenese nachzuzeichnen. Dabei konnten die Forscher auch Gene aufspüren, deren Aktivität in der Evolution unverändert geblieben ist.

    Die Spermienbildung im Hoden wird durch ein fein abgestimmtes und komplexes Zusammenspiel der Aktivität verschiedener Gene – auch Genexpression genannt – kontrolliert. Bisher war das Verständnis dieser genetischen Programme zum größten Teil auf die Maus beschränkt. „Weitgehend unbekannt waren somit die genetischen Grundlagen, die die großen Unterschiede der Spermatogenese bei verschiedenen Säugetieren ausmachen, sowohl hinsichtlich der Anzahl gebildeter Spermien als auch im Hinblick auf ihre Eigenschaften“, erläutert Noe Mbengue, Doktorand in Prof. Kaessmanns Forschungsgruppe „Evolution des Säugetiergenoms“. Den Heidelberger Wissenschaftlern ist es nun gelungen, auf Zellebene die Expression aller Gene über den gesamten Zeitraum der Spermatogenese hinweg für zehn verschiedene Säugetiere zu bestimmen. Die untersuchten Organismen repräsentieren alle großen Säugetiergruppen und schließen den Menschen sowie seine nächsten Verwandten – die Menschenaffen – ein. Die Forscher nutzten dazu hochmoderne Techniken der Einzelzell-Sequenzierung.

    Auf der Grundlage dieser Daten konnten sie anschließend mithilfe von bioinformatischen Vergleichen zwischen den verschiedenen Säugetieren die Evolution der Spermatogenese nachzeichnen. Nach Angaben von Prof. Kaessmann haben diese vergleichenden Untersuchungen ein zeitliches Muster aufgedeckt. „Während die genetischen Programme in frühen Stadien der Spermatogenese sehr ähnlich zwischen den Säugetieren sind, so weichen sie in späten Stadien stark voneinander ab; das heißt, dass die rasante Evolution des Hodens ein Ergebnis großer Unterschiede in Zellen der späten Spermatogenese ist“, betont Dr. Florent Murat, ehemals Postdoktorand in der Forschungsgruppe von Henrik Kaessmann und jetzt Gruppenleiter am Nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE) in Rennes (Frankreich). Weitere Analysen der Wissenschaftler enthüllten die Gene, deren Aktivität im Laufe der Evolution unverändert geblieben ist. Sie steuern fundamentale Prozesse der Spermienbildung, die in allen Säugetieren gleich ablaufen. „Unsere Daten liefern also auch wertvolle Grundlagen für die Erforschung von Fruchtbarkeitsstörungen bei Männern“, erklärt Prof. Kaessmann.

    Schließlich konnten die Wissenschaftler mit ihren Daten das erste Mal Spermien unterscheiden, die jeweils ein X- oder Y-Chromosom tragen und so das Geschlecht der Nachkommen bestimmen. Mithilfe dieser Aufteilung gelang es den Forschern, die Expression der Gene auf diesen Geschlechtschromosomen systematisch zu untersuchen. Wie diese Untersuchungen gezeigt haben, wird die Genexpression auf den Geschlechtschromosomen aller männlichen Säugetiere während der Reifeteilung, der sogenannten Meiose, herunterreguliert. Dieser Mechanismus ist vermutlich entscheidend, um einen nachteiligen genetischen Austausch zwischen dem X- und dem Y-Chromosom während der Meiose zu verhindern.

    Die Ergebnisse der Studie zur Evolution der Spermienbildung bei Säugetieren wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Der Europäische Forschungsrat, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Australian Research Council und die Novo Nordisk Foundation haben die Forschungsarbeiten unterstützt.

    Kontakt:
    Universität Heidelberg
    Kommunikation und Marketing
    Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
    presse@rektorat.uni-heidelberg.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Henrik Kaessmann
    Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg
    Telefon (06221) 54-5854
    h.kaessmann@uni-heidelberg.de


    Originalpublikation:

    F. Murat, N. Mbengue, S. Boeg Winge, T. Trefzer, E. Leushkin, M. Sepp, M. Cardoso-Moreira, J. Schmidt, C. Schneider, K. Mößinger, T. Brüning, F. Lamanna, M. Riera Belles, C. Conrad, I. Kondova, R. Bontrop, R. Behr, P. Khaitovich, S. Pääbo, T. Marques-Bonet, F. Grützner, K. Almstrup, M. Heide Schierup, H. Kaessmann: The molecular evolution of spermatogenesis across mammals. Nature (published online 21 December 2022), DOI: 10.1038/s41586-022-05547-7, https://www.nature.com/articles/s41586-022-05547-7


    Weitere Informationen:

    http://www.zmbh.uni-heidelberg.de/Kaessmann – Forschungsgruppe von Henrik Kaessmann
    https://apps.kaessmannlab.org/SpermEvol – Frei zugängliche Datenbank


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).