Politische Bildung: Oberstufe schlechter als Berufsschule
Bielefelder Wissenschaftler veröffentlichen 5. Ranking Politische Bildung
Welchen Stellenwert hat politische Bildung je nach Schulform, -stufe und Bundesland? Das erforschen Professor Dr. Udo Hagedorn, Mahir Gökbudak und Professor Dr. Reinhold Hedtke von der Universität Bielefeld in ihren Rankings Politische Bildung. Sie haben nun das 5. Ranking mit Daten aus dem Jahr 2021 veröffentlicht. Eines ihrer Kernergebnisse: Die gymnasiale Oberstufe schneidet dramatisch schlechter ab als Berufsschulen.
Den Schüler*innen der Oberstufe von Gymnasien und Gesamtschulen wird an der Schwelle zur Wahlberechtigung deutlich weniger politische Bildung angeboten. Erstmals wurde auch der Stellenwert politischer Bildung in Sekundarstufe II an Gymnasium und Gesamtschule gemessen. In keinem Bundesland ist zudem das Leitfach der politischen Bildung durchgehend ab der Klasse 5 verbindlich.
„Die erhobenen Daten bestätigen erneut, dass schulische politische Bildung in Deutschland und innerhalb der einzelnen Länder geringgeschätzt und ungleich behandelt wird“, stellt Professor Dr. Reinhold Hedtke fest. Er ist der Leiter der Studie. „Enttäuschend für uns waren die neuen Erkenntnisse aus der Erhebung in der Sekundarstufe II.“
Für das 5. Ranking befassen sich Mahir Gökbudak, Professor Dr. Udo Hagedorn und Professor Dr. Reinhold Hedtke mit dem zeitlichen Umfang und der Platzierung des Leitfaches der politischen Bildung in den Sekundarstufe I und II sowie in der Berufsschule in Deutschland. Dafür analysieren sie die Stundentafeln der jeweiligen Schulformen und ermitteln so die Position der politischen Bildung in einem Bildungsgang. Die Stundentafeln für die Berufsschule sehen bundesweit für jedes Jahr obligatorischen Politikunterricht vor (mit Ausnahme von Hamburg), während dies nur in sechs Ländern auch für die gymnasiale Oberstufe gilt. In der Berufsschulausbildung sind die Quoten für politische Bildung also deutlich höher, verbindlicher und durchgängiger als in der Sekundarstufe II von Gymnasium und Gesamtschule.
Mehr als ein Drittel der Bundesländer verzichtet in der Oberstufe vollkommen auf politische Bildung. Nur drei Bundesländer räumen dem Leitfach der politischen Bildung deutlich mehr als drei Prozent der Gesamtwochenstunden ein. „Die Lernzeiten für die politische Bildung variieren unerklärlich stark über die Länder hinweg, aber auch zwischen den Schulformen innerhalb eines Landes“, sagt Professor Dr. Reinhold Hedtke und ergänzt: „Das Recht der angehenden Wähler*innen auf politische Bildung wird an beruflichen und an allgemeinbildenden Schulen sehr unterschiedlich realisiert.“
„Von einer Gleichwertigkeit der politischen Bildung nach Schulstufen, Schulformen und Bundesländern kann keine Rede sein“, stellt Mahir Gökbudak fest. In sechs Bundesländern schließen die Lernenden die Oberstufe ohne verpflichtenden Unterricht in politischer Bildung ab. „Politisch-demokratische Kompetenzen sind wesentliche Voraussetzungen für die fortlaufende Erneuerung von Demokratie in Politik und Gesellschaft“, ergänzt Gökbudak. Die Sozialwissenschaftler erhoffen sich auf Grundlage der Studienergebnisse eine Anpassung der Stundentafeln auf Grundlage der Studienergebnisse. Hedtke: „Es muss wenigstens die Möglichkeit bestehen, für die Jugendlichen durchgehend einen Raum für politische Bildung zu schaffen, in dem sie sich mit politischen Themen beschäftigen können. Nicht mal das ist in allen Bundesländern gewährleistet.“
Stagnation der Politischen Bildung in der Sekundarstufe I
In der Sekundarstufe I zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in den vergangenen Erhebungen ab und es hat sich kaum etwas verbessert. Das Schlusslicht bilden seit fünf Jahren Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Seit 2017 haben sich Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie geringfügig auch Sachsen-Anhalt verbessert. „Wir sehen kleine positive Entwicklungen, aber nur in einzelnen Ländern und nicht als allgemeiner Trend“, hält Hagedorn fest. „Die alarmierenden Punkte aus unseren vorherigen Rankings wurden durchaus wahrgenommen, aber zu zögerlich und nicht flächendeckend bearbeitet.“
Chancengleichheit bei der Entwicklung von Politik- und Demokratiekompetenz
Laut den Wissenschaftlern müsse die Bildungspolitik sich kritische Fragen zur Chancengleichheit bei der Entwicklung von Politik- und Demokratiekompetenz in der Schule stellen lassen. Eine nationale Strategie für politische Bildung sei in Deutschland nicht in Sicht. Deshalb regen die Sozialwissenschaftler eine bildungspolitische Debatte darüber an, inwieweit die starke Ungleichheit der schulischen politischen Bildung der jungen Generation bekämpft werden kann und damit ein gleiches Recht auf politische Bildung für die Entwicklung demokratischer Persönlichkeiten gewährleistet wird. Ein gleiches Zeitbudget für politische Bildung für alle Schüler*innen sei hierfür eine zentrale Voraussetzung.
Prof. Dr. Reinhold Hedtke, Universität Bielefeld
Fakultät für Soziologie
Telefon: 0521 106-3983
E-Mail: reinhold.hedtke@uni-bielefeld.de
https://pub.uni-bielefeld.de/download/2967744/2967753.pdf Gökbudak M., Hedtke R., Hagedorn U.: Ranking Politische Bildung 2021. Social Science Education/Working Papers.
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Universität Bielefeld
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Schule und Wissenschaft
Deutsch
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