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02.02.2023 17:00

Unentdeckt: Wie Keime die Abwehr ihrer Ameisenwirte umgehen

Florian Schlederer Communications and Events
Institute of Science and Technology Austria

    Nicht nur Menschen sind soziale Wesen, auch im Insektenreich finden sich soziale Merkmale. In einer Gruppe pflegen Ameisen erkrankte Individuen und erschweren mit kollektiven Hygienemaßnahmen die Verbreitung von Krankheitserregern. Keime müssen also nicht nur das Immunsystem einer einzelnen Ameise austricksen, sondern auch die Gesundheitsfürsorge der Gruppe. Wie sie das machen, zeigt nun die neueste Studie von Forscher:innen am ISTA, welche in Nature Ecology & Evolution veröffentlicht wurde. Raffinierte Keime entgehen dem Abwehrsystem der Ameisenkolonie, indem sie ihre eigenen Erkennungssignale reduzieren.

    Gesundheit ist ein ständiger Wettlauf: Krankheitserreger wollen die Oberhand über das Immunsystem gewinnen und entwickeln dadurch clevere Ausweichstrategien. Das Immunsystem versucht dagegen anzukämpfen. Eine Möglichkeit, das Immunsystem des Betroffenen zu unterstützen, ist die medizinische Intervention. Das kann aber auch zu unerwünschten Anpassungen des Krankheitserregers führen, wie sie etwa in antibiotikaresistenten Bakterien zu beobachten sind. Eine andere mögliche Strategie ist die soziale Intervention. Dabei versuchen soziale Gruppen wie Ameisen, Infektionen mit „sozialer Immunität“ zu bekämpfen, d. h. mit kollektiven Hygiene- und Gesundheitsmaßnahmen, die eine weitere Ausbreitung der Krankheit in der Gemeinschaft verhindert. Ob und wie Krankheitserreger auf diese Art von Gruppenverhalten reagieren, ist weitgehend ungeklärt.

    Die neueste Studie von Professorin Sylvia Cremer und ihrem Forschungsteam am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) präsentiert die Auswirkungen dieser Art von Wirt-Parasit-Interaktionen. Gemeinsam mit Forscherkolleg:innen an der Universität Würzburg nahmen die Wissenschafter:innen Ameisen genauer unter die Lupe. Ihr Ziel war es herauszufinden, wie krankheitserregende Pilze während der Infektion auf die soziale Fürsorge ihrer Wirte reagieren. Die Ergebnisse, heute in Nature Ecology & Evolution veröffentlicht, zeigen: Pilze reduzieren ihre chemischen Erkennungsmerkmale, um die soziale Immunität ihrer Wirte zu überlisten.

    Mehr Sporen aber weniger Putzen

    „Pilze infizieren die Ameisen von der Körperoberfläche aus und wachsen anschließend im Wirtskörper weiter. Die Pilzsporen werden aber meist von Nestgenossinnen abgeputzt, bevor sie überhaupt eine innere Infektion verursachen können“, erklärt Barbara Milutinović, eine der Hauptautor:innen, ehemals Postdoc in der Cremer Gruppe und nun Marie Curie Sklodowska-Stipendiatin am Ruđer Bošković-Institut in Kroatien. In den Experimenten untersuchten die Wissenschafter:innen Argentinische Ameisen (Linepithema humile), welche mit dem pathogenen Metarhizium-Pilz infiziert wurden, und dann entweder in Anwesenheit oder in Abwesenheit von pflegenden Koloniemitgliedern gehalten wurden. „Als Reaktion auf die Pflege der Ameisenarbeiterinnen haben sich die Pilze grundlegend verändert“, so Milutinović weiter. Über zehn Infektionszyklen hinweg steigerten jene Pilze, die von pflegenden Nestgenossinnen betreut wurden, ihre Sporenproduktion im Vergleich zu Pilzen, die nur von einzelnen Ameisen begleitet wurden. Sylvia Cremer ergänzt: „Die erhöhte Sporenproduktion hilft dem Pilz, der sozialen Sporenentfernung entgegenzuwirken. Überraschend war jedoch, dass die Ameisen plötzlich weniger der Sporen abputzten. Das deutet darauf hin, dass sie die Sporen nicht mehr so leicht erkannt haben.“

    Pilze verlieren ihr typisches chemisches Profil

    Die Wissenschafter:innen des ISTA arbeiteten mit einem chemischen Ökologen der Universität Würzburg zusammen, um herauszufinden, warum die Arbeiterinnen Probleme hatten, die Pilze zu identifizieren. Der dortige Professor Thomas Schmitt erklärt: „Die an die sozialen Wirte angepassten Pilze zeigten eine starke Reduktion ihres Membranbestandteils Ergosterol. Ergosterol ist ein essenzieller Baustoff aller Pilze, und macht ihn daher zum Pilzerkennungsmerkmal.“ Wenn man nun die Ameisen mit purem Ergosterol oder dem ähnlichen Wirbeltier-Analog aussetzte, zeigte sich, dass nur der pilzspezifische Stoff intensives Putzverhalten der Ameisen auslöste. Milutinović resümiert: „Krankheitserreger, in diesem Fall Pilze, reagieren auf die Anwesenheit von pflegenden Ameisen, indem sie charakteristische Signale reduzieren – sie werden also nicht mehr als Gefahr wahrgenommen und können dadurch der sozialen Immunität der Kolonie entgehen.“
    Die Ergebnisse verdeutlichen, welchen Einfluss soziale Wirte durch ihr Gruppenverhalten auf Krankheitserreger haben. „Es ist faszinierend, wie kollektive Hygienemaßnahmen ganz spezifische Ausweichstrategien beim Krankheitserreger auslösen. Es wäre spannend zu sehen, wie die Ameisen nun ihrerseits reagieren – vielleicht indem sie immer niedrigere Pilzhinweise erkennen können“, so Cremer abschließend.

    Publikation:
    M. Stock, B. Milutinović, M. Hoenigsberger, A. V. Grasse, F. Wiesenhofer, N. Kampleitner, M. Narasimhan, T. Schmitt, S. Cremer. 2023. Pathogen evasion of social immunity. Nat Ecol Evol.
    DOI: 10.1038/s41559-023-01981-6

    Projektförderung:
    Für diese Studie erhielt Sylvia Cremer eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (CR118/3-1) im Rahmen des Schwerpunktprogramms SPP 1399 und dem European Research Council (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (Nr. 771402; EPIDEMICSonCHIP).

    Information zu Tierversuchen:
    Die Entnahme der Argentinischen Ameise, einer nicht geschützten Insektenart, aus dem Freiland erfolgte gemäß internationalen Vorschriften wie der Convention on Biological Diversity und dem Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile. Alle experimentellen Arbeiten erfolgten nach europäischem und österreichischem Recht sowie nach institutionellen ethischen Richtlinien.

    Medienkontakt:
    Florian Schlederer
    Florian.Schlederer@ista.ac.at
    +43 664 8832 6174

    Über ISTA:
    Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Es beschäftigt Professor:innen nach einem Tenure-Track-Modell, Post-Doktorand:innen und PhD-Student:innen. Die Graduate School des ISTA bietet hochqualifizierten Student:innen mit einem Bachelor- oder Masterabschluss in Biologie, Mathematik, Informatik, Physik, Chemie und verwandten Bereichen voll finanzierte Doktoratsstellen. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, setzt ISTA darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse durch technologischen Transfer und Wissensvermittlung in die Gesellschaft zu tragen. Der aktuelle Präsident ist Martin Hetzer, ein renommierter Molekularbiologe und vormals Senior Vice President am The Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien, USA. www.ista.ac.at


    Originalpublikation:

    DOI: 10.1038/s41559-023-01981-6


    Bilder

    Pilzauswuchs in Ameisen. Wenn genügend Pilzsporen die Insekten innerlich infizieren, werden sie krank. Normalerweise tötet Metarhizium seinen Wirt, um neue Sporen zu produzieren, die sich dann vom Kadaver ausbreiten.
    Pilzauswuchs in Ameisen. Wenn genügend Pilzsporen die Insekten innerlich infizieren, werden sie kran ...
    Matthias Konrad
    Matthias Konrad/ISTA


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Pilzauswuchs in Ameisen. Wenn genügend Pilzsporen die Insekten innerlich infizieren, werden sie krank. Normalerweise tötet Metarhizium seinen Wirt, um neue Sporen zu produzieren, die sich dann vom Kadaver ausbreiten.


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