Wie steht es um die Bereitschaft, während eines langanhaltenden Stromausfalls privat erzeugten Strom zu teilen? Das haben Forschende aus verschiedenen Fachberiechen der TU Darmstadt am LOEWE-Zentrum emergenCITY untersucht. Die kürzlich veröffentlichte Studie liefert überraschende Ergebnisse.
Eine steigende Zahl an Naturkatastrophen, der Ausbau erneuerbarer Energien und die aktuelle Gaskrise – diese Faktoren belasten die Stromnetze. Expert:innen machen sich zunehmend Sorgen um die Stabilität der Netze und weisen auf eine erhöhte Gefahr großflächiger langanhaltender Stromausfälle, sogenannter Blackouts, hin. Diese können ernste Folgen für die Bevölkerung haben: Kommunikationsnetze, Wasserversorgung und Krankenversorgung brechen zusammen.
Deutlich weniger schwer träfe es im Blackout allerdings diejenigen, die sowohl eine eigene Photovoltaikanlage besitzen als auch zusätzlich technisch über die Möglichkeit verfügen, diese autark vom Netz zu nutzen, beispielsweise durch Stromspeicher. So kann zumindest der eigene Haushalt noch mit Strom versorgt werden.
Durch die ständig wachsende Anzahl privater Photovoltaikanlagen, von denen immer mehr separat vom Netz genutzt werden können, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für eine Notfall-Stromversorgung: Mit Hilfe der privaten Anlagen wäre es theoretisch möglich eine grundlegende Versorgung zumindest der wichtigsten Infrastrukturen aufrechtzuerhalten. Denn in Kombination mit Batteriespeichern könnten diese als dezentrale Energiequelle dienen. Ein Ansatz mit großem Potential – aber nur, wenn die Besitzer:innen beschließen, den erzeugten Strom zu teilen und nicht selbst zu verbrauchen.
Professorin Carolin Bock und Konstantin Kurz vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie Professorin Michele Knodt und Anna Stöckl vom Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU Darmstadt, die gemeinsam im LOEWE Zentrum emergenCITY forschen, haben sich mit dieser Thematik beschäftigt und untersucht, wie Menschen mit dem sozialen Dilemma umgehen: Würden sie während eines länger anhaltenden Blackouts Strom aus der privaten Photovoltaikanlage mit Nachbar:innen und Freund:innen teilen und dabei Abstriche bei der eigenen Versorgung in Kauf nehmen? Oder würden sie den Strom lieber selbst verbrauchen, um warmes Essen, Licht und ein aufgeladenes Smartphone zu genießen?
Der kürzlich im Schmalenbach Journal of Business Research veröffentlichte Forschungsartikel „A Friend in Need is a Friend Indeed? Analysis of the Willingness to Share Self-Produced Electricity During a Long-lasting Power Outage“ liefert nun Ergebnisse, die angesichts düsterer Aussichten einen Lichtblick bieten.
Um die Anreize und Motive besser zu verstehen, die zu einem kooperativen Verhalten im Blackout führen, haben die Wissenschaftler:innen 80 Haushalte in Deutschland zu ihrer Bereitschaft zum Teilen gegenüber verschiedenen Empfängergruppen befragt. Die Forschenden nahmen dabei an, dass sowohl strukturelle Lösungen wie Belohnungen in Form von erhöhten Einspeisevergütungen als auch individuelle Motive wie empathiegetriebener Altruismus die Bereitschaft zum Teilen erhöhen. Das überraschende Ergebnis: Während Empathie und altruistische Werte insbesondere gegenüber den Empfängergruppen der Verwandten und Freund:innen sowie der kritischen Infrastruktur zum Teilen inspirierten, zeigten sich strukturelle Anreize, wie etwa höhere finanzielle Belohnungen, je nach sozialer Wertorientierung der Gebenden teilweise sogar als hinderlich.
Wir teilen also gerne – vor allem wenn die bedürftige Person uns nahesteht oder wenn es um wichtige Infrastruktur geht, die auch in der Krise dringend gebraucht wird. Von Geld wollen wir bei der altruistischen Tat hingegen nichts wissen. „Politiker:innen sollten daher besonders vorsichtig sein mit der verlockenden Idee, die Einspeisevergütungen bei Stromausfällen einfach zu erhöhen“, warnt Professorin Bock. Denn dies könnte dazu führen, dass die ursprünglich soziale Entscheidung in eine geschäftliche umgewandelt wird – mit negativen Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Stattdessen empfehlen die Forschenden das bereits ausgeprägte prosoziale Verhalten noch weiter zu fördern. Denn sowohl der Grad der Verbundenheit als auch die gefühlte Verantwortung seien signifikante Prädiktoren für kooperatives Verhalten in Notsituation wie zum Beispiel während eines Blackouts.
Während auf technischer Seite bei vielen privaten Photovoltaikanlagen noch Modifikationen nötig wären, damit diese im Krisenfall Strom ins Netz einspeisen können, sehen die Forschenden grundsätzlich aber das große Potential der dezentralen Energiequellen bestätigt: Aus einer sozialen Perspektive ist der Ansatz der Nutzung privater Photovoltaikanlagen im Krisenfall eine unmittelbare und praktikable Maßnahme zur Verbesserung der kommunalen Energie-Resilienz. Das bietet spannende Ansatzpunkte für eine effiziente sowie simple Förderung der Widerstandsfähigkeit unserer Energieversorgung, zum Beispiel durch staatliche Förderung von Investitionen in autarke Photovoltaikanlagen. Gleichzeitig ließen sich die oft bereits vorhandenen starken sozialen Bindungen, die das Teilen begünstigen, durch die Förderung einer gemeinschaftlichen Identität noch weiter ausweiten. So können resiliente Gemeinschaften entstehen, die auch im Blackout zusammenhalten.
Konstantin Kurz, Carolin Bock, Michèle Knodt & Anna Stöckl: "A Friend in Need Is a Friend Indeed? Analysis of the Willingness to Share Self-Produced Electricity During a Long-lasting Power Outage" Schmalenbach Journal of Business Research volume 74, 727–761 (2022)
DOI: https://doi.org/10.1007/s41471-022-00148-6
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Energie, Gesellschaft, Politik, Psychologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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