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24.03.2023 09:55

Rostocker Medizin-Forscher entwickeln neue Therapien für neurodegenerative Erkrankungen

Martina Kaminski Presse- und Kommunikationsstelle
Universität Rostock

    Neurodegenerative Erkrankungen wie beispielsweise Parkinson oder Alzheimer sind Alterserkrankungen, das heißt ihr Vorkommen steigt mit dem Lebensalter kontinuierlich an. Durch die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerung werden neurodegenerative Erkrankungen neben Tumorerkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen in Zukunft die größte Gruppe der altersbedingten Erkrankungen einnehmen. Diese sind bisher nicht heilbar, ihr Verlauf ist nur marginal beeinflussbar. Somit stellen neurodegenerative Erkrankungen eine enorme gesellschaftspolitische und finanzielle Herausforderung der Zukunft dar.

    Eine neuartige Therapie für neurodegenerative Erkrankungen, zu der beispielsweise auch ALS, die so genannte Amyotrophe Lateralsklerose gehört, entwickeln aktuell Forschende am Zentrum für Nervenheilkunde der Universitätsmedizin Rostock. „Ich habe die Vision, dass wir eine Behandlungsmethode finden, die diese Erkrankungen endlich relevant beeinflussen können“, sagt Professor Andreas Hermann, der die Sektion für Translationale Neurodegeneration am Rostocker Zentrum für Nervenheilkunde leitet.

    „Nach Ausbruch der Krankheit haben ALS-Patientinnen und Patienten, deren Muskulatur sich nach und nach lähmt, so dass sie die Fähigkeit verlieren, sich selbstständig zu bewegen, zu sprechen oder zu atmen, bislang eine Lebensdauer von etwa ein bis fünf Jahren“, schildert der Mediziner. Er hat bereits an der Harvard Medical School und im DFG-Exzellenzcluster der Technischen Universität Dresden zu dieser Krankheit geforscht. Die Hermann und Lilly Schilling-Stiftung unterstützt die Forschung an ALS, die eine große Herausforderung für die Gesellschaft ist, an der Universitätsmedizin Rostock mit drei Millionen Euro.

    „Das Stichwort heißt individualisierte Therapie“, unterstreicht Professor Hermann. Hierfür werden dem Patienten Hautzellen entnommen, die im Labor in Nervenzellen umgewandelt werden. „So können wir erstmals Nervenzellen von Patienten in der Zellkultur untersuchen, und erhoffen uns so einen Einblick in die Krankheitsursache“, unterstreicht der 44-jährige Medizinforscher. Diese Studien sollen helfen, durch Medikamente beeinflussbare Signalwege zu entdecken. Eine der Herausforderungen sei dabei, die möglichen neuartigen Therapeutika an den Ort des Schadens, also ins Gehirn oder Rückenmark zu bringen.

    Medizindoktorandin Emily Fischer arbeitet im Labor an Patientenzellen. Zunächst will sie herausfinden, ob der Transport von Fetten, also Lipiden, innerhalb der Zellen gestört sein könnte. Daraus ließe sich ablesen, wie innerhalb der Nervenzelle kommuniziert wird und welche Störungen in der Nervenzelle bei Krankheiten wie beispielsweise ALS auftreten.

    „Die Krankheitsformen haben ihren Ursprung in krankhaften Eiweißablagerungen im Gehirn, die die Nervenzellen zerstören“, sagt Professor Hermann. Im Alter funktioniert der Abbau von schadhaften Eiweißen typischerweise nicht mehr so gut wie bei jungen Menschen, was möglicherweise eine der Ursachen ist, warum neurodegenerative Erkrankungen insbesondere im Alter auftreten. Ob und wie diese Mechanismen der Alterung und Neurodegeneration zusammenwirken, ist bisher nicht systematisch im Zusammenhang erforscht worden, könnte aber genau ein Schlüssel zum Erfolg in der Entwicklung neuartiger Therapien sein. Die Strategie der Forschung bestehe darin, so Hermann, die Mechanismen der Neurodegeneration und Alterung besser zu verstehen, um möglichst eine Therapie zur Behandlung der Ursache zu entwickeln. Erste therapeutische Substanzen werden innerhalb von Studien an Patienten getestet.

    Die Arbeitsgruppe um Prof. Hermann nutzt das gesamte Spektrum von Methoden aus der Grundlagenforschung bis zur patientenorientierten Forschung. Langjährige Traditionen in der neurowissenschaftlichen Forschung von neurodegenerativen Erkrankungen werden hier mit modernsten humanen stammzellbasierten Systemen verbunden. Denn bereits seit 2008 gibt es in Rostock ein spezialisiertes, akademisches ALS-Zentrum, das inzwischen überregional und international bekannt ist. „Um zum Ziel zu kommen, sind wir international gut vernetzt“, erläutert Professor Hermann, der beispielsweise mit Forschenden aus New York an ALS arbeitet. Zudem zählt Rostock zu den acht Gründungsmitgliedern des Deutschen Motoneuron-Netzwerkes; genauso ist es eines der zehn Standorte des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Dort bieten ausgewiesene ALS-Expertinnen und Experten alle Verfahren und Methoden modernster Medizin an, von der Erstdiagnostik über eine Diagnoseüberprüfung bis zur Therapie

    An der Universität Rostock arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsmedizin, Radiologie, der Nuklearmedizin und dem Department „Altern des Individuums und der Gesellschaft“ gemeinsam; im Team von Professor Hermann beispielweise sind Chemiker, Biologen, Mediziner, Psychologen und Krankenpfleger beschäftigt.

    Uni-Rektor Professor Wolfgang Schareck, selbst Mediziner, erwartet im Zusammenwirken von Forschung, Lehre und Krankenversorgung von der Universitätsmedizin, dass die Forschungsschwerpunkte in besonderer Weise in die Lehre einfließen. „Dies ist nur möglich, wenn hierzu auch Höchstleistungen in der Krankenversorgung Alltag sind“, betont der Rektor. „Intelligente technische Hilfsmittel und individualisierte, auf den genetischen Voraussetzungen aufsetzende Therapien in enger Kooperation mit der Universitätsmedizin in Greifswald sowie den anderen großen Medizinzentren in Mecklenburg-Vorpommern werden die Zukunft der Medizin in unserem Lande prägen“, sagt der Rektor. „Die Einbindung in das DZNE und die Forschung an der Sektion für Translationale Neurodegeneration „Albrecht Kossel“ sind Schwerpunkte der Rostocker Medizin.“

    Das Team von Professor Hermann erforscht unter anderem auch, wie ALS-Patienten mit blickgesteuerten Computern, so genannten Augensteuerungs-Systemen, auch dann noch kommunizieren können, wenn ihr Körper vollständig gelähmt ist. Patienten in fortgeschrittenen Stadien sind auf diese Technik angewiesen, denn die Augenmotorik bleibt bei ALS am längsten von den Lähmungen verschont. „Aber auch sie ist von Störungen betroffen, wie Forschung und die klinische Praxis zeigen“, erläutert Hermann. Die Daten der sich verändernden Augenmotorik dienen sowohl der Weiterentwicklung eines innovativen medizintechnischen Hilfsmittels als auch dem behandelnden Arzt, der Hinweise zum Verlauf der Erkrankung erhält. Im Forschungsprojekt wird die Störung der Augenmotorik genau analysiert, sodass die Augensteuerung später automatisch erkennt, um welche Defizite es sich handelt und diese auch selbstständig ausgleicht. „Wir möchten ein selbstlernendes System entwickeln, das die Nutzbarkeit für den Patienten möglichst lange aufrechterhält, somit die letzte Möglichkeit einer Kommunikationsfähigkeit dieser Patienten noch länger erhält“, so Hermann. Text: Wolfgang Thiel


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Dr. Andreas Hermann
    Schilling Professor für Translationale Neurodegeneration
    Sektionsleiter
    Sektion für Translationale Neurodegeneration "Albrecht Kossel"
    Klinik und Poliklinik für Neurologie
    Universitätsmedizin Rostock
    Phone: +49 (0)381 494-9541
    Fax: +49 (0)381 4949542
    eMail: Andreas.Hermann@med.uni-rostock.de


    Weitere Informationen:

    http://URL: https://albrecht-kossel-institut.med.uni-rostock.de/
    http://URL: www.als-mv.de
    http://URL: www.als-rostock.de


    Bilder

    Emily Fischer und Professor Hermann diskutieren die Darstellung von Lipiden in Zellen. Auf dem Monitor ist eine Zelle eines Patienten zu sehen – blau: Zellkern, magenta: Mitochondrien, grün: Fetttröpfchen
    Emily Fischer und Professor Hermann diskutieren die Darstellung von Lipiden in Zellen. Auf dem Monit ...
    Thomas Rahr
    Universität Rostock


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Emily Fischer und Professor Hermann diskutieren die Darstellung von Lipiden in Zellen. Auf dem Monitor ist eine Zelle eines Patienten zu sehen – blau: Zellkern, magenta: Mitochondrien, grün: Fetttröpfchen


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