idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
03.04.2023 17:00

Die erste Landkarte des Mikroversums

Dr. Ute Schönfelder Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Was bestimmt den Lebensraum – die ökologische Nische – eines Mikroorganismus? Es sind Umweltfaktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit und Nährstoffgehalt. Aber welchen Beitrag diese im Einzelnen leisten, ist nur schwer vorherzusagen. Ein deutsch-niederländisches Forscherteam hat jetzt die mikrobiellen Nischen neu definiert: Die Forschenden haben bestimmt, welche Mikroorganismen zusammenleben. Unter der Leitung von Prof. Dr. Bas E. Dutilh von der Universität Jena und der Universität Utrecht stellen die Forscher diesen Ansatz der „sozialen Nischenbreite“ in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ vor und erstellten damit die erste „Landkarte des Mikroversums“.

    Ob in heißen Quellen, im menschlichen Darm oder in der Tiefsee – Mikroorganismen besiedeln so ziemlich jedes Fleckchen der Erde und das unter teils extremen Bedingungen. Je nachdem, wie sich diese Organismen an die vorherrschenden Umweltbedingungen in solchen ökologischen Nischen angepasst haben, werden sie als „Generalisten“ oder „Spezialisten“ klassifiziert. Während Generalisten mit einem breiten Spektrum von Umweltbedingungen zurechtkommen, gedeihen Spezialisten nur unter ganz bestimmten Umständen.

    „Eine zentrale Frage bei der Untersuchung solch unterschiedlicher mikrobieller Strategien ist, wie sich mikrobielle ökologische Nischen überhaupt definieren lassen“, sagt Prof. Dr. Bas E. Dutilh. Bisher sei das vor allem anhand von subjektiven Umweltbedingungen erfolgt, was jedoch kaum eine unvoreingenommene Quantifizierung der Nische zuließ. Der Bioinformatiker vom Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ der Uni Jena hat deshalb gemeinsam mit Forschenden der Universität Utrecht eine neuartige – datengetriebene – Methode zur Beschreibung mikrobieller Nischen verwendet, bei der nicht die äußeren Lebensbedingungen, sondern die Artengemeinschaft selbst als entscheidender Umweltfaktor betrachtet wird. Dies funktioniert deshalb, weil sich mikrobielle Gemeinschaften schnell an ihre Umwelt anpassen, so dass ihre Zusammensetzung die Summe aller Umweltfaktoren widerspiegelt.

    Die meisten mikrobiellen Lebensräume werden von „Generalisten“ dominiert

    Für seine Untersuchung hat das Team tausende Metagenom-Datensätzen aus verschiedenen mikrobiellen Proben aus aller Welt analysiert und quantitativ erfasst. „Wir haben festgestellt, dass in den meisten Lebensräumen die Generalisten dominant sind“, so Dutilh. Dieses Ergebnis hat die Forschenden zunächst überrascht, gingen sie doch davon aus, dass in lokalen Nischen eher die Spezialisten die Nase vorn haben, da diese besser an die konkreten Bedingungen angepasst sind. Die konkurrierenden Generalisten hingegen konnten viel schneller wachsen und so die Dominanz in der Nische erlangen. „Allerdings ist es für die Generalisten eine Art Glücksspiel; entweder sie schaffen es oder nicht. Dadurch sind sie in ihrer Präsenz recht variabel. Die Spezialisten dagegen sind in ihrer Nische stabiler, wenn auch in geringer Zahl.“

    Und auch ein weiteres Ergebnis hatten die Forschenden so nicht erwartet: Die Genome der Generalisten sind nicht besonders groß. „Davon war man bislang ausgegangen, weil man dachte, die metabolische Flexibilität benötige ein generell größeres Genom“, berichtet Dutilh. Doch wie sich herausstellte, ist der Zusammenhang zwischen Nischenbereich und Genomgröße komplexer. „Wir haben zwei gegensätzliche evolutionäre Strategien festgestellt: In Lebensräumen mit geringer lokaler Artenvielfalt, wie tierassoziierten Mikrobiomen, haben die Spezialisten ein relativ kleines Genom. In sehr artenreichen Lebensräumen wie Böden ist das Genom der Spezialisten deutlich größer.“

    Die Genome der Generalisten sind variabler als die von Spezialisten, mit Genen, die in der Evolution kommen und gehen. Dies ermöglicht es ihnen, genetische Informationen von anderen Organismen durch horizontalen Gentransfer zu integrieren und sich so schnell an die lokale Nische anzupassen. „Wir sehen in den Genomen von Generalisten auch spezifische Funktionen, die mit dem horizontalen Gentransfer verbunden sind“, so Dutilh. Die Funktionen von Spezialisten sind wesentlich vielfältiger und oft mit sehr spezifischen Stoffwechselprozessen verbunden. Die Genome von Spezialisten sind evolutionär stabil, im Gegensatz zu denen von Generalisten.

    „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Analyse ein neues und unerwartetes Licht auf die Nischenstrategien der Mikroben im gesamten mikrobiellen Lebensbaum wirft“, ist Bas E. Dutilh überzeugt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Bas E. Dutilh
    Institut für Biodiversität der Universität Jena
    Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“
    Tel.: 03641 9-49783
    E-Mail: b.e.dutilh@uni-jena.de


    Originalpublikation:

    F. A. B. von Meijenfeldt, P. Hogeweg, B. E. Dutilh: A social niche breadth score reveals niche range strategies of generalists and specialists, Nature Ecology and Evolution (2023), https://www.nature.com/articles/s41559-023-02027-7


    Bilder

    Bioinformatiker Prof. Dr. Bas E. Dutilh von der Universität Jena hat gemeinsam mit Forschenden der Universität Utrecht eine neuartige – datengetriebene – Methode zur Beschreibung mikrobieller Nischen entabliert.
    Bioinformatiker Prof. Dr. Bas E. Dutilh von der Universität Jena hat gemeinsam mit Forschenden der U ...
    Foto: Jens Meyer/Uni Jena


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Bioinformatiker Prof. Dr. Bas E. Dutilh von der Universität Jena hat gemeinsam mit Forschenden der Universität Utrecht eine neuartige – datengetriebene – Methode zur Beschreibung mikrobieller Nischen entabliert.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).