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07.12.1998 10:46

Stellungnahme zum Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999 / 2000 / 2002

Hildegard Stahmer Öffentlichkeitsarbeit
HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg

    Mit dem vorgelegten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes will die Bundesregierung vor allem eine "Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung" sowie eine "spürbare Entlastung von Arbeitnehmern und Familien" erreichen. Dieses soll durch eine spürbare Senkung der Steuersätze und Erhöhung des Kindergeldes bei gleichzeitiger Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen und einen Einstieg in eine Reform der Unternehmensbesteuerung erreicht werden.Weitere Ziele sind die "Schaffung von Steuergerechtigkeit" und eine "Vereinfachung des deutschen Steuerrechts".

    Das HWWA-Institut betrachtet das dreistufige Steuerentlastungsgesetz als einen Schritt in die richtige Richtung, der aber unter Wachstums- und Beschäftigungsaspekten unzureichend ist. Nach den Vorstellungen der Regierung sollen zur Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen zum einen die Investitionsneigung der Unternehmen gestärkt, zum anderen - über eine bevorzugte Entlastung von Familien und Haushalten mit niedrigen Einkommen - die Kaufkraft der privaten Haushalte erhöht werden. Der vorliegenden Entwurf ist vorrangig nachfrageorientiert und insofern unter Wachstumsaspekten problematisch. Überdies sollen insbesondere in der Anfangsphase Entlastungen für private Haushalte durch höhere Steuerbelastungen der Unternehmen bzw. Unternehmer - und somit durch Umverteilung - finanziert werden. Eine nachhaltige Belebung der Investitionsneigung und eine durchgreifende Verbesserung der Beschäftigungssituation sind unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten.

    Der Umfang der Nettoentlastung bleibt mit 15 Mrd.DM deutlich hinter dem zurück, was wachstumspolitisch notwendig wäre. Gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt bringt das Steuerpaket lediglich einen Entlastungseffekt von etwa 0,4 %. Im Vergleich dazu hatte die dreistufige Steuerreform 1986/88/90 mit reichlich 2 % des nominalen BIP einen fünfmal höheren Entlastungseffekt. Problematisch ist auch das Hinauszögern der Nettoentlastung auf das Jahr 2002. Zur Verbesserung der Bedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung wäre eine raschere und deutlichere Entlastung erforderlich. Dies wäre durchaus machbar. In der öffentlichen Diskussion wird - wie auch die Institute in ihrem Herbstgutachten betont haben - die Lage der öffentlichen Haushalte wahrscheinlich zu ungünstig dargestellt; auch die Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung deuten darauf hin. Überdies wird in der derzeitigen Diskussion viel zu wenig die Möglichkeiten einer "Gegenfinanzierung" von Steuerentlastungen durch Drosselung der Staatsausgaben in Erwägung gezogen. So wäre die Steuerreform ein guter Anlaß gewesen, die Subventionen zu durchforsten und auf Kürzungen hin zu überprüfen oder zu fragen, welche Aufgaben vom Staat oder besser von Privaten übernommen werden sollten. Zudem wird in der "Gegenfinanzierungsdiskussion" zu sehr statisch argumentiert und zu wenig berücksichtigt, daß eine Verstärkung des Wachstums auch zu mehr Steuern führen würde (Selbstfinanzierungsaspekt); mit steigender Beschäftigung würden überdies Ausgaben eingespart. Steuersenkungen mindern nicht zuletzt die Anreize zur Verlagerung von Einkommen und Transaktionen in Steueroasen.

    Betrachtet man das Steuerentlastungsgesetz im einzelnen, so zeigt sich eine Schieflage bei den Be- und Entlastungen der Unternehmen einerseits und der privaten Haushalte bzw. Arbeitnehmer andererseits. Zwar sind solche Zuordnungen problematisch, nicht zuletzt weil die Einkommmensteuer bei Personengesellschaften, Selbständigen u.ä. nicht eindeutig auf das Unternehmen und den Unternehmerhaushalt aufzuteilen ist. Gleichwohl lassen sich einige Tendenzen ableiten.

    Von den Entlastungsmaßnahmen dürften Unternehmen - vor allem durch die Senkung der Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer und des Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne - lediglich in einem Ausmaß von etwa 11 Mrd. DM profitieren, und dies auch erst im Jahre 2002. Die Masse der übrigen Entlastungen in Höhe von 46 Mrd. DM entfällt auf private Haushalte. Bei den Belastungsmaßnahmen sieht es dagegen umgekehrt aus: von den knapp 42 Mrd. DM Mehrbelastungen im Jahr 2002 dürften nach grober Schätzung etwa 30 Mrd. DM überwiegend auf den Unternehmenssektor entfallen. Per Saldo wird sich danach für die privaten Haushalte (einschließlich Unternehmerhaushalte) im Jahr 2002 eine Nettoentlastung von etwa 34 Mrd. DM ergeben, sie wird durch Mehrbelastungen des Unternehmenssektor mit finanziert.

    Eine Schieflage gibt es auch in zeitlicher Hinsicht: die Nettoentlastung der privaten Haushalte in den Jahren 1999-2001 wird durch Mehrbelastungen der Unternehmen finanziert. Dies dürfte sich negativ auf die Investitionsneigung der Unternehmen auswirken, die gegenwärtig schon durch die Folgen der Finanz- und Währungskrisen in Asien, Lateinamerika und Rußland belastet wird. Zwar soll laut Gesetzentwurf bis zum Jahr 2000 eine Reform der Unternehmensbesteuerung mit einem einheitlichen Steuersatz von höchstens 35 % vorzubereitet werden, dieses Versprechen ist aber kaum geeignet, Unsicherheit abzubauen und für die Wirtschaft eine langfristige Planungssicherheit zu schaffen, da auch diese Absichtserklärung unter einem Finanzierungsvorbehalt steht. Es wäre besser gewesen, rechtzeitig eine "Steuerreform aus einem Guß" zu konzipieren und sie dann stufenweise umzusetzen.

    Die Senkung der Steuersätze bleibt spürbar hinter den Plänen der alten Koalition zurück. Eine nachhaltigere Reduzierung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer und des Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne auf unter 40 % würde die Eigenkapitalbildung begünstigen, die Ertragsperspektiven verbessern und damit auch die Investitionsneigung stärken; zugleich würden die steuerlichen Standortbedingungen für Unternehmen verbessert. Dies würde die zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen wichtige Investitionstätigkeit insbesondere auch im mittelständischen Bereich anregen. Die Höhe der (Spitzen-) Steuersätze hat im internationalen Wettbewerb eine nicht zu unterschätzende Signalfunktion; internationale Kapitalanleger sehen eher auf die Spitzensteuersätze als auf - zum Teil nur mühsam aufzuspürende - Sonderregelungen und Abschreibungsvergünstigungen. Es sind auch vor allem die hohen Steuersätze, die Anreize zur Verlagerung von Gewinnen und Transaktionen in Niedrigsteuerländer geben. Die Rückführung des Eingangssatzes der Einkommensteuer auf knapp 20 % fällt ebenfalls sehr zaghaft aus. Eine deutlichere Senkung würde auch den Abstand zwischen Nettolöhnen und Sozialhilfe bzw. Lohnersatzleistungen spürbar vergrößern und den Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Dies wirkt sich positiv auf die Beschäftigung aus.

    Eine Vereinfachung des Steuersystems mit einer deutlichen Senkung der Steuersätze und einer ebenso deutlichen Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen könnte selbst bei aufkommensneutraler Gestaltung den Standort Deutschland in steuerlicher Hinsicht verbessern, schon weil sie die Gefahr von Fehlallokationen verringert, die bei einer Überfrachtung des Steuersystems mit Lenkungselementen relativ groß ist. Hohe Steuersätze sind oft die Ursache dafür gewesen, daß bestimmte - politisch für förderungswürdig gehaltene - wirtschaftliche Aktivitäten begünstigt wurden. Je drastischer die Steuersätze gesenkt werden, desto radikaler lassen sich die Ausnahmetatbestände beseitigen, und desto geringer wird die Notwendigkeit von Sonderregelungen. Eine drastische Senkung der Steuersätze würde auch die Akzeptanz der Reduzierung von Ausnahmeregelungen erhöhen.

    Ein Nachteil der Steuerreform liegt auch darin, daß die Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen nicht konsequent genug angelegt sind und die Streichung von Steuervorteilen nicht über alle Bereiche durchgängig vollzogen werden. Es bleiben Ausnahmen bestehen, wie z.B. die Beibehaltung der Steuerfreiheit für Zuschläge von Sonntags- und Nachtarbeit. Damit geht nicht nur Finanzmasse für stärkere Steuersatzsenkungen verloren, es wird auch die Akzeptanz für die Gesamtreform geringer.

    Dem Ziel der Vereinfachung des Steuerrechts kommt der Gesetzentwurf partiell durch Streichung von Vorschriften oder z.B. die Regelung zur einheitlichen Auszahlung des Kindergeldes über die Familienkassen näher. Gleichzeitig werden aber wieder neue Regelungen eingeführt, die das Steuerrecht erheblich verkomplizieren, Beispiele dafür sind die vorgesehene Neuregelung des Ehegattensplittings und die neue Unterscheidung zwischen Einkünften aus "aktiver" und "passiver" Tätigkeit.

    Bedenklich ist auch der Plan einer Reform der Unternehmensbesteuerung, die auf einer Ungleichbehandlung von Unternehmenseinkommen und anderen Einkommen hinausläuft. Dadurch werden nicht nur Investitionen in Humankapital gegenüber Investitionen in Sachkapital diskriminiert, sondern es werden auch erhebliche Anreize zur Schaffung von ineffizienten Steuersparmodellen geschaffen.

    Das HWWA verweist im übrigen auf die im Herbstgutachten 1998 gemeinsam mit den anderen Instituten gemachten Aussagen zu den Steuerreformplänen der neuen Bundesregierung und den "Vorteilen einer mutigeren Steuerreform".


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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