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17.04.2023 14:03

BRIESE-Preis 2022: Kreatives Chaos in der Arktis – Von spitzen Eisrücken und tiefen Wasserrinnen im Meereis

Dr. Kristin Beck Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

    Der BRIESE-Preis für Meeresforschung 2022 geht an Dr. Luisa von Albedyll. Die Jury würdigt ihre herausragende Forschung, die wesentlich zum Verständnis dynamischer Prozesse beiträgt, die die Dicke von polarem Meereis beeinflussen. Ihre Arbeit ist damit ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung rechnerischer Modelle, die Zukunftsprojektionen von Klimawandelfolgen ermöglichen, speziell der regionalen Meereisdickeverteilung im Nordpolarmeer, und somit auch Grundlage für wichtige politische, ökonomische und Umweltschutzentscheidungen sind. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird von der Briese-Reederei gestiftet und vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) wissenschaftlich betreut.

    „Die Weite und Stille von Eislandschaften und gleichzeitig ihre ungeheure Kraft und der starke Einfluss, mit denen sie die Umwelt formen und prägen – das hat mich schon vor Beginn meiner akademischen Laufbahn fasziniert. Endgültig verliebt in diese Welt habe ich mich aber bei meinem ersten Arktisaufenthalt auf Spitzbergen während des Bachelor-Studiums.“ So beschreibt Luisa von Albedyll, Wissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut Helmholz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Trägerin des 13. BRIESE-Preises die Wurzeln ihres Forschungsfokus auf die Arktis, der nun schon seit fast 10 Jahren ihre wissenschaftliche Arbeit leitet. Passender und erfüllender kann es also daher kaum sein, dass dieses unbeirrbare Forschungsinteresse sie während ihrer Promotionszeit auf die größte Polarexpedition aller Zeiten, die vom AWI geleiteten MOSAiC*-Expedition (*kurz für Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate, „Multidisziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas“) mit dem Forschungsschiff POLARSTERN führte. Denn zu der großen Liebe für eisige Welten kommt für von Albedyll auch noch dies als ausschlaggebende Motivation hinzu: „Nirgendwo ist aktuell das Signal des Klimawandels deutlicher und besorgniserregender, als in der Arktis.“

    Konkret hat sich Luisa von Albedyll im Rahmen der Expedition mit den Prozessen befasst, die die Dicke des Meereises im Nordpolarmeer bestimmen. Dies ist zum einen das sogenannte thermodynamische Wachstum, bei dem das Meerwasser unter dem Eis gefriert und das Eis dadurch dicker wird. Ihr Augenmerk lag aber auf dynamischen Prozessen, die sich aus der Verformung vorhandenen Eises ergeben – das Auseinanderbrechen und Übereinanderschieben von Eisschollen, das in erster Linie durch den Einfluss des Windes erfolgt, im geringerem Ausmaß auch durch Meeresströmungen. Wenn sich im Meereis offenes Wasser auftut, bietet dies wiederum verbesserte Möglichkeiten, dass sich neues Meereis durch thermodynamisches Eiswachstum bildet. „Verformung des Eises – das Aufbrechen tiefer Rinnen und großer Wasserflächen, die anschließend wieder zufrieren, sowie das Auftürmen von Eisschollen zu meterhohen, spitzen Eisrücken – das sind Hotspots, in denen eine unglaubliche Dynamik in Bezug auf die Eisdicke herrscht, ein unglaublich spannendes kreatives Chaos“, so von Albedyll über ihren Forschungsgegenstand, dessen Prozesse zwar grundsätzlich bekannt, zuvor aber noch nicht im Detail quantifiziert und erforscht wurden.

    Um diesem Chaos zu Leibe zu rücken und es zu Erkenntnissen zu ordnen, wertete Luisa von Albedyll gewaltige Datenmengen zur Eisdicke und den begleitenden Umweltparametern aus, die zum größten Teil aus der MOSAiC-Expedition stammen, aber auch während eines besonderen Ereignisses an der Nordküste Grönlands aufgenommen wurden, bei dem Extremwinde zunächst eine riesige eisfreie Wasserfläche schufen, die sich dann später durch die verschiedensten Mechanismen wieder schloss. Die Daten zur Verformung des Eises wurden dabei hauptsächlich per Satellit gewonnen; während der MOSAiC-Expedition führte von Albedyll aber auch selbst Messungen der Eisdicke mit Spezialgerätschaft vom Helikopter aus sowie direkt auf der Scholle durch, an der die POLARSTERN während ihrer einjährigen Drift festgefroren war.

    „Eine der wichtigsten Erkenntnissen meiner Doktorarbeit ist, wie stark die dynamischen Prozesse der Eisverformung die Eisdicke beeinflussen: Sie können für 30 – 50 % der Eisdicke verantwortlich sein. Durch die lange Zeitreihe über ein ganzes Jahr und die hohe räumliche Auflösung der Messdaten, die in meine Analyse eingeflossen sind, konnten ich auch erstmals eine direkte Verbindung zwischen der Verformung und der resultierenden Veränderungen der Eisdicke beschreiben“, hebt die passionierte Polarforscherin hervor. „Das hat es mir ermöglicht, einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der dynamischen Dickenveränderungen und verschiedenen Einflussfaktoren herzustellen, die man vorher nicht im Detail kannte“, so von Albedyll weiter. So sei ein neues Prozessverständnis entstanden, das es jetzt ermögliche, die Veränderungen der Meereisdicke in der Arktis in ihrer regional durchaus unterschiedlichen Dynamik sehr gut abzubilden und die Parameter in Modellrechnungen zu überprüfen. Das werde der Polarforschung helfen, die Vorhersagen der Eisdicke in den kommenden 20 – 30 Jahren zu verbessern, meint von Albedyll.

    „Wir wissen, dass die Erderhitzung generell zu drastischen Verlusten von Meereis, insbesondere Sommereis, im Polarmeer führt – einerseits mit dramatischen Folgen für die dortigen Ökosysteme, andererseits mit unabsehbaren wirtschaftlichen und geopolitischen Veränderungen durch die zunehmende Schiffbarkeit des Polarmeeres. Ich hoffe, dass ich mit meiner Forschung dazu beitragen kann, besonders schützenswerte Bereiche mit dickerem Eis zu identifizieren sowie Bereiche, in denen sichere Schifffahrt möglich ist“, erläutert die BRIESE-Preisträgerin abschließend.

    Die BRIESE-Preis-Jury würdigte die Promotionsarbeit von Luisa von Albedyll mit folgender Begründung: „Ohne Frage hat sich die diesjährige Preisträgerin mit einem Thema von höchster Relevanz beschäftigt – der Entwicklung der Eisdicke in der Arktis, einem äußerst wichtigen Aspekt in Bezug auf die gravierenden Folgen des Klimawandels. Von Albedyll hat dabei wesentlich zum genaueren Verständnis maßgeblicher Prozesse beigetragen, was nun helfen kann, die Vorhersagen der Eisentwicklung in den kommenden Jahrzehnten zu verbessern und sinnvoll darauf zu reagieren. Anzahl und Qualität der seit Studienbeginn vorgelegten wissenschaftlichen Publikationen (13 Stück; 5 als Erstautorin) sind außergewöhnlich, was auch wesentlich zur Bestwertung der Doktorarbeit beitrug (Note: 1 mit Auszeichnung, „Summa cum Laude“). Darüber hinaus hat Luisa von Albedyll ihre Promotion mit allem, was dazugehört, in weniger als vier Jahren bewältigt, einschließlich der großen Expedition, sehr erschwerter Arbeitsbedingungen während der schärfsten Corona-Krise und einer siebenmonatigen Elternzeit – ein höchst beeindruckendes Zeugnis ihres Engagements und der großen Zielstrebigkeit der diesjährigen Preisträgerin.“

    „Für die Reederei BRIESE ist es immer eine große Freude, unseren Preis für Meeresforschung zu verleihen. Denn so lernen wir außergewöhnliche Wissenschaftstalente kennen und können sie durch diese Anerkennung weiter fördern. Mit Luisa von Albedyll zeichnen wir eine bemerkenswerte junge Frau aus, die mit ihrer herausragenden Promotionsleistung beeindruckt und sich schon seit Studienbeginn fokussiert mit einem Thema beschäftigt, das im Kern eine der größten Existenzfragen unserer Zeit berührt: dem Klimawandel, dessen Folgen aktuell in den Eisregionen der Erde besonders deutlich zutage treten“, betont Klaus Küper, Leiter der Abteilung Forschungsschifffahrt der Reederei Briese, anlässlich der diesjährigen Verleihung des BRIESE-Preises. „Für ihre Forschung ist sie mehrfach per Schiff in weitgehend unzugängliche Polar-Regionen vorgedrungen, auch als Teilnehmerin der MOSAiC-Polar-Expedition, einem der eindrucksvollsten Belege dafür, was moderne Forschungsschifffahrt heute leisten kann“, resümiert Küper.

    Informationen zur BRIESE-Preisträgerin 2022:
    Dr. Luisa von Albedyll (Jahrgang 1991) hat ihre akademische Laufbahn von Anfang an der Erforschung der eisbedeckten Welt mit ihren Gletschern und Meereis sowie deren Bedeutung für Klimaprozesse gewidmet: Schon im Bachelor-Studium der Geowissenschaften an der Universität Potsdam (2012 – 2015) und beim Master-Studium der Umweltphysik an der Universität Bremen (2015 – 2018) verbrachte sie mehrere Monate in der Arktis auf Spitzbergen, nahm an Schiffsexpeditionen ins Nordpolarmeer teil und griff methodische Fragen der Polarforschung sowie Themen der Interaktion von Gletschern und Meerwasser auf. Während ihrer Promotionszeit (2019 – 2022) am Alfred-Wegener-Institut Helmholz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) konzentrierte sich von Albedyll auf dynamische Prozesse des arktischen Meereises und war Teilnehmerin der internationalen MOSAiC-Arktis-Expedition mit dem Forschungsschiff POLARSTERN, deren Daten auch in ihre Doktorarbeit einflossen (Originaltitel: Sea ice deformation and sea ice thickness change, Abschluss: 11/2022, Bewertung: „Summa cum laude“, Betreuer: Prof. Dr. Christian Haas und Dr. Gunnar Spreen, Universität Bremen). Aktuell ist von Albedyll Postdoktorandin am AWI.

    Von Albedyll wurde während ihres Studiums mehrfach ausgezeichnet und kann einen außergewöhnlichen Publikationserfolg mit insgesamt 13 Publikationen (einschließlich zu den Themen ihrer Bachelor- und Masterarbeit) vorweisen. Zudem engagiert sich die Mutter eines einjährigen Sohnes in der Wissenschafts-vermittlung für die allgemeine Öffentlichkeit, beispielsweise als Gast in Podcasts oder Autorin populär-wissenschaftlicher Artikel, sowie im Vorstand von APECS Germany, einer Organisation zur Unterstützung von Polarnachwuchsforscher:innen.

    Der BRIESE-Preis für Meeresforschung wird von der Reederei Briese Schiffahrts GmbH & Co. KG (Leer/ Ostfriesland) gestiftet, die für die Bereederung der mittelgroßen deutschen Forschungsschiffe, wie z. B. die ELISABETH MANN BORGESE und die HEINCKE, sowie der größeren Forschungsschiffe METEOR, MARIA S. MERIAN und SONNE zuständig ist. Das IOW betreut die Preisvergabe wissenschaftlich. Seit 2010 werden jährlich herausragende Promotionen in der Meeresforschung prämiert, deren Ergebnisse in engem Zusammenhang mit dem Einsatz von Forschungsschiffen und der Verwendung und Entwicklung von Technik und / oder Datenerhebung auf See stehen.

    Kontakte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
    Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW):
    Dr. Kristin Beck | Tel.: 0381 – 5197 135 | kristin.beck@io-warnemuende.de
    Dr. Barbara Hentzsch | Tel.: 0381 – 5197 102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

    Briese Schiffahrts GmbH & Co. KG
    Research | Forschungsschifffahrt
    Sabine Kruse | Tel.: 0491 92520 164 | sabine.kruse@briese.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Luisa von Albedyll | Fachbereich Klimawissenschaften, Sektion Meereisphysik
    Alfred-Wegener-Institut Helmholz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
    Tel.: +49 (471) – 4831 2719 | luisa.von.albedyll@awi.de


    Originalpublikation:

    Promotionsschrift: "Sea ice deformation and sea ice thickness change"
    https://doi.org/10.26092/elib/1868


    Bilder

    Der mit 5.000 Euro dotierte BRIESE-Preis 2022 wurde heute an Luisa von Albedyll (Mitte) vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) verliehen. Kapitän Klaus Küper (l.) von der BRIESE-Reederei, IOW-Direktor Oliver Zielinski (r.)
    Der mit 5.000 Euro dotierte BRIESE-Preis 2022 wurde heute an Luisa von Albedyll (Mitte) vom Alfred-W ...
    K. Beck
    IOW

    BRIESE-Preisträgerin Luisa von Albedyll war Teilnehmerin der großen, internationalen Arktisexpedition MOSAiC mit dem Forschungsschiff POLARSTERN. Die dort gewonnenen Daten zur Eisdicke und den begleitenden Umweltparametern flossen in ihre Doktorabeit ein.
    BRIESE-Preisträgerin Luisa von Albedyll war Teilnehmerin der großen, internationalen Arktisexpeditio ...
    Ilias Nasis


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wettbewerbe / Auszeichnungen
    Deutsch


     

    Der mit 5.000 Euro dotierte BRIESE-Preis 2022 wurde heute an Luisa von Albedyll (Mitte) vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) verliehen. Kapitän Klaus Küper (l.) von der BRIESE-Reederei, IOW-Direktor Oliver Zielinski (r.)


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    BRIESE-Preisträgerin Luisa von Albedyll war Teilnehmerin der großen, internationalen Arktisexpedition MOSAiC mit dem Forschungsschiff POLARSTERN. Die dort gewonnenen Daten zur Eisdicke und den begleitenden Umweltparametern flossen in ihre Doktorabeit ein.


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