Schmerzen werden über Rezeptoren im Nervensystem signalisiert. Schmerzstillende Mittel wirken durch Blockierung von Opioidrezeptoren. Noch bis vor wenigen Jahren herrschte in Wissenschaft und Medizin die Vorstellung, daß es solche "Andockstellen " ausschließlich im Zentralen Nervensystem (ZNS) gibt. Medikamente insbesondere gegen starke Schmerzen, die auf das ZNS wirken, haben eine Reihe von bekannten, unerwünschten Wirkungen, unter anderem Suchtpotential, Übelkeit, Müdigkeit und Atemdepression.
Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Dr.med. Christoph Stein, Klinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) / Fachbereich Humanmedizin der Freien Universität Berlin, befaßt sich seit Jahren mit Schmerzlinderung in entzündetem Gewebe. 1990 hatte sie weltweit erstmals nachgewiesen, daß Opioidrezeptoren auch im peripheren Nervensystem existieren. Ein Jahr später konnte die Gruppe zeigen, daß geringe Mengen von Morphin, die Patienten nach Operationen ins Kniegelenk gespritzt wur-den, die Schmerzen linderten, ohne die genannten Nebenwirkungen auszulösen.
Im folgenden gelang es den UKBF-Wissenschaftlern, spezifische Moleküle zu identifizieren, die ausschließlich an die peripheren Rezeptoren andocken. Es handelt sich um spezielle körpereigene, schmerzstillende Botenstoffe (Endorphine). Die Überraschung bestand darin, daß sich diese Endorphine in Immunzellen innerhalb des entzündeten Gewebes fanden. Dies kann als Beleg für das Zusammenspiel zwischen zwei wichtigen komplexen Systemen des Organismus, dem Immun- und dem Nervensystem, auch beim Schmerzgeschehen interpretiert werden. Erste klinische Untersuchungen zeigten, daß die aus Immunzellen freigesetzten Endorphine den Schmerz nicht auszuschalten, aber deutlich abzuschwächen vermögen.
Die führende Fachzeitschrift nature medicine hat nun (Vol. 4, Nummer 12/98) eine Arbeit von Stein und Mitarbeitern veröffentlicht, die einen wichtigen weiteren Schritt zur Entwicklung von neuartigen Analgetika (Schmerzmitteln) bedeutet, die auf dem von Stein entdeckten Prinzip beruhen:
Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, daß bestimmte Moleküle auf Immunzellen, "Selektine" genannt, die zielgerichtete Einwanderung von "Schmerz-Killer-Zellen" in schmerzhaft entzündetes Gewebe steuern. Wenn diese Selektine ausgeschaltet werden, sinkt die Schmerzschwelle, der Patient empfindet also mehr Schmerzen. Bereits existierende Versuche zur Ausschaltung von Selektinen bei entzündlichen Erkrankungen sind demnach im Hinblick auf mögliche Schmerzverstärkung wahrscheinlich genau der falsche Ansatz.
Hingegen können die Ergebnisse zum Beispiel dazu dienen, die häufig vorkommenden Schmerz-Syndrome bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem (HIV-Infektion, bestimmte Krebsarten etc.) zu erklären.
Insbesondere aber, so Stein, "eröffnet sich nun die Perspektive einer vollkommen neuartigen Generation von Analgetika. Auch wenn es diese Mittel noch nicht morgen in der Apotheke gibt, so ist doch zu hoffen, daß wir in den nächsten Jahren über Immun-Schmerzmittel verfügen, die Mechanismen der körpereigenen Abwehr ausnutzen und erheblich weniger Nebenwirkungen haben".
Ansprechpartner: Prof. Dr.med. Christoph Stein
Tel.: (030) 8445-2731; Fax: (030) 8445-4468;
e-mail: cstein@medizin.fu-berlin.de
Pressekontakt: MWM-Vermittlung, Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Abdruck frei, Belegexemplar erbeten an MWM-Vermittlung
ca. 3.200 Zeichen
Den Artikel aus "nature medicine" stellen wir Ihnen auf Anfrage gerne zur Verfügung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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