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11.06.2004 09:23

Mehr Durchblick in den hiesigen Gewässern

Josef Zens Unternehmenskommunikaton des Forschungsverbundes Berlin e.V.
Forschungsverbund Berlin e.V.

    Wie Seen selbst für klares Wasser sorgen - und warum auch der trübe Zustand stabil ist

    Der Müggelsee und andere Gewässer der Region Berlin-Brandenburg haben zwar wieder klareres Wasser als vor wenigen Jahrzehnten. Doch noch immer gibt es nur relativ wenige höhere Wasserpflanzen in vielen der hiesigen Seen. Dr. Sabine Hilt vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin erforscht die Ursachen dafür. Immer wieder begegnet sie bei ihrer Arbeit Menschen, die ihr von früher erzählen. Wie sie zum Baden in brandenburgischen Seen gingen und dabei erst einmal durch einen Gürtel aus braun-grünen Schlingpflanzen waten mussten.

    "Aus alten Aufzeichnungen wissen wir, dass um die Mitte des 20. Jahrhunderts Wasserpflanzen in den meisten Seen Brandenburgs dominierten", berichtet die Wissenschaftlerin vom IGB. Mit dem aus ökologischer Sicht schönen Effekt, dass das Wasser klar war. Das ist heute anders. Die meisten hiesigen Gewässer sind frei von submersen Makrophyten und daher trüb. Algen dominieren, obwohl die Nährstoffbelastung oft wieder zurückgegangen ist. Der Grund: Vermutlich stabilisieren sich beide Zustände - klar und trübe - selbst. Dadurch wird der Wechsel in den jeweils anderen Zustand erschwert. Wenn aber ein Umschlag erfolgt, dann geschieht das abrupt. "Das kann von einem Jahr zum anderen passieren", sagt Hilt.

    Dieses Phänomen - bei gleicher Nährstoffbelastung zwei mögliche Zustände, die beide lang anhalten können - heißt Bistabilität. Es tritt vor allem in sehr flachen Seen auf, in denen potenziell der gesamte Gewässerboden für eine Besiedlung mit Unterwasserpflanzen zur Verfügung steht. Es gibt eine ganze Reihe von Mechanismen, welche den jeweiligen Zustand stabilisieren. Beispielsweise verhindern Unterwasserpflanzen die Aufwirbelung (Resuspension) von Sediment und bieten winzigen Tierchen, dem Zooplankton, Schutz vor Fischen. Raubfische, welche kleinere Fische jagen, verstecken sich ebenfalls in den Pflanzen. Das heißt, die Fressfeinde des Zooplanktons werden dezimiert. Das Zooplankton wiederum hält die Algen kurz. Mehr noch: Unterwasserpflanzen nehmen Nährstoffe auf (die dann den Algen fehlen) und geben algenhemmende Wirkstoffe ab. All das führt dazu, dass das Wasser klar bleibt.

    Nimmt die Nährstoffkonzentration eines Gewässers dennoch zu und überschreitet einen Schwellenwert, etwa durch Düngung umliegender Felder oder Nährstoffeintrag aus Abwässern, verschwinden die Unterwasserpflanzen. Das kommt, weil Algen sowie Epiphyten beginnen zu wachsen. Epiphyten sind Algen, die auf den Unterwasserpflanzen leben. In der Folge erhalten die im Seegrund verwurzelten Wasserpflanzen nicht mehr genügend Licht und wachsen weniger. Sie nehmen weniger Nährstoffe auf und geben weniger algenhemmende Substanzen ab. Ein Teufelskreis beginnt - innerhalb kürzester Zeit kippt das Gewässer um.

    "Die Abwärtsspirale kann auch beginnen, wenn Menschen die Wasserpflanzen systematisch beseitigen", sagt Sabine Hilt. Es gibt viele, die etwas gegen Wasserpflanzen haben: Badegäste, Angler und Freizeitkapitäne etwa. "Nicht umsonst spricht der Volksmund von ,Wasserpest'", erläutert die IGB-Wissenschaftlerin. Die zunehmende Eutrophierung sowie Eingriffe des Menschen - etwa die Zucht von Karpfen, die Wasserpflanzen abweiden und Sediment aufwirbeln - haben dazu geführt, dass die meisten Unterwasserpflanzen in den hiesigen Seen verschwunden sind. Hilt: "In mehr als zwei Dritteln der brandenburgischen Seen fehlen die submersen Makrophyten."

    Das große Problem dabei: Unterschreitet die Nährstoffkonzentration den Schwellenwert wieder, dann kippt das System nicht einfach zurück ins Klare. Denn auch der trübe Zustand stabilisiert sich selbst. Das hat Folgen für die Sanierung von Seen. Es reicht nämlich nicht aus, die Nährstoffkonzentrationen zu verringern, um den See in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Vielmehr müssen die Wasserpflanzen die Möglichkeit haben, ungestört zu wachsen.

    Was also tun? Den aufkeimenden Wasserpflanzen hilft neben der weiteren Verringerung der Nährstoffeinträge eine starke Dezimierung problematischer Fischarten. Dazu gehören unter anderem zooplanktonfressende Arten und Karpfen. Diese Fische können durch Abfischen und/oder Besatz mit Raubfischen dezimiert werden. Nützlich sind auch Wasserstandsverringerungen im Frühjahr oder gezielte Ansiedlungen von Unterwasserpflanzen, wenn Samen und andere Vermehrungseinheiten fehlen. Abfischen, also eine Form der Biomanipulation, funktioniert aber nicht überall. Der Müggelsee etwa wird von der Spree durchflossen, somit können Fische immer von außen zuwandern.
    Jetzt scheint der größte See Berlins auf dem Weg der Besserung, obwohl die Entwicklung der Unterwasserpflanzen noch immer gehemmt ist. Sabine Hilt und ihre Kollegen haben geklärt, was die aktuellen Ursachen für die Hemmung sind: Fische und Wasservögel, die Unterwasserpflanzen fressen, sowie Epiphyten und eine weiterhin recht hohe Nährstoffbelastung.

    Derzeit geht der Blick der IGB-Forscher in die tiefere Vergangenheit der Seen. Denn es ist möglicherweise nicht nur der Mensch, der das Umkippen bewirkt. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch vor dem Industriezeitalter Bistabilität und plötzliches Umkippen vorkamen. Ursachen für den Umschlag eines Zustands könnten etwa Klimaveränderungen gewesen sein, aber auch Extremereignisse wie Stürme, denen auf einen Schlag viele Wasserpflanzen zum Opfer fielen. Um mehr darüber zu erfahren, untersuchen die Forscher des Leibniz-Instituts das Sediment der Seen. Das Wissen darüber wird bei der Sanierung von Seen eine große Rolle spielen.

    Weitere Informationen:
    Dr. Sabine Hilt
    Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
    Müggelseedamm 301
    12587 Berlin
    Tel.: (030) 6 41 81-677
    Mail: hilt@igb-berlin.de
    Web: http://www.igb-berlin.de/~hilt/

    Dieser Text ist die leicht gekürzte Version eines Beitrages für das Verbundjournal. Die Zeitschrift des Forschungsverbundes Berlin ist soeben erschienen und hat das Titelthema Selbstorganisation. Sie kann als PDF aus dem Internet geladen werden: http://www.fv-berlin.de/fvverbund.htm

    Interessenten erhalten auch eine Print-Ausgabe. Anforderungen unter: zens@fv-berlin.de

    Das IGB gehört zum Forschungsverbund Berlin e.V. Es betreibt multidisziplinäre strategische Grundlagenforschung zur Struktur und Dynamik aquatischer Ökosysteme. Das IGB erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen für neue Ökotechnologien, für nachhaltige Binnenfischerei und für ökotoxikologische bzw. -physiologische Bestimmungskriterien der Gewässerbeschaffenheit. Die Forschungen werden an Grundwasser, Seen, Flüssen und deren Einzugsgebieten überwiegend im nordostdeutschen Tiefland betrieben. Das Institut hat rund 170 Mitarbeiter und einen Etat von zirka elf Millionen Euro.
    Das IGB im Internet: http://www.igb-berlin.de

    Im Forschungsverbund Berlin (FVB) sind acht natur-, umwelt- und lebenswissenschaftlich orientierte Institute zusammengeschlossen, die wissenschaftlich eigenständig sind, aber im Rahmen einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit gemeinsame Interessen wahrnehmen. Alle Institute des FVB gehören zur Leibniz-Gemeinschaft.
    Der Forschungsverbund im Internet: www.fv-berlin.de


    Weitere Informationen:

    http://www.fv-berlin.de/fvverbund.htm


    Bilder

    Diplomandin ellen Roberts untersucht Aufwuchsalgen im Müggelsee. Foto: IGB
    Diplomandin ellen Roberts untersucht Aufwuchsalgen im Müggelsee. Foto: IGB

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    Kleine Gitter schützen die Unterwasserpflanzen. Mit solchen Exclosure-Experimenten findet man heraus, wer die Pflanzen anknabbert. Foto: IGB
    Kleine Gitter schützen die Unterwasserpflanzen. Mit solchen Exclosure-Experimenten findet man heraus ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Informationstechnik, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Diplomandin ellen Roberts untersucht Aufwuchsalgen im Müggelsee. Foto: IGB


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