Dynamische Preistarife können den Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erheblich erleichtern. Eine aktuelle Analyse des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Yale University zeigt: Das 9-Euro-Ticket hatte nur geringe Auswirkungen auf die Autonutzung. Daher plädieren die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ für eine Alternative zum kürzlich eingeführten „Deutschlandticket“: Die Einführung eines subventionierten, aber dynamischen ÖPNV-Tarifs in Verbindung mit einer dynamischen Straßennutzungsgebühr anstelle eines subventionierten, pauschalen Monatstickets könnte den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV deutlich begünstigen. ...
... Sie stützen sich dabei auf ihre von der Stiftung Mercator geförderten Studie zu den Auswirkungen des 9-Euro-Tickets, die als RWI Position #82 „Promoting Public Transport with Modern Pricing Schemes" veröffentlicht ist.
Wichtige Eckpunkte der Studie:
- Die Studienergebnisse des RWI und der Yale University zeigen, dass Autofahrerinnen und Autofahrer ihre wöchentliche Pkw-Fahrleistung während der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets nur geringfügig um etwa 10 Prozent reduzierten.
- Aus Perspektive des Klimaschutzes ging die Maßnahme aufgrund der hohen Gesamtausgaben von 2,5 Milliarden Euro mit hohen CO2-Vermeidungskosten einher. Diese CO2-Vermeidungskosten übersteigen die Kosten gängiger Klimaschutzmaßnahmen bei weitem.
- Das 9-Euro-Ticket führte zu einem Anstieg der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, der fast doppelt so groß war wie der Rückgang des Autoverkehrs. Diese erhöhte Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln verschärfte die Überfüllung von Bussen und Bahnen zu den Stoßzeiten.
- Die Studienautoren nutzen einen Differenz-von-Differenzen-Ansatz, d. h. einen Vergleich von Veränderungen im Mobilitätsverhalten anhand von Daten aus zwei groß angelegten Befragungen auf Grundlage eines repräsentativen Haushaltspanels. Die Befragungen wurden im April und Juni 2022 durchgeführt, also vor und während der Verfügbarkeit des 9-Euro-Tickets.
Basierend auf den oben genannten Studienergebnissen, den Erfahrungen mit ähnlichen Mobilitätsmaßnahmen in anderen europäischen Städten und theoretischen Modellen, plädieren die Forscher für ein dynamisches Preissystem: Dieses zweiteilige System umfasst sowohl die Autonutzung als auch den ÖPNV. Es beinhaltet dynamische Tarife für den ÖPNV mit besonders günstigen Preisen außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Die für ein solches Preissystem erforderliche Subventionierung würde zumindest anteilig über dynamische Straßennutzungsgebühren erfolgen können. Diese Straßennutzungsgebühren könnten mittels digitaler Lösungen erhoben werden, die bereits in anderen Ländern erprobt sind – und in ihrer Höhe von der aktuellen Auslastung des Straßennetzes abhängen. In Kombination würden diese Maßnahmen Anreize für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV schaffen und optimale Anreize zur gleichmäßigen Auslastung des ÖPNVs und der Straßen setzen.
„Das von uns vorgeschlagene Preissystem ist für die Kundinnen und Kunden des ÖPNV nicht teurer. So könnten die Preise in Stoßzeiten den heutigen Preisen entsprechen, und in Zeiten leerer Busse und Bahnen würden sie auf einen sehr niedrigen Preis, möglicherweise sogar auf null Euro, sinken“, erklärt Studienleiter und RWI-Mobilitätsexperte Mark Andor.
„Pauschaltickets haben – trotz ihrer Einfachheit – einen entscheidenden Nachteil: Ihnen fehlt das Potenzial für eine preisbasierte Nachfragesteuerung“, erklärt RWI-Wissenschaftler Fabian Dehos. „Wir brauchen ein anreizkompatibles, flexibles Preissystem, das für eine optimale Auslastung von Bussen und Bahnen sorgt. Busse und Bahnen sollten nicht leer herumfahren.“
„Wenn das 49-Euro-Ticket aus politischen Gründen beibehalten werden soll, könnten dynamische Preise auch ergänzend zum Deutschlandticket eingeführt werden“, erklärt RWI-Wissenschaftler Sven Hansteen. „In diesem Fall würden die dynamischen Preise nicht für Abonnentinnen und Abonnenten gelten, jedoch allen anderen potenziellen Kundinnen und Kunden einen optimalen Tarif bieten. Der große Teil der Bevölkerung, der das Deutschlandticket nicht abonniert hat, könnte so von den dynamischen Preisen und vor allem von den niedrigen Preisen in den Nebenverkehrszeiten profitieren.“
„Die Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket und vergleichbaren Maßnahmen zeigen: Es braucht mehr als nur eine Senkung der ÖPNV-Preise, um das Mobilitätsverhalten in großem Umfang vom Auto wegzubewegen“, ergänzt RWI-Wissenschaftler Lukas Tomberg. „Wir schlagen daher vor, subventionierte ÖPNV-Tarife mit dynamischen Straßennutzungsgebühren zu koppeln, um direkte Anreize zu schaffen, auch die Straße optimal zu nutzen. Demnach würden besonders in Stoßzeiten weniger Autos fahren. Es gilt aber auch hier: Falls die dynamischen Straßennutzungsgebühren aus politischen Gründen weiterhin als nicht umsetzbar gelten, könnten trotzdem dynamische ÖPNV-Preise eingeführt werden.“
„Wir schlagen ein Preissystem vor, das grundsätzlich in jedem Land, das sein Verkehrssystem neu gestalten möchte, angewendet werden könnte“, sagt Kenneth Gillingham von der Yale University. „Eine konsequente Anwendung der vorgeschlagenen Maßnahme hat das Potenzial, zu deutlich geringeren Schadstoff- und Treibhausgasemissionen, weniger Staus, weniger Unfällen, ruhigeren Städten und letztlich zu einer besseren Lebensqualität zu führen.“
Dr. Mark Andor, mark.andor@rwi-essen.de
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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