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05.07.2023 15:17

Wie Zellen ihr Schicksal umschreiben

Jana Ehrhardt-Joswig Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

    Ein internationales Forschungsteam, darunter Achim Leutz vom Max Delbrück Center, hat herausgefunden, dass ein bestimmtes Protein die Umwandlung von Immunzellen steuert. Würde es gelingen, in diesen Prozess einzugreifen, könnte die Entstehung von Krebs verhindert werden.

    Gemeinsame Pressemitteilung des Centre for Genomic Regulation (CRG) und des Max Delbrück Center

    Das Zellschicksal bestimmt, zu welchem Zelltyp eine Zelle differenziert und welche Funktion sie im Organismus übernimmt. Wenn Zellen dabei eine falsche Entscheidung treffen, kann daraus Krebs resultieren.

    Forschende des Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona und des Max Delbrück Centers in Berlin haben untersucht, wie Zellen ihr Schicksal beschleunigen können. Ihre Ergebnisse stellen sie in der Fachzeitschrift „eLife“ vor. Die Studie könnte der Grundstein für neue Methoden sein, mit denen die molekularen Mechanismen der Krebsentstehung beeinflusst werden können.

    Fresszellen von der Leine lassen

    Im Mittelpunkt der Studie steht C/EBPα (CCAAT/enhancer-binding protein alpha), ein Protein, das die Umwandlung von B-Lymphozyten in Makrophagen steuert. B-Lymphozyten sind weiße Blutkörperchen, die Antikörper gegen Krankheitserreger bilden. Makrophagen, auch „Fresszellen“ genannt, gehören ebenfalls zu den weißen Blutkörperchen. Ihre Funktion ist das Finden und Beseitigen von Erregern und krankhaft veränderten Zellen. C/EBPα ist ein Transkriptionsfaktor, der an spezifische DNA-Sequenzen in den regulatorischen Regionen von Genen bindet. Dort aktiviert oder unterdrückt C/EBPα die Genexpression.

    Wie alle Proteine besteht C/EBPα aus verschiedenen Aminosäuren. Bestimmte Enzyme können Proteine modifizieren, indem sie beispielsweise Methylgruppen – das sind kleine „Aufkleber“ aus je einem Kohlenstoffatom und drei Wasserstoffatomen – an bestimmte Aminosäuren anheften. Dieser Vorgang heißt Methylierung. Auf diese Weise können die Protein-Protein-Interaktionen mit C/EBPα wesentlich beeinflusst werden. Die Forschenden fanden heraus, dass ein bestimmter Aminosäure-Rest von C/EBPα, wenn er nicht methyliert ist, die Umwandlung von B-Lymphozyten zu Makrophagen stark beschleunigt. Die Methylierung dieses spezifischen Aminosäure-Rests wird durch das Enzym Carm1 vermittelt. Aus früheren Forschungen ist bekannt, dass Mäuse, denen Carm1 fehlt, resistent gegen einige Formen der akuten myeloischen Leukämie sind. Dies könnte an den Mechanismen liegen, die die Wissenschaftler*innen in der vorliegenden Studie aufgedeckt haben: Die unmethylierte Version von C/EBPα triggert die Makrophagendifferenzierung stärker als ihr methyliertes Gegenstück. Da Makrophagen ein sich selten teilender Zelltyp sind, könnte dies die Bildung von Krebszellen verhindern.

    Neue Ideen für die Behandlung von Leukämien

    „Indem wir verstehen, wie die Umwandlung des Zellschicksals beschleunigt oder gesteuert werden kann, entdecken wir neue Hinweise für die Krebsforschung“, sagt Letztautor Dr. Thomas Graf, Arbeitsgruppenleiter am CRG. „Wenn wir zum Beispiel auf das Gleichgewicht zwischen methylierten und unmethylierten Formen von C/EBPα abzielen, kann uns das helfen zu verstehen, wie sich Immunzellen differenzieren, und schließlich zu neuen Ideen für die Behandlung bestimmter Formen von Leukämie führen.“

    Die Forschenden fanden die Position der kritischen Aminosäure in C/EBPα, als sie eine mutierte Form des Proteins namens C/EBPαR35A testeten. Diese Mutante beschleunigt die Umwandlung der B-Zellen in Makrophagen drastisch. Um eine Zellumwandlung einzuleiten, interagiert C/EBPα mit einem anderen Transkriptionsfaktor namens PU.1. Es zeigte sich, dass C/EBPαR35A viel stärker mit PU.1 interagiert als methyliertes C/EBPα. Das brachte die Gene der B-Zellen schneller zum Schweigen und aktivierte stattdessen die Gene der Makrophagen.

    Medikamente gegen „verwirrte“ Zellen

    Die Methylierung von C/EBPα ist ein Beispiel für einen epigenetischen Mechanismus. Diese Mechanismen steuern, wie das Genom – die Gebrauchsanweisung im Inneren jeder Zelle des menschlichen Körpers – gelesen wird. „Medikamente, die epigenetische Mechanismen beeinflussen, könnten tatsächlich die Funktion von Transkriptionsfaktoren verändern und Zellen korrigieren, die in die Irre gegangen sind, wie es bei Krebs und Leukämie der Fall ist“, sagt Co-Letztautor Professor Achim Leutz, Leiter der Arbeitsgruppe „Zelldifferenzierung und Tumorigenese“ am Max Delbrück Center. „In diesem neuartigen Mechanismus wird PU.1 durch C/EBPα stärker angelockt, um von einem B-Zell-Regulator zu einem Makrophagen-Regulator zu wechseln. Dies ist ein eleganter 'On-Off'-Mechanismus, der die Bildung eines reifen Zelltyps sicherstellt und die Bildung von ‚verwirrten‘ Zellen vermeidet, die häufig bei Blutkrebs auftreten. Wir könnten nun nach Medikamenten suchen, die auf diesen Mechanismus abzielen, um solche Defekte zu korrigieren.“

    Bislang ist nicht viel darüber bekannt, was die Geschwindigkeit der Entscheidungsprozesse des Zellschicksals bestimmt. Die Studie legt nahe, dass solche Prozesse zum Beispiel Stammzellen nacheinander in die vielen verschiedenen Zelltypen im Körper umwandeln. Wenn man besser versteht, wie Zellen ihre Identität ändern und wie man diesen Prozess manipulieren kann, könnte man dies in der regenerativen Medizin nutzen oder Medikamente entwickeln, die besser gegen Krebs wirken.

    Über die Studie

    Die Forschungsarbeiten wurden in Zusammenarbeit zwischen dem Centre for Genomic Regulation in Barcelona, dem Max Delbrück Center in Berlin und der University of Pennsylvania in Philadelphia durchgeführt. Die Studie wurde vom spanischen Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Wettbewerbsfähigkeit, der katalanischen Agentur für Forschung und Universitäten, aus dem 4D-Genome Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats, Mitteln des Max-Delbrück-Zentrums und dem United States National Institute of Health finanziert.

    Centre for Genomic Regulation

    Das CRG ist ein biomedizinisches Forschungszentrum mit Sitz in Barcelona. Es wurde im Dezember 2000 gegründet. Das interdisziplinäre Forschungsteam von mehr als 400 Wissenschaftler*innen konzentriert sich auf das Verständnis der Komplexität des Lebens, vom Genom über die Zelle bis hin zum gesamten Organismus. Das CRG rekrutiert international anerkannte Spitzenkräfte auf diesem Gebiet. Es gehört zum Barcelona Institute of Science and Technology (BIST) und ist ein CERCA-Zentrum.

    Max Delbrück Center

    Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Achim Leutz
    AG "Zelldifferenzierung und Tumorigenese"
    Max Delbrück Center
    Tel.: +49 30 9406-3735
    E-Mail: aleutz@mdc-berlin.de


    Originalpublikation:

    Guillem Torcal Garcia et al (2023): Carm1-arginine methylation of the transcription factor C/EBPα regulates transdifferentiation velocity, in: eLIFE, DOI: 10.7554/eLife.83951


    Weitere Informationen:

    http://www.crg.eu/thomas_graf - AG Graf, Genome Biology, Centre for Genomic Regulation
    http://www.mdc-berlin.net/leutz - AG Leutz, Zelldifferenzierung und Tumorigenese, Max Delbrück Center
    http://www.crg.eu/en/news/researchers-reveal-how-cells-rewrite-their-fate - Pressemitteilung des CRG


    Bilder

    C/EBPαR35A  interagiert stärker mit PU.1 als unverpaartes C/EBPα. Die Zellkerne sind hellblau, die Interaktionsergebnisse als rote Punkte sichtbar. Bei der  Mutante (rechts) sind wesentlich mehr Zellen aktiviert als beim Wildtyp.
    C/EBPαR35A interagiert stärker mit PU.1 als unverpaartes C/EBPα. Die Zellkerne sind hellblau, die I ...
    Thomas Graf
    Centre for Genomic Regulation


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    C/EBPαR35A interagiert stärker mit PU.1 als unverpaartes C/EBPα. Die Zellkerne sind hellblau, die Interaktionsergebnisse als rote Punkte sichtbar. Bei der Mutante (rechts) sind wesentlich mehr Zellen aktiviert als beim Wildtyp.


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