idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
12.07.2023 15:27

Ein „Kronzeuge“ des Sozialismus

Stephan Laudien Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Biologiedidaktiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena geben Buch über „Ernst Haeckel in der DDR“ heraus. Beleuchtet werden viele Facetten der Rezeptionsgeschichte des "deutschen Darwin" insbesondere an seinem Wirkungsort Jena.

    Er war zweifellos eine beeindruckende Persönlichkeit: Der Biologe und Hochschullehrer Ernst Haeckel (1834-1919). Als „deutscher Darwin“ gefeiert und geschmäht, war Haeckel Forschungsreisender, Künstler, Monist, „Gegenpapst“, Pazifist, Rassentheoretiker und im Ersten Weltkrieg dann auch Nationalist. „Er war eine äußerst ambivalente Figur, die für die unterschiedlichsten Zwecke instrumentalisiert wurde“, sagt Dr. Karl Porges von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Uwe Hoßfeld hat Porges jetzt das Buch „Ernst Haeckel in der DDR“ herausgegeben. Die beiden Biologiedidaktiker haben in den letzten Jahren akribisch untersucht, welche Rolle Haeckel in Forschung und Lehre sowie in der politischen Bildungsarbeit der DDR gespielt hat. Dabei konnten sie neue und überraschende Facetten der Haeckel-Rezeption im „Arbeiter- und Bauernstaat“ ausfindig machen.

    Wissenschaftliche Begründung der materialistischen Weltanschauung
    „In der DDR wurden die Ideen Haeckels an einigen Stellen auch zur Begründung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung herangezogen“, sagt Prof. Dr. Uwe Hoßfeld. Der Jenaer Gelehrte sei damit de facto zu einem „Kronzeugen“ des Sozialismus erhoben worden. Galt es doch, die als gesetzmäßig geltende materialistische Weltanschauung wissenschaftlich zu begründen. Die Evolutionstheorie war dafür bestens geeignet, da die Idee von einer Höherentwicklung der Arten auf die Klassengesellschaft übertragen wurde. „Bei einem Besuch im Haeckel-Haus regte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht an, Filme über Ernst Haeckel zu drehen“, sagt Uwe Hoßfeld. Tatsächlich fanden sich im Nachlass einer langjährigen Mitarbeiterin des Haeckel-Hauses zwei Drehbücher, die ins Buch Aufnahme fanden. Weshalb die Filme nie realisiert wurden, konnten die beiden Forscher nicht herausfinden. Deutlich erfolgreicher wurde der Name Ernst Haeckel auf andere Weise in die Welt getragen: Zwei DDR-Fischereiforschungsschiffe trugen den Namen „Ernst Haeckel“. Das erste wurde 1963 in Dienst gestellt und bis 1983 genutzt, das Nachfolgerschiff wurde 1987 getauft und fuhr bis Anfang August 1993. „Die erste Reise des ersten Schiffes führte 1963 zur Internationalen Fischereiausstellung in den Londoner Hafen“, sagt Karl Porges. Später wurden u. a. neue Fanggründe erforscht, etwa vor der afrikanischen Küste.

    Haeckels Wirkungsort Jena war ein Glücksfall für die DDR
    Haeckels Erkenntnisse waren ein fester Bestandteil in den Biologielehrbüchern der DDR. Hingegen seien die Ansichten Haeckels zur Eugenik und seine rassenbiologischen Thesen nicht totgeschwiegen, aber auch nicht in den Vordergrund gerückt worden, konstatiert Karl Porges. Als Glücksfall wurde wahrgenommen, dass Jena als zentraler Wirkungsort Haeckels auf dem Gebiet der DDR lag. So wurden etwa Jugendweihefahrten ins Phyletische Museum in Jena angeboten und der Ernst-Haeckel-Schülerpreis erstmals 1971 in Jena verliehen. Obwohl Haeckel selbst der sozialdemokratischen Bewegung ambivalent und eher skeptisch gegenüberstand, passten viele seiner naturwissenschaftlichen und kirchenkritischen Ideen in die Staatsdoktrin der DDR. Er sei ein Vorbild wegen seiner Leistungen und Stärken, nicht wegen seiner Fehler, so brachte es Walter Ulbricht auf den Punkt. Im Buch von Porges und Hoßfeld kommen dazu zahlreiche Zeitzeugen zu Wort. Der prominenteste von ihnen hat das Vorwort geschrieben: Gregor Gysi.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Karl Porges
    AG Biologiedidaktik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Am Steiger 3 (Bienenhaus), 07743 Jena
    Telefon: 03641 / 949493
    E-Mail: karl.porges@uni-jena.de


    Originalpublikation:

    Karl Porges, Uwe Hoßfeld: „Ernst Haeckel in der DDR“, THK-Verlag, Arnstadt 2023, 236 Seiten, zahlr. Abbildungen, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-945068-73-1


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de


    Bilder

    Das DDR-Fischereiforschungsschiff "Ernst Haeckel" wurde 1963 in Dienst gestellt.
    Das DDR-Fischereiforschungsschiff "Ernst Haeckel" wurde 1963 in Dienst gestellt.
    Foto: W. K. Wittig


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Das DDR-Fischereiforschungsschiff "Ernst Haeckel" wurde 1963 in Dienst gestellt.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).