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18.07.2023 10:24

Migration polarisiert Rechte, Klimawandel Linke: MIDEM-Studie zeichnet Bild der Konfliktlinien Europas

Claudia Kallmeier Pressestelle
Technische Universität Dresden

    Wenn sich Personen in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen mit emotionaler Ablehnung begegnen, kann von affektiver Polarisierung gesprochen werden. Das Forschungszentrum Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden ist dem themenbezogenen Ausmaß affektiver Polarisierung in Europa in empirischer und vergleichender Perspektive nachgegangen.

    Die Analyse einer repräsentativen Umfrage in zehn europäischen Ländern zeigt, dass die affektive Polarisierung bei den Themen ‚Klimawandel‘ und ‚Migration‘ am größten ist. Generell sind Linke stärker polarisiert als Rechte. Beim Thema Zuwanderung jedoch zeigen sich Personen, die sich politisch rechts positionieren, stärker affektiv polarisiert.

    Affektive Polarisierung in Italien am größten

    Das Ausmaß der Polarisierung variiert in Europa von Land zu Land. Italien weist generell das höchste Maß an affektiver Polarisierung auf, vor Griechenland und Ungarn. Im Gegensatz dazu sind die Befragten in den Niederlanden und Tschechien am wenigsten polarisiert. Deutschland liegt zusammen mit Ungarn und Spanien im Mittelfeld.

    Größte Polarisierung bei Klimawandel und Migration

    Am stärksten ist die emotionale Ablehnung zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten bei den Themen ‚Klimawandel‘ und ‚Migration‘. „Im Zusammenhang mit ‚Migration‘ sind diejenigen am stärksten polarisiert, die den Zuzug von Ausländer:innen begrenzen wollen; im Zusammenhang mit ‚Klimawandel‘ sind es diejenigen, denen die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung nicht weit genug gehen. Während der Klimawandel insbesondere die Wählerschaft linker und ökologischer Parteien polarisiert, ist die Ablehnung gegenüber Andersdenkenden beim Thema ‚Migration‘ vor allem bei Wählergruppen rechter und rechtsextremer Parteien dominant“, erklärt MIDEM-Direktor Prof. Hans Vorländer. Die Themen ‚Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft‘ und ‚Pandemien wie COVID-19‘ weisen vergleichsweise geringe gesellschaftliche Konfliktlinien auf. Die geringste affektive Polarisierung besteht bei dem Thema ‚Sozialleistungen und ihrer Finanzierung‘.

    Schutz sexueller Minderheiten polarisiert Südeuropa, Krieg in der Ukraine Tschechien

    Das Thema ‚Umgang mit sexuellen Minderheiten’ polarisiert besonders Italien, Spanien und Griechenland. Auffallend ist: Frauen sind bei diesem Thema etwas stärker polarisiert als Männer.
    Der Krieg in der Ukraine polarisiert Tschechien am stärksten. Viele Tschech:innen stehen der eigenen Regierung sowie deren politischen Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine sehr kritisch gegenüber.

    Unterschiede zwischen tatsächlicher Polarisierungswirkung und wahrgenommenen Spaltungspotenzial in der Gesellschaft

    Das Thema Zuwanderung polarisiert nicht nur am stärksten, es hat auch das größte Spaltungspotenzial. Aber nicht allen Themen, die in der Öffentlichkeit emotionalisiert diskutiert werden, wird ein gleich hohes Spaltungspotenzial zugeschrieben. Am deutlichsten ist der Unterschied bei den Themen ‚Klimawandel‘ sowie ‚Sozialleistungen und ihre Finanzierung‘. Im Kontext des Klimawandels lösen politische Maßnahmen starke negative Gefühle zwischen unterschiedlichen Meinungslagern aus. Dennoch sehen die Befragten hier nur ein geringes gesellschaftliches Spaltungspotenzial. Ganz anders bei der Frage nach ‚Sozialleistungen und ihrer Finanzierung‘: Diese vermag kaum zu polarisieren, obwohl ihr die Befragten ein hohes Potenzial zur Spaltung der Gesellschaft beimessen.

    Höchste Polarisierung in städtischen Bildungsmilieus und im linken Spektrum

    Die Befunde zeigen, dass ältere Menschen, Personen mit höherem Bildungsabschluss und Einkommen sowie Bewohner:innen von Großstädten gegenüber Andersdenkenden die stärksten negativen Gefühle hegen. Auch politische Orientierungen spielen eine Rolle: Wer sich politisch als ‚links‘ beschreibt, ist im Schnitt deutlich stärker polarisiert als Menschen, die sich eher ‚rechts‘ verorten. Wähler:innen von linken bis linksextremen sowie grünen und ökologischen Parteien sind europaweit signifikant stärker polarisiert als andere. Die geringste Abneigung gegenüber Menschen mit unterschiedlichen Ansichten besteht bei Nichtwähler:innen sowie bei der Wählerschaft christdemokratischer oder konservativer Parteien.

    Deutschland: Wählerschaften von AfD und Grünen deutlich stärker polarisiert als andere

    Auch in Deutschland zeigen sich ältere Befragte signifikant stärker polarisiert als jüngere. Allerdings bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen Personen mit höheren und niedrigeren Bildungsabschlüssen. Auch Einkommen sowie Stadt-Land-Unterschiede spielen keine nennenswerte Rolle. Personen, die sich politisch jenseits der Mitte verorten, sind stärker polarisiert. Sowohl Wähler:innen von AfD als auch Grünen weisen in Deutschland das höchste Maß an Polarisierung auf. Die Anhängerschaft der AfD zeigt sich dabei stärker polarisiert als jene anderer rechter Parteien in Europa. Dies kann insbesondere bei den Themen ‚Zuwanderung‘, ‚Krieg in der Ukraine‘ und ‚Pandemien wie Covid-19‘ beobachtet werden.

    Hintergründe und Auswirkungen starker affektiver Polarisierung

    Die Hintergründe sind vielfältig: aktuelle Ereignisse, mediale Diskurse, politische Konfrontationen können affektive Polarisierung genauso bewirken wie starke politische Überzeugungen und Gestaltungswillen. Hohe affektive Polarisierung deutet darauf hin, dass die eigene Meinung emotional aufgeladen und mit Prozessen der Identitätsstiftung, der sozialen Assoziation und Dissoziation sowie mit einhergehenden Dynamiken der Abgrenzung zu anderen Gruppen verbunden ist: „Hohe affektive Polarisierung kann somit auch auf ideologische Verhärtungen, auf unzureichendes Verständnis für abweichende Einstellungen sowie auf fehlende Kompromissbereitschaft verweisen. Dann werden demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse erschwert und ihre Akzeptanz schwindet. Das schadet der Demokratie“, betont MIDEM-Direktor Prof. Hans Vorländer.

    Zur Studie und Methode

    Die Studie basiert auf einer Umfrage, die in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov im Herbst 2022 in zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Schweden, Spanien, Griechenland, Polen, Tschechische Republik und Ungarn) durchgeführt wurde. Rund 20.000 Personen wurden zu folgenden Themen befragt: Zuwanderung, Krieg in der Ukraine, Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Sozialleistungen und ihre Finanzierung, Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft und Umgang mit sexuellen Minderheiten. Statt Einstellungsunterschiede zu politischen Themen zu erheben, misst die Studie die emotionale Bewertung von Personengruppen mit entgegengesetzten politischen Ansichten. Dafür wurden Befragte nicht nur hinsichtlich der eigenen Position zu einem Thema befragt, sondern auch ihre Gefühle gegenüber den entgegengesetzten Meinungsgruppen zu einem Thema erfasst. So können Polarisierungsdynamiken analysiert werden, die über sozialstrukturelle Faktoren hinausgehen. „Wir wissen immer noch sehr wenig über die Determinanten und Folgen der affektiven Polarisierung in Europa. Nötig sind Forschungen, die sich mit den spaltenden Wirkungen politischer Themen befassen. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass die MIDEM-Studie erste Erkenntnisse geliefert und ein Bild der Polarisierung in Europa gezeichnet hat", erläutert Katja Lenz, Projektmanagerin der Stiftung Mercator.

    Über MIDEM
    Das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) ist ein Forschungszentrum an der Technischen Universität Dresden, gefördert durch die Stiftung Mercator. MIDEM fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften – in einzelnen Ländern und im vergleichenden Blick auf Europa.

    Kontakt
    Mathilde Rave
    Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) TU Dresden
    Transfer- und Kommunikationsmanagerin
    Tel.: +49 351 463-37327
    Email: mathilde.rave@tu-dresden.de

    Sekretariat
    Tel.: +49 351 463-35811
    Email: sekretariat-zvd-midem@tu-dresden.de


    Weitere Informationen:

    http://www.forum-midem.de Weitere Informationen über MIDEM


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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