Tumorzellen können mitunter Chemo- und Strahlentherapien entgehen: Sie aktivieren einen Signalweg, der ihr Absterben verhindert. Forschende um Claus Scheidereit am Max Delbrück Center beschreiben nun in „Cell Chemical Biology“ zwei neue Substanzen, die den Krebszellen diesen Ausweg abschneiden.
Chemo- und Strahlentherapie zielen darauf ab, Krebszellen durch DNA-Doppelstrangbrüche zu zerstören. Ist deren Erbgut so geschädigt, sterben sie normalerweise ab. Durch die DNA-Schäden wird in den Krebszellen jedoch ein Signalweg namens IKK-NF-κB aktiviert, der den Zelltod verhindert. Dadurch wird der Behandlungserfolg beschränkt.
Dieser Signalweg hat im Körper viele lebenswichtige Funktionen. Er darf deshalb nicht generell blockiert werden. NF-κB ist eine Gruppe von Genregulatoren, die verschiedenste zelluläre Prozesse – von Immunreaktionen bis zur Embryonalentwicklung – steuert. Sie wird von IKK, einem Enzymkomplex, aktiviert. Forschenden um Professor Claus Scheidereit vom Max Delbrück Center ist es nun gelungen, zwei Leitsubstanzen zu identifizieren, die IKK-NF-κB ausschließlich dann abschalten, wenn die Signalkette durch DNA-Doppelstrangbrüche ausgelöst wird. Wie das Ganze funktioniert, beschreibt das Team im Fachmagazin „Cell Chemical Biology“.
„Eine pharmakologische Herausforderung“
Auslöser des IKK-NF-κB-Signalwegs sind zwei Sensoren, die DNA-Doppelstrangbrüche registrieren: die Enzyme ATM und PARP1. „ATM darf keinesfalls pharmakologisch blockiert werden. Denn es ist essenziell für biologische Notfallprogramme: Es schaltet bei DNA-Schäden das Protein P53 ein, das den Zellzyklus stoppt und die Zellen absterben lässt. P53 ist quasi der natürliche Gegenspieler von NF-κB“, erklärt Claus Scheidereit. PARP1 habe ebenfalls wichtige weitere Funktionen in der Zelle. Der unten in der Signalkaskade liegende Regulator-Komplex IKK dürfe jedoch auch nicht direkt blockiert werden. Denn er ist für die NF-κB-Aktivierung in vielen anderen Signalwegen notwendig. „Selektiv bei DNA-Schäden wirkende NF-κB Inhibitoren zu entwickeln, ist deshalb eine pharmakologische Herausforderung“, sagt Claus Scheidereit.
Gemeinsam mit Dr. Jens Peter von Kries und Dr. Marc Nazaré, die die Screening Unit bzw. die Medizinische Chemie am Leibniz Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) leiten, untersuchte das Team 32.000 Substanzen. Am Ende blieben zwei Verbindungen übrig, die den Signalweg nur dann blockieren, wenn er durch DNA-Doppelstrangbrüche ausgelöst wird: MW01 und MW05.
Auf der Suche danach, was genau diese Substanzen blockieren, machten die Forschenden eine überraschende Entdeckung: Wirksame Derivate von MW01 und MW05 binden an den Kinasen CLK2 und CLK4 und schalten sie dadurch aus. Die CLKs, so fanden sie heraus, sind für die Signalweiterleitung von ATM nach IKK notwendig. Kinasen sind Enzyme, die gezielt Phosphatgruppen auf andere Moleküle übertragen und sie dadurch steuern. „CLKs wurden bisher nur mit Funktionen in Verbindung gebracht, die mit unserer Signalkette gar nichts zu tun haben“, sagt Patrick Mucka, Erstautor der Studie. „CLK2 ist allerdings im Darm- und Lungenkarzinom sowie beim Gliablastom und Brustkrebs oft überexprimiert. Sie scheint demnach eine wichtige Funktion bereits bei der Tumorentstehung oder beim Fortschreiten des Krebses zu haben.“
Erfolgsversprechendere Krebstherapien?
Versuche an Osteosarkom-Knochenkrebszellen zeigten, dass die Substanzen die Zellen tatsächlich empfindlicher gegenüber Chemotherapien machen: Nach einer kurzen Vorbehandlung mit MW01 oder MW05 starben bei der anschließenden genotoxischen Behandlung wesentlich mehr Krebszellen ab. Claus Scheidereit hofft, dass die CLK-Hemmer in weiteren präklinischen Studien ähnliche Effekte zeigen werden. Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Inhibitoren den Behandlungserfolg genotoxischer Tumortherapien erhöhen können. Bis CLK-Inhibitoren tatsächlich klinisch zugelassen werden, können aber noch Jahre vergehen.
Bei ersten toxikologischen Tests vertrugen Mäuse die Substanzen sehr gut. „Ein Nebeneffekt ist übrigens, dass jenseits des IKK-NF-κB-Signalweges auch Enzyme gehemmt werden, die in Wachstumsprozesse involviert sind“, sagt Claus Scheidereit. „Wenn wir das in der Tumortherapie einsetzen, ist das nur gut – quasi ein Doppeltreffer.“
Max Delbrück Center
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin. www.mdc-berlin.de
Prof. Dr. Claus Scheidereit
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
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Patrick Mucka et al. (2023): „CLK2 and CLK4 are regulators of DNA damage-induced NF-κB targeted by novel small molecule inhibitors“, in: Cell Chemical Biology, DOI: 10.1016/j.chembiol.2023.06.027
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Claus Scheidereit
Felix Petermann, Max Delbrück Center
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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