idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
01.08.2023 10:40

Raupe Nimmersatt: 60 Millionen Jahre alte Fraßspuren

Judith Jördens Senckenberg Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

    Gemeinsame Nutzung von Nahrungspflanzen als treibende Kraft für die Vielfalt von Insekten

    Forschende des Hessischen Landesmuseums Darmstadt und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt haben entschlüsselt, welche Faktoren die enorme Vielfalt von pflanzenfressenden Insekten bestimmen. In ihrer heute im Fachjournal „PNAS“ erschienen Studie zeigen sie, dass sich die Diversität der herbivoren Insekten in den letzten 60 Millionen Jahren hauptsächlich durch die gemeinsame Nutzung von Nahrungspflanzen entwickelte. Hierfür analysierte das Forschungsteam die Fraßspuren von Gliedertieren an mehr als 45.000 fossilen Blättern.

    Pflanzenfressende Insekten sind die vielfältigste Gruppe mehrzelliger Organismen auf der Erde. Auch ihre verschiedenen Mundwerkzeuge und Ernährungsweisen zeugen von einer hohen Diversität: Es gibt zum Beispiel Schmetterlingsraupen oder Käfer, die mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen Blätter anknabbern, Wanzen und Blattläuse, die Pflanzen anstechen, um an ihren Saft zu gelangen, oder Tiere, die Pflanzen zur Bildung von Gallen – Gewebewucherungen – anregen, in denen sie sich vor Feinden geschützt entwickeln und ernähren können. „Die Fraßspuren solcher Insekten sind auch an fossilen Blättern deutlich zu erkennen. Sie können uns dabei helfen, die Faktoren zu identifizieren, die zu der enormen Vielfalt von pflanzenfressenden Insekten führten“, erklärt Dr. Jörg Albrecht vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt.

    Albrecht hat gemeinsam mit Prof. Dr. Torsten Wappler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt und weiteren Senckenberg-Forschenden insgesamt 47.064 fossile Blätter aus 436 Pflanzenarten von 16 Standorten in Mitteleuropa, Island und Norwegen klassifiziert und auf Fraßspuren von Insekten geprüft. „Die von uns untersuchten Fossilien decken nahezu das gesamte Känozoikum ab, also die Zeit von 66 bis zwei Millionen Jahren vor heute. Die versteinerten Blattfossilien stammen zudem aus verschiedenen Klimabedingungen – von subtropisch über ozeanisch bis hin zu feucht-kontinental“, erläutert Wappler.

    Jedes gut erhaltene fossile Blatt wurde von dem Wissenschaftler*innen-Team auf Insektenfraß untersucht. Über ein Fünftel der untersuchten Blätter zeigte entsprechende Spuren. „Anhand dieser Daten können wir zeigen, dass Nahrungspflanzen bereits früh in der Erdgeschichte von einer Vielzahl pflanzenfressender Insekten genutzt wurden. Mehr noch: Die genaue Auswertung der Fraßspuren zeigt, dass die gemeinsame Nutzung einer Pflanzenart durch verschiedene Gruppen pflanzenfressender Insekten doppelt so viel zu deren funktioneller Vielfalt – in Bezug auf die Ernährungsweise – beitrug, wie die Artenvielfalt der Nahrungspflanzen selbst“, so Albrecht.

    Die Ergebnisse geben damit neue Einblicke in die Entstehung der Diversität von Insekten und zeigen, dass das gemeinsame Vorkommen vieler spezialisierter Insektenarten auf derselben Pflanzenart der Hauptfaktor für die funktionelle Vielfalt pflanzenfressender Insekten ist, so die Autor*innen. Albrecht fügt hinzu: „Wenn sich verschiedene Insektenarten eine Nahrungspflanze teilen, müssen sie auch ihre Ernährungsweise anpassen, um nicht direkt miteinander in Konkurrenz zu treten. So entsteht im Laufe von Millionen Jahren eine unglaubliche Vielfalt an Mundwerkzeugen und letztendlich auch Arten.“ Die Resultate der Untersuchung spiegeln sich in heutigen tropischen Wäldern wider, wo die meisten pflanzenfressenden Insektenarten auf bestimmte Pflanzenfamilien spezialisiert sind, die ihrerseits eine Vielzahl von Insektenarten ernähren.

    „Unsere Studie unterstreicht, dass fossile Belege genutzt werden können, um grundlegende Theorien über die Entstehung der biologischen Vielfalt zu testen. Die Ergebnisse unserer Studie sind auch ein wichtiger Maßstab, um herauszufinden, welche Faktoren die Vielfalt von pflanzenfressenden Insekten in heutigen Ökosystemen bestimmen“, schließt Wappler.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Jörg Albrecht
    Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt
    Tel. 069 7542 1808
    joerg.albrecht@senckenberg.de

    Prof. Dr. Torsten Wappler
    Hessisches Landesmuseum Darmstadt
    Tel. 06151 3601 261
    torsten.wappler@hlmd.de


    Originalpublikation:

    Jörg Albrecht, Torsten Wappler, Susanne A. Fritz, & Matthias Schleuning (2023): Fossil leaves reveal drivers of herbivore functional diversity during the Cenozoic. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2300514120


    Bilder

    Eine Larve der Kleinen Weidenblattwespe (Nematus pavidus) frisst an einem Weidenblatt.
    Eine Larve der Kleinen Weidenblattwespe (Nematus pavidus) frisst an einem Weidenblatt.

    Foto: Sascha Rösner

    Eine auf einem versteinerten Walnussblatt erhaltene Pflanzengalle, die durch ein Insekt hervorgerufen wurde.
    Eine auf einem versteinerten Walnussblatt erhaltene Pflanzengalle, die durch ein Insekt hervorgerufe ...

    Foto: Torsten Wappler


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Eine Larve der Kleinen Weidenblattwespe (Nematus pavidus) frisst an einem Weidenblatt.


    Zum Download

    x

    Eine auf einem versteinerten Walnussblatt erhaltene Pflanzengalle, die durch ein Insekt hervorgerufen wurde.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).