idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
01.09.2023 20:00

Immunzellen wandern entlang selbst erzeugter Gradienten - ISTA-Forschende zeigen wie Immunzellen ihr Ziel erreichen

Andreas Rothe Communications and Events
Institute of Science and Technology Austria

    Im Krankheitsfall müssen Immunzellen ihr Ziel schnell erreichen. Forschende am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben nun herausgefunden, dass sie dabei ihr eigenes Leitsystem steuern. Das stellt bisherige Vorstellungen zur Bewegung der Immunzellen in Frage. Die soeben im Fachmagazin Science Immunology veröffentlichten Ergebnisse verbessern so unser Verständnis des Immunsystems und könnten neue Ansätze liefern, um Infektionen und Tumore gezielter zu bekämpfen.

    Keime oder Toxine können überall im menschlichen Körper auftreten. Zum Glück, verfügen wir über ein Immunsystem – unser ganz persönlicher Schutzschild – das mit ausgeklügelten Methoden mit diesen Gefahren zurechtkommt. Ein wichtiger Aspekt unserer Immunreaktion ist zum Beispiel die koordinierte kollektive Bewegung von Immunzellen während Infektionen und Entzündungen. Aber woher wissen unsere Immunzellen, welchen Weg sie einschlagen sollen?

    Ein Team von Wissenschafter:innen aus den Forschungsgruppen von Michael Sixt und Edouard Hannezo am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) gingen genau dieser Frage nach. In ihrer Studie, die heute im Fachjournal Science Immunology publiziert wurde, zeigen uns die Forscher:innen neueste Einblicke, wie Immunzellen gemeinsam durch komplexe Umgebungen wandern.

    Dendritische Zellen — Die Übermittler

    Dendritische Zellen (DCs) sind einer der Schlüsselakteure unserer Immunantwort. Sie agieren als Vermittler zwischen der angeborenen Immunantwort – der ersten Reaktion unseres Körpers auf einen Eindringling – und der adaptiven Immunantwort – einer verzögerten Reaktion, die auf ganz bestimmte Keime abzielt und Erinnerungen zur Abwehr künftiger Infektionen schafft. Wie Detektive spüren DCs unerwünschte Eindringlinge im Gewebe auf und werden aktiviert, sobald sie den Infektionsherd gefunden haben. Danach wandern sie sofort zu den Lymphknoten, wo sie eine Art Schlachtplan übergeben und die nächsten Schritte der Kaskade einleiten.

    Ihre Wanderung zu den Lymphknoten wird durch Chemokine – kleine Signalproteine, die von den Lymphknoten freigesetzt werden – gesteuert, die einen Gradienten bilden. Bisher ging man davon aus, dass DCs und andere Immunzellen auf diesen externen Gradienten reagieren und sich in Richtung einer höheren Konzentration bewegen. Neue Untersuchungen am ISTA stellen diese Vorstellung nun in Frage.

    Ein Rezeptor, zwei Funktionen

    Die Wissenschafter:innen nahmen den Rezeptor „CCR7“ genauer unter die Lupe. Bei CCR7 handelt es sich um eine Oberflächenstruktur, die auf aktivierten DCs zu finden ist. Die wesentliche Funktion des Rezeptors ist die Bindung des lymphknotenspezifischen Moleküls „CCL19“, was die nächsten Schritte der Immunreaktion auslöst. „Wir konnten feststellen, dass CCR7 nicht nur CCL19 wahrnimmt, sondern auch aktiv zur Gestaltung der Verteilung von Chemokinkonzentrationen beiträgt“, so Jonna Alanko, ehemalige Postdoc aus dem Labor von Michael Sixt.

    Mithilfe verschiedener experimenteller Techniken wiesen die Forscher:innen nach, dass sich DCs bei ihrer Wanderung Chemokine über den CCR7-Rezeptor einverleiben. Dies führt zu einer lokalen Reduzierung der Chemokinkonzentration. Da aber nun weniger Signalmoleküle vorhanden sind, wandern sie weiter in höhere Chemokinkonzentrationen. Diese Doppelfunktion ermöglicht es den Immunzellen, eine eigene Orientierungshilfe zu erzeugen, um ihre kollektive Wanderung effektiver zu steuern.

    Bewegung hängt von der Zellpopulation ab

    Um diesen Mechanismus besser zu verstehen, schlossen sich Alanko und ihre Kolleg:innen mit den theoretischen Physikern Edouard Hannezo und Mehmet Can Ucar zusammen, die ebenfalls am ISTA forschen. Mit ihrem Fachwissen über Zellbewegung und -dynamik erstellten sie Computersimulationen, mit denen Alankos Experimente reproduziert werden konnten. Anhand dieser Simulationen konnten die Forscher:innen feststellen, dass die Bewegung der dendritischen Zellen nicht nur von ihrer individuellen Reaktion auf das Chemokin abhängt, sondern auch von der Dichte der Zellpopulation. „Das war eine einfache, aber nicht triviale Vorhersage: Je mehr Zellen es gibt, desto stärker ist der Gradient, den sie erzeugen. Es zeigt deutlich die kollektive Natur dieses Phänomens!“ betont Can Ucar betont.

    Zusätzlich fanden die Forscher:innen heraus, dass T-Zellen – Immunzellen, die schädliche Keime zerstören – ebenfalls von diesem dynamischem Wechselspiel profitieren und beweglicher werden. „Laufende Forschungsprojekten werden uns hoffentlich mehr Aufschluss über dieses neuartige Interaktionsprinzip zwischen Zellpopulationen geben“, so der Physiker.

    Verbesserung der Immunabwehr

    Die Erkenntnisse sind ein Schritt in eine neue Richtung bei der Frage, wie sich Zellen in unserem Körper bewegen. Anders als bisher angenommen, reagieren Immunzellen nicht nur auf Chemokine, sondern spielen eine wesentlich aktivere Rolle, indem sie die Signale aufnehmen und damit aktiv ihre Umgebung gestalten – eine elegante Strategie zur Steuerung ihrer eigenen Bewegung sowie der anderer Immunzellen.

    Die Ergebnisse dieser Studie geben uns neue Einblicke, wie die Immunreaktionen in unserem Körper koordiniert wird. Durch das präsentierte Modell könnten neue Strategien entwickeln werden, die dabei helfen, dass Immunzellen besser an bestimmten Stellen gelangen, wie z.B. an Tumorzellen oder andere Infektionsherde.

    Projektförderung:
    Dieses Projekt wurde mit den Mitteln des Europäischen Forschungsrats im Rahmen des Horizon 2020-Forschungsprogramms der Europäischen Union für M. Sixt (Nr. 724373) und E. Hannezo (Nr. 851288) sowie durch einen Zuschuss des Österreichischen Wissenschaftsfonds für M. Sixt (DK Nanocell W1250-B20) unterstützt. J. Alanko wurde von der Jenny and Antti Wihuri Foundation und dem Research Council of Finland's Flagship Programme InFLAMES (Nr: 357910) unterstützt. M.C.U. wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Vereinbarung (Nr. 754411) unterstützt.

    Information zu Tierversuchen:
    Um grundlegende Prozesse etwa in den Bereichen Neurowissenschaften, Immunologie oder Genetik besser verstehen zu können, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unerlässlich. Keine anderen Methoden, wie zum Beispiel in-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden gemäß der strengen in Österreich geltenden gesetzlichen Richtlinien aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle tierexperimentellen Verfahren sind durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.


    Originalpublikation:

    J. Alanko, M. C. Ucar, N. Canigova, J. Stopp, J. Schwarz, J. Merrin, E. Hannezo & M. Sixt. 2023. CCR7 acts as both a sensor and a sink for CCL19 to coordinate collective leukocyte migration. Science Immunology.
    DOI: https://doi.org/10.1126/sciimmunol.adc9584


    Weitere Informationen:

    http://www.ista.ac.at Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
    https://ista.ac.at/de/forschung/sixt-gruppe/
    https://ista.ac.at/de/forschung/hannezo-gruppe/
    https://ista.ac.at/de/news/wie-zellen-miteinander-plaudern/


    Bilder

    Wandernde Immunzellen. Um die zielgerichtete Wanderung von Immunzellen (blau) zu zeigen, wurden ihre Bewegungsbahnen während des Experiments über mehrere Stunden hinweg nachgezeichnet.
    Wandernde Immunzellen. Um die zielgerichtete Wanderung von Immunzellen (blau) zu zeigen, wurden ihre ...
    Jonna Alanko, ISTA
    © Jonna Alanko/Science Immunology


    Anhang
    attachment icon Experimente vs. Simulationen. Die Bewegungsbahnen von dendritischen Zellen im Laufe der Zeit in den Experimenten (links) und Simulationen (rechts).

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Wandernde Immunzellen. Um die zielgerichtete Wanderung von Immunzellen (blau) zu zeigen, wurden ihre Bewegungsbahnen während des Experiments über mehrere Stunden hinweg nachgezeichnet.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).