Wissenschaftler entdecken ein neues Enzym, das Zellen bei der Bekämpfung genomischer Parasiten hilft
Die Forschungsgruppen von Prof. Dr. René Ketting am Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz und Dr. Sebastian Falk an den Max Perutz Labs Vienna in Wien haben ein neues Enzym namens PUCH identifiziert, das eine Schlüsselrolle dabei spielt, die Ausbreitung von parasitärer DNA in unseren Genomen zu verhindern. Dies könnte auch zu neuen Erkenntnissen beitragen, wie unser Körper Bakterien und Viren erkennt und bekämpft, um so Infektionen vorzubeugen.
Unsere Zellen werden ständig von Millionen fremder Eindringlinge wie Viren und Bakterien angegriffen. Um sich zu schützen, verfügt der Körper über ein Immunsystem – eine ganze Armee von Zellen, die darauf spezialisiert ist, die Eindringlinge aufzuspüren und zu vernichten. Unsere Zellen werden jedoch nicht nur von äußeren Feinden, sondern auch von innen heraus bedroht.
Genomische Parasiten bevölkern einen großen Teil des Genoms
45 Prozent unseres Genoms bestehen aus Tausenden von genomischen Parasiten – sich wiederholenden DNA-Sequenzen, die als transponierbare Elemente bezeichnet werden. Transponierbare Elemente sind in allen Organismen zu finden. Sie haben keine spezifische Funktion, können jedoch gefährlich werden. Transponierbare Elemente werden auch als „springende Gene“ bezeichnet, weil sie sich selbst kopieren und in neue Stellen in unserer DNA einfügen können. Dies wiederum kann zu Mutationen führen, die zur Folge haben, dass unsere Zellen nicht mehr normal funktionieren oder kanzerogen werden. Daher befindet sich fast die Hälfte unseres Genoms in einem ständigen Guerillakrieg mit der anderen Hälfte: Transponierbare Elemente versuchen sich zu vermehren, während unsere Zellen versuchen, sie an der Ausbreitung zu hindern.
Wie bekämpfen unsere Zellen diese inneren Feinde? Die Zellen haben dazu ein Verteidigungssystem aus spezialisierten Proteinen entwickelt. Deren Aufgabe ist es, transponierbare Elemente zu jagen und ihre Vervielfältigung zu unterminieren. In einer neuen Publikation, die im Fachmagazin Nature erschienen ist, berichten René Ketting, Sebastian Falk und ihre Arbeitsgruppen über die Entdeckung von PUCH – ein komplett neuer, bisher unbekannter Enzym-Typ, der in diesem Verteidigungssystem eine Schüsselrolle spielt. Die Forschenden fanden heraus, dass PUCH eine zentrale Aufgabe bei der Herstellung von kleinen Molekülen mit der Bezeichnung piRNAs einnimmt. Diese Moleküle entdecken transponierbare Elemente, wenn sie versuchen, an einen anderen Platz zu springen. Sie aktivieren dann das Verteidigungssystem, um sie zu stoppen, bevor sie sich an einer neuen Stelle unserer DNA einbauen können.
Das neue Enzym PUCH wurde in den Zellen des Fadenwurms C. elegans entdeckt – ein Modellorganismus, der in der biologischen Forschung häufig genutzt wird. Die Erkenntnisse könnten aber auch einen Einblick geben, wie unser eigenes Immunsystem funktioniert. PUCH zeichnet sich durch eine einzigartige Molekülstruktur aus: die Schlafen-Falten. Enzyme mit Schlafen-Falten finden sich auch bei Mäusen und beim Menschen, wo ihnen offenbar eine Bedeutung für das angeborene Immunsystem zukommt. So können manche Schlafen-Proteine beim Menschen die Vermehrung von Viren eindämmen. Andererseits können auch einige Viren Schlafen-Proteine einsetzen, um das Verteidigungssystem der Zellen anzugreifen. René Ketting vermutet, dass Schlafen-Proteine eine breitere, im Verlauf der Evolution konservierte Rolle bei vielen Arten einnehmen könnten, auch beim Menschen.
„Schlafen-Proteine könnten eine bislang unbekannte molekulare Verbindung darstellen zwischen der Immunantwort von Säugetieren und den stark konservierten RNA-basierten Mechanismen, die transponierbare Elemente kontrollieren“, so Ketting. Falls das zutrifft, könnten Schlafen-Proteine einen kombinierten Verteidigungsmechanismus darstellen, der sowohl gegen externe Feinde wie Viren und Bakterien wirkt, als auch gegen interne wie transponierbare Elemente. Sebastian Falk fügt hinzu: „Es ist möglich, dass Schlafen-Proteine umgewandelt wurden zu Enzymen, die Zellen vor infektiösen DNA-Sequenzen schützen, wie eben die transponierbaren Elemente. Diese Entdeckung könnte unser Verständnis des angeborenen Immunsystems tiefgreifend beeinflussen.“
Über das Institut für Molekulare Biologie gGmbH
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) ist ein Exzellenzzentrum der Lebenswissenschaften, das 2011 auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eröffnet wurde. Die Forschung am IMB konzentriert sich auf drei aktuelle Gebiete: Epigenetik, Entwicklungsbiologie und Genomstabilität. Das Institut ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen einer privaten Stiftung und öffentlichen Einrichtungen: Die Boehringer Ingelheim Stiftung (BIS) hat sich verpflichtet, die Grundfinanzierung des IMB von 2009 bis 2027 mit insgesamt 154 Millionen Euro zu fördern. Das moderne Forschungsgebäude wurde mit 50 Millionen Euro durch das Land Rheinland-Pfalz finanziert. Von Herbst 2020 bis Mitte 2027 stellt das Land 52 Millionen Euro zur Grundfinanzierung des IMB bereit. Weitere Informationen zum IMB finden Sie unter https://www.imb.de/.
Weiterführende Links:
https://www.imb.de/ - Institut für Molekulare Biologie (IMB)
https://www.maxperutzlabs.ac.at/research/research-groups/falk - Sebastian Falk, Max Perutz Labs Vienna
Prof. Dr. René Ketting
Biology of Non-coding RNA
Institut für Molekulare Biologie (IMB) und
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-21470
E-Mail: r.ketting@imb-mainz.de
https://www.imb.de/research/ketting/research
Nadezda Podvalnaya et al.
piRNA processing by a trimeric Schlafen-domain nuclease
Nature, 27. September 2023
DOI: 10.1038/s41586-023-06588-2
https://www.nature.com/articles/s41586-023-06588-2
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).