Nach wie vor gibt es zu wenig Spenderorgane. Nierenpatientinnen und -patienten warten z. T. acht Jahre und länger auf eine neue Niere. Verschiedene Ansätze, um den „Pool“ der zur Verfügung stehenden Organe zu vergrößern, werden derzeit diskutiert. Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) ist die Widerspruchslösung eine effektive und nachhaltige Lösung für den Organmangel.
Im Jahr 2022 wurden insgesamt 1.966 Nierentransplantationen durchgeführt, 1.431 Nieren wurden nach postmortaler Organspende übertragen, 535 Nieren nach einer Lebendspende. Demgegenüber gab es 2.407 Anmeldungen auf die Warteliste. Rund 6.700 Patientinnen und Patienten warteten Ende 2022 auf eine Nierentransplantation. Im Jahr 2023 kann zwar bisher bei den Nierentransplantationen ein Anstieg von 10 Prozent verzeichnet werden (Vergleich Jan−Aug 2022 vs. Jan−August 2023), dennoch bleibt die Bilanz negativ: Es werden weniger Organe gespendet, als benötigt werden. Blickt man auf die Zahlen der vergangenen zehn Jahre, wird deutlich, dass die Spendebereitschaft seit Jahren in etwa auf dem gleichen, niedrigen Niveau (+/- 10 Prozent) stagniert.
„Es ist Zeit, diese Realität anzuerkennen“, erklärt Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). „Der Erfolg von Kampagnen und persönlichen Informationsbriefen der Krankenkassen an ihre Versicherten ist moderat und wird auch in Zukunft nicht die dringend benötigte Trendwende herbeiführen. Selbst die Umstrukturierungsmaßnahmen in den Kliniken und die Besserstellung der Transplantationsbeauftragten lassen einen nennenswerten Erfolg missen. Es ist daher an der Zeit, tiefergreifende Reformen mutig anzugehen.“ Konkret fordert die DGfN seit Jahren, wie viele andere Fachgesellschaften auch, die Einführung der Widerspruchslösung. „Wir sehen darin eine gute Option, die zügig zu einer nachhaltigen Verbesserung führen kann. Andere Optionen können sicher ergänzend sinnvoll sein, greifen aber zu kurz.“
Beispiel „Over-Cross-Lebendspende“. Auch dafür spricht sich die nephrologische Fachgesellschaft aus, da sie für einzelne Lebendspender-Empfänger-Paare eine Lösung darstellt, wenn sie immunologisch nicht zueinander passen. Das „Prinzip Ringtausch“ funktioniert so: Spender A kann Empfänger A aus medizinischen Gründen nicht seine Niere spenden. Passt aber das Organ von Spender A zu Empfänger B und die Spenderniere von Spender B zu Empfänger A, können zwei Organspenden erfolgreich durchgeführt werden, die ansonsten nicht möglich gewesen wären. „Diese Option sollte niemandem verwehrt werden“, erklärt Prof. Weinmann-Menke.
Dennoch kann sie aus Sicht der Expertin das Problem des Organmangels nicht grundsätzlich lösen. „Rechnet man die Erfahrungen aus den Niederlanden und England auf Deutschland hoch, könnte man pro Jahr bis zu 150 weitere Nierenlebendspenden realisieren. Um eine wirkliche Trendwende zu erreichen, benötigt man aber mindestens 500 Organe mehr pro Jahr.“ Hinzu komme, dass die Lebendspende bisher als subsidiär angesehen wird, als eine Art „Notlösung“, denn letztlich spendet ein gesunder Mensch eine Niere. Selbst wenn das Risiko, in Folge einer Organspende selbst zu erkranken, sehr gering sei, sei es nicht gleich Null. „So sinnvoll die Lebendspende ist, um in Zeiten des Organmangels Menschenleben zu retten, so sehr wünschen wir uns, dass sie eines Tages gar nicht mehr erforderlich wäre, weil genügend postmortale Spenderorgane zur Verfügung stehen.“
Einen Weg, das zu erreichen, sei die Widerspruchslösung. Dann wäre jeder per se ein Organspender/Organspenderin, es sei denn, er oder sie widerspricht. Jetzt ist es umgekehrt: Wer seine Organe nach seinem Ableben spenden möchte, muss das dokumentiert bzw. seinen Angehörigen so mitgeteilt haben. „Doch die Diskrepanz zwischen der Zahl der Menschen, die pro Organspende sind, und der, die das auch tatsächlich dokumentiert haben, ist hoch. Von insgesamt ca. 4.000 Menschen, die einen Hirntod erleiden, spendet im Endeffekt nur ca. jeder vierte.“ In den Niederlanden wurde die Widerspruchslösung 2018 eingeführt, und zwar nach erheblichen Kontroversen. Eine Auswertung aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 31 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bisher widersprochen haben und ihre Organe nicht spenden möchten, aber 45 Prozent der Bevölkerung mit der Organspende explizit einverstanden sind [1]. In England ist der Anteil der Zustimmung zur Organspende mit weit über 40 Prozent ähnlich hoch. „Wenn bei uns der Anteil der Spenden nach Hirntod allein durch die Widerspruchslösung von 25 auf 40 Prozent steigen würde, kämen wir in den Bereich, dass wir fast so viele Spenderorgane haben, wie benötigt werden.“
[1] Jansen NE, Williment C, Haase-Kromwijk BJJM, Gardiner D. Changing to an Opt Out System for Organ Donation-Reflections From England and Netherlands. Transpl Int. 2022 Jul 4;35:10466. doi: 10.3389/ti.2022.10466. PMID: 35859668; PMCID: PMC9290126.
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Pressestelle der DGfN
Dr. Bettina Albers
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Tel. 03643/ 776423
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