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19.10.2023 10:05

DFG und Leopoldina zur EU-Debatte um neue genomische Techniken in der Pflanzenzucht

Caroline Wichmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina

    Anlässlich der anstehenden Beratungen von Bundesrat und Bundestag zum EU-weiten Umgang mit Pflanzen, die mit neuen genomischen Verfahren gezüchtet worden sind, haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) heute eine Ad-hoc-Stellungnahme veröffentlicht. Darin bekräftigen sie ihre Unterstützung für den von der Europäischen Kommission am 5. Juli 2023 vorgeschlagenen Verordnungsentwurf.

    DFG und Leopoldina greifen dabei drei Themenbereiche auf, zu denen es in der bisherigen politischen Debatte den größten Informationsbedarf gab und fassen hierzu den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammen: 1. Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, 2. Mögliche wirtschaftliche Konsequenzen für Züchterbetriebe, 3. Vereinbarkeit mit ökologischer Landwirtschaft.

    Laut dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission sollen Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) vom sogenannten Typ 1 (NGT-1) gezüchtet wurden, konventionell gezüchteten Pflanzen praktisch gleichgestellt werden. Sie wären damit vom Anwendungsbereich des Gentechnikrechts ausgenommen. Begründet wird die Gleichstellung damit, dass NGT-1-Pflanzen vergleichbare genetische Veränderungen (Mutationen) wie konventionell gezüchtete Sorten und damit ein vergleichbar niedriges Risikoprofil aufweisen. Kritiker des Entwurfs sehen hier das Vorsorgeprinzip nicht beachtet, befürchten wirtschaftliche Nachteile für Pflanzenzüchter und sehen den ökologischen Landbau beeinträchtigt. Hierzu führen DFG und Leopoldina Folgendes aus:

    Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips
    Nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs und der Europäischen Kommission kann das Vorsorgeprinzip nur angewendet werden, wenn es einen wissenschaftlich begründeten Besorgnisanlass gibt. Dieser fehlt im Fall von NGT-1-Pflanzen und -Produkten. Zahlreiche in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichte Studien enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass die NGT oder deren Produkte ein höheres Risiko für Mensch und Umwelt bergen als Pflanzensorten und deren Produkte, die durch natürliche Mutationen, klassische Kreuzungszüchtung oder die Mutagenesezüchtung (mittels Bestrahlung oder Chemikalien) erzeugt wurden.

    Mögliche wirtschaftliche Konsequenzen für Züchterbetriebe
    Das europäische Gentechnikrecht steht mit dem Recht des geistigen Eigentums (Patent- und Sortenschutzrecht) in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Der Patentschutz für eine durch NGT veränderte Pflanze schließt nicht aus, dass ein Saatgutentwickler diese Pflanze für Zwecke eigener Sortenzüchtung verwendet. Allerdings setzt die Vermarktung der neu gezüchteten Sorte eine Lizenz des Patentinhabers voraus, sofern die Sorte die patentgeschützte genetische Sequenz enthält und das darauf beruhende Merkmal ausprägt (sogenanntes eingeschränktes Züchterprivileg). Ob Sortenzüchter bereit sind, diese Transaktionskosten (in Gestalt von Lizenzgebühren) zu tragen, ist zunächst eine unternehmerische Entscheidung. Noch lässt sich nicht vorhersagen, ob Patente auf Sequenzen in NGT-1-Sorten für die Pflanzenzüchter ein ernsthaftes wirtschaftliches Problem sein werden und innovative Sortenzüchtung behindern werden. Ungeachtet dessen sind die geäußerten Bedenken über zukünftige Entwicklungen ernst zu nehmen. Deshalb muss dieser Aspekt in den kommenden Jahren sehr genau beobachtet und bei Bedarf im Patentrecht nachgebessert werden, wie es bereits von der Kommission vorgesehen ist.

    Vereinbarkeit mit ökologischer Landwirtschaft
    DFG und Leopoldina würden es begrüßen, wenn die zukünftige EU-Verordnung NGT-1-Pflanzen auch für Zwecke des Ökolandbaus zulässt, das heißt nicht unter das GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen lässt. Der Ökolandbau kann aufgrund des weitgehenden Verzichts auf chemischen Pflanzenschutz in ganz besonderer Weise von NGT-1-Pflanzen profitieren. Da NGT-1-Veränderungen nicht von spontanen Mutationen in der Natur und von Produkten konventioneller Züchtungstechniken zu unterscheiden sind, erübrigt sich aus wissenschaftlicher Sicht die Frage der Kennzeichnung oder Regelungen zu Abständen zwischen unterschiedlich bewirtschafteten Flächen oder ähnlicher Koexistenzmaßnahmen. Im Widerspruch hierzu lässt der Kommissionsentwurf die Kennzeichnung eines Produktes als „Öko-“ bzw. „Bio-“ bei absichtlicher Verwendung von NGT-1-Pflanzen nicht zu.

    Die Ad-hoc-Stellungnahme finden Sie unter: https://www.leopoldina.org/genomische-techniken-pflanzenzucht

    Die Ad-hoc-Stellungnahme liefert eine juristische Präzisierung der ausführlichen Stellungnahme „Wege zu einer wissenschaftlichbegründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU” aus dem Jahr 2019 und nimmt Bezug auf die aktuelle politische Debatte in Deutschland: https://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/wege-zu-einer...

    Über die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina:
    Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Expertinnen und Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7- und G20-Gipfel. Sie hat rund 1.700 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.

    Über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG):
    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist die größte Forschungsförderorganisation und zentrale Selbstverwaltungseinrichtung für die Wissenschaft in Deutschland. Sie dient der Wissenschaft und fördert die Forschung in allen ihren Formen und Disziplinen. Die DFG fördert wissenschaftliche Exzellenz und Qualität durch die Auswahl der besten Projekte im Wettbewerb. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch der Förderung der internationalen Zusammenarbeit, von Forscherinnen und Forschern in frühen Karrierephasen, der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Vielfältigkeit in der Wissenschaft. Zudem pflegt die DFG den Dialog mit Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und unterstützt den Transfer von Erkenntnissen. Darüber hinaus berät sie staatliche und im öffentlichen Interesse tätige Einrichtungen in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen.

    Medienkontakte:
    Caroline Wichmann
    Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina
    Leiterin der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: +49 (0)345 472 39-800
    E-Mail: presse@leopoldina.org

    Marco Finetti
    Deutsche Forschungsgemeinschaft
    Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel. +49 (0)228 885 2109
    E-Mail: presse@dfg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Politik, Recht, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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