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26.10.2023 08:45

Umweltschonende Verkehrs- und Stadtplanung: Kiezblocks gegen Blech und Lärm

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Wie das Komponistenviertel in Berlin-Weißensee vom Durchgangsverkehr befreit werden soll

    Über 6000 Kraftfahrzeuge nur an einem Tag auf einer Nebenstraße, sich blockierende Autos, weil die Straßen zu eng sind, bis zu 50 Prozent Autoverkehr durch Menschen, die gar nicht im Komponistenviertel wohnen, in zwei Jahren mehr als 1000 Verkehrsunfälle mit Sachschäden und Verletzen, davon 14 schwer, und besonders für Kinder schlechte Sichtverhältnisse beim Überqueren der Straßen wegen zugeparkter Straßen. Kurz: Blech, Lärm, Stress. Und das alles, weil Autofahrerinnen und Autofahrer keine Lust haben auf den Hauptverkehrsstraßen wie der Berliner Allee und der Indira-Gandhi-Straße im Stau zu stehen und deshalb die Straßen im Komponistenviertel als Schleichwege benutzen.

    2020 war die Situation für die Anwohner*innen im Viertel in Weißensee wegen des Durchgangsverkehrs untragbar geworden. Eine Lösung musste her. Die fand sich im Mobilitätsbericht und hieß Kiezblock. „Kiezblocks sind städtische Wohnquartiere ohne Durchgangsverkehr, mit Tempolimit, Fahrrad- und Spielstraßen sowie einladend gestalteten Straßenräumen mit viel Grün“, sagt die Professorin für Integrierte Verkehrsplanung Dr.-Ing. Christine Ahrend. An deren Fachgebiet wurde der Mobilitätsbericht unter Leitung von Dr. Oliver Schwedes zusammen mit der TU Dresden und dem Bezirksamt Pankow erarbeitet.

    Acht neue Einbahnstraßen
    Im Sommer dieses Jahres nun wurden die ersten Maßnahmen, die den Durchgangsverkehr aus dem Komponistenviertel verbannen sollen, umgesetzt: Die am meisten als Schleichweg benutzte Bizetstraße wurde als Fahrradstraße ausgewiesen und acht zusätzliche Einbahnstraßen angelegt. All das geschah nicht über die Köpfe der Anwohner*innen hinweg, sondern wurde in einem intensiven Diskussionsprozess mit ihnen ausgehandelt. Die Einbindung der Bevölkerung von Beginn an ist auf die wissenschaftliche Begleitung durch die TU Berlin und die TU Dresden, aus dem Komponistenviertel einen Kiezblock zu machen, zurückzuführen. „Um nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbeizuplanen und höchstmögliche Akzeptanz zu schaffen und die Betonung liegt auf höchstmöglich, denn eine hundertprozentige Zustimmung zu erhalten ist Illusion und führt letztendlich zum Nichtstun, wurde auf unseren Vorschlag hin ein Projektbeirat aus 14 Leuten eingerichtet. Diese repräsentieren die extrem unterschiedlichen Ansprüche an Mobilität im Viertel – die von Handwerkern, Gewerbetreibenden, Jugendlichen, Seniorinnen, Menschen mit Migrationsbiografie und Behinderungen, von enthusiastischen Radfahrern genauso wie von bekennenden Autofahrerinnen“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend.

    Ganzheitlicher Ansatz: moderne Verkehrsplanung tangiert Stadt-, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialplanung
    Neben dem Kiezblock finden sich im Mobilitätsbericht viele weitere praktische Handlungsvorschläge, um Verkehr umwelt- und ressourcenschonend, gesund und sicher, vielseitig und sozial gerecht zu gestalten. Die Vorschläge reichen von der Einführung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements, der Priorisierung von Rad- und Fußverkehr in Um- und Neubaugebieten sowie deren gute Erschließung durch den ÖPNV von Beginn der Planung an, über geschützte Radwege auf allen Hauptstraßen bis hin zur unpopulären, aber notwendigen Umwidmung von Parkplätzen. „In unserem datenbasierten Mobilitätsbericht werden nicht mehr nur die fünf unterschiedlichen Verkehrsträger Pkw, Bahn, Bus, Rad und Fußgängerinnen integrierend betrachtet, sondern Verkehrsplanung wird als ein Querschnittsthema verstanden, das die Stadt- und Umweltplanung genauso tangiert wie die Gesundheits- und Sozialplanung. Wissenschaftlich fundiert geht er somit über herkömmliches integrierendes verkehrsplanerisches Denken hinaus, weil er die Auswirkungen von Verkehr auf Klima, Natur, Gesundheit und soziale Teilhabe mitdenkt. Und ambitioniert anwendungsorientiert gibt er den betreffenden Akteuren in der Verwaltung Instrumente wie die Kiezblock-Idee an die Hand“, sagt die Verkehrswissenschaftlerin und ergänzt: „Dass das Bezirksamt Pankow sich auf diesen ganzheitlichen Ansatz eingelassen hat und daran arbeitet, ihn umzusetzen, ist weitsichtig und mutig und für unsere wissenschaftliche Arbeit wichtig. Wir benötigen die Erfahrungen aus der Praxis.“

    „Stopp aus fachlicher verkehrswissenschaftlicher Perspektive nicht begründbar“
    Anderenorts auf politischer Ebene in Berlin vermisst Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend diesen Mut. „Der Stopp von fünf geplanten und angeordneten Radwegen durch die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt ist aus fachlicher verkehrswissenschaftlicher Perspektive nicht begründbar“, sagt die Verkehrsexpertin. Diese Entscheidung knapp nach Amtsantritt der neuen Berliner Regierung sei eine Geringschätzung all des Fachwissens und Engagements von Bürgern, die an diesen Plänen Jahre mitgearbeitet haben, und beschädige partizipative Verfahren. Man könne den Eindruck bekommen, dass dem neuen Berliner Senat partizipative Verfahren egal seien. Auch werde die Berliner Politik nicht umhinkommen, den Autofahrern zu sagen: „Die Zeiten, dass der städtische Raum vorrangig von Autos okkupiert wird, sind vorbei. Ihr müsst teilen.“

    Mobilitätsbericht: https://mobilbericht.mobilitaet.tu-berlin.de/

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend
    TU Berlin
    Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung
    Tel.: 030/314- 25145 (Sekretariat)
    E-Mail: christine.ahrend@tu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Bauwesen / Architektur, Verkehr / Transport
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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