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02.11.2023 14:43

Hirnentwicklung formt den Erwerb von muttersprachlichen Lauten

Bettina Hennebach Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

    Das menschliche Gehirn ist bei der Geburt noch nicht vollständig entwickelt. Vor allem ist es noch recht langsam. Schnelle Hirnaktivität, und damit die Fähigkeit zur Verarbeitung schneller Signale, reift erst in den ersten Lebensjahren heran. Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI CBS) haben in einer Studie im Journal Science Advances erstmals gezeigt, dass die Langsamkeit des Babygehirns entscheidend für den Verlauf des Spracherwerbs ist.

    Menschliche Sprache besteht aus einer einzigartigen Kombination von Lauten, den sogenannten Phonemen. Phoneme unterscheiden Bedeutungen: So gibt es im Englischen das Phonem "th", welches etwa das Wort „three“ („drei“) vom Wort „tree“ („Baum“) unterscheidet. Im Deutschen existiert dieser Unterschied dagegen nicht (die Anfangslaute von Tee und Thema klingen gleich). Babies sind bereits im ersten Lebensjahr in der Lage, die Phoneme ihrer Muttersprache zu erkennen. Dies ist bemerkenswert, denn Phoneme im Sprachsignal sind eigentlich zu kurz für das noch mittels langsamer Schwingungen funktionierende Babygehirn. Katharina Menn und ihre Kolleg*innen vom MPI CBS haben nun herausgefunden, wie Babys es trotzdem schaffen, auch kurze Laute zu verarbeiten.

    Den Wissenschaftler*innen fiel auf, dass zwar einzelne Phoneme nur etwa 50 Millisekunden dauern. Allerdings verändern sich manche Eigenschaften der Sprachlaute wesentlich langsamer: Es treten häufig mehrere Laute nacheinander auf, die eine Eigenschaft teilen. Zum Beispiel besteht oft ein ganzes Wort (z.B. „Band“) aus stimmhaften Phonemen, also solchen, bei denen die Stimmritze im Kehlkopf in Schwingung gerät. Könnte das langsame Babygehirn schnell genug sein, solche konstanten Merkmale von Phonemen aufzuspüren und zu verarbeiten?

    „In unserer Studie zeigen wir, dass genau dies der Fall zu sein scheint.“, erklärt Katharina Menn. „Wir haben Elektroenzephalographie-Messungen (EEG) genutzt, um den frühen Erwerb von Phonemen bei Babys im Alter von 3 Monaten bis 5 Jahren zu verfolgen. Dabei haben wir erstmals bei Kindern dieses Alters eine neuartige Analysemethode eingesetzt, die es uns ermöglicht, die Entstehung neuraler Repräsentationen muttersprachlicher Phoneme anhand der EEG-Aufnahmen zu erkennen.“

    Die Ergebnisse der Analysen zeigen eine allmähliche Entwicklung der neuralen Reaktionen auf die Phoneme der Muttersprache innerhalb der ersten fünf Lebensjahre. Bahnbrechend dabei ist die Feststellung, dass Babys zunächst jene Lautmerkmale erwerben, die über mehrere Phoneme hinweg konstant sind – was mit den langsamen Verarbeitungsfähigkeiten ihres Gehirns in Einklang steht. Kurzlebigere Lautmerkmale werden nach und nach hinzugefügt, wobei die kürzesten Merkmale zuletzt erworben werden.

    „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass die Entwicklung der Hirnaktivität den frühen Spracherwerb beeinflusst, indem sie die Dauer der Einheiten, die erworben werden können, bestimmt. Das Babygehirn mag langsam sein – ist aber schnell genug, um den Einstieg in die Muttersprache zu ermöglichen.“, fasst Katharina Menn zusammen. Ihre Forschungsarbeit bietet neue Einblicke in die komplexen Prozesse der frühkindlichen Sprachentwicklung und unterstreicht die bedeutende Rolle, die die Entwicklung der Hirnaktivität dabei spielt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Katharina Menn
    Doktorandin
    menn@cbs.mpg.de
    Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
    Dr. Lars Meyer
    Gruppenleiter
    lmeyer@cb.mpg.de
    Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig


    Originalpublikation:

    Katharina Menn, Claudia Männel & Lars Meyer
    „Phonological acquisition depends on the timing of speech sounds: Deconvolution EEG modeling across the first five years“
    In: Science Advances


    Weitere Informationen:

    https://www.cbs.mpg.de/2192405/20231102


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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