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08.11.2023 14:00

Neue Alzheimer-Antikörper: Was erreichen sie? Wo sind ihre Limitationen?

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Mit den neuen Antikörpern ist ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie gelungen, auch wenn sie nur eine Progressionsverlangsamung, nicht eine Heilung ermöglichen. Doch es gibt auch Herausforderungen, darunter Nebenwirkungen, Therapiekosten und mögliche Engpässe in der „Versorgungsinfrastruktur“. Derzeit sind diese Medikamente in Europa noch nicht zugelassen und daher auch nicht in den Therapieempfehlungen der neuen S3-Leitlinie Demenzen enthalten, die heute publiziert wurde.

    Antikörper könnten eine wirksame Option im Kampf gegen Alzheimer sein. Bisher wurde von der EMA, der europäischen Gesundheitsorganisation, allerdings noch keine Antikörpertherapie gegen Alzheimer zugelassen. Doch für drei Antikörper existieren bereits positive Studiendaten, alle drei Antikörper richten sich gegen das gleiche Therapietarget, gegen Beta-Amyloid.

    Für Aducanumab wurde die Zulassung auch in Europa beantragt, aber abgelehnt, da die Datenlage heterogen ist. Es gab zwei Studien (EMERGE [1] und ENGAGE [2]), die ein ähnliches Design hatten, die vorzeitig abgebrochen wurden, da sie den primären Endpunkt nicht erreichten – in einer weiteren Analyse zeigte eine Studie positive, die andere negative Ergebnisse. Bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA hatte man sich daran nicht gestört, dort war es entscheidend für die Zulassung, dass im Gehirn das β-Amyloid reduziert wurde, was in der Amyloid-PET-Untersuchung gezeigt werden konnte. Allerdings gab es die Auflage, innerhalb der nächsten sechs Jahre eine Studie zu initiieren, um auch die klinische Wirksamkeit des Antikörpers definitiv nachzuweisen. Die EMA hingegen hat anders entschieden und die Zulassung verweigert, da es aufgrund der Datenlage zurzeit nicht klar ist, ob es unter der Therapie zu einer Verlangsamung der Krankheitsprogression kommt. Auch wurde angesichts der Nebenwirkungen das Nutzen-Risiko-Potenzial nicht als ausreichend positiv eingestuft.

    Zu Lecanemab gibt es positive Daten aus Studien der Phase-II- und auch Phase-III. Die FDA erteilte zunächst ein „conditional approval“ und am 6.7.2023 eine uneingeschränkte Zulassung. Hier waren die klinischen Daten, d. h. die primären Endpunkte der Studien [3, 4], positiv sowie alle sekundären Endpunkte. Dazu zählte neben der Reduktion des β-Amyloids vor allem auch die klinische Progression der Erkrankung, gemessen an verschiedenen Parametern − kognitiven Parametern, Aktivitäten des täglichen Lebens. Der Zulassungsantrag für Lecanemab wurde bei der EMA eingereicht, sodass mit der Zulassung wahrscheinlich im ersten Quartal des nächsten Jahres zu rechnen ist.
    Phase-III-Daten zu Donanemab wurden im Juli auf der Alzheimer-Tagung in Amsterdam vorgestellt. Sie belegen eine klinische Wirksamkeit und wurden in vielen Medien als „Durchbruch in der Alzheimer-Forschung“ dargestellt. Donanemab konnte in der Studie [5] die Progression der Alzheimer-Erkrankung um ca. 35 Prozent verlangsamen.
    Eine aktuelle Studie bei Patienten im präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit mit Solanezumab [6], ein Antikörper der ersten Generation, enttäuschte hingegen. Das Medikament vermochte nicht, in einem Zeitraum von 4,5 Jahren bei 1.169 kognitiv noch unbeeinträchtigten Alzheimer-Risikopersonen den kognitiven Abbau zu verlangsamen.
    Alle diese Antikörper sind gegen das gleiche Therapieziel, gegen das N-terminale Ende des Beta-Amlyoids, gerichtet, ein Peptid aus 42 Aminosäuren. Donanemab erkennt ein trunkiertes N-terminales Epitop auf dem Beta-Amyloidp3-42, bei der die ersten beiden N-terminalen Aminosäuren durch Proteasen entfernt wurden und ein Pyrolring am N-Terminus gebildet wurde; die letztere Modifikation wird als Pyroglutamat bezeichnet. Aβp3-42 ist wahrscheinlich spezifisch in senilen Plaques.

    Das Beta-Amyloid liegt in verschiedenen Aggregatzuständen vor, ist entweder als Monomer oder Oligomer löslich vorliegend oder es hat Protofibrillen oder Fibrillen gebildet, aus denen die Amyloid-Plaques bestehen. Alzheimer-Antikörper der ersten Generation, wie Solanezumab, Crenezumab, Bapineuzumab, waren gegen Monomere und Oligomere gerichtet, die Studien waren insgesamt nicht erfolgreich. Aducanumab hingegen bindet lösliche Oligomere und Fibrillen und Lecanemab richtet sich besonders gegen kleine und mittelgroße, lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen. Donanemab hingegen ist gegen die Aggregate gerichtet, gegen die Amyloid-Plaques. „Das widerspricht der bisherigen Annahme, dass der Therapieerfolg dem löslichen Aggregatzustand zuzuschreiben ist“, erklärt Prof. Dr. Richard Dodel, Essen, einer der federführenden Autoren der neuen S3-Leitline Demenzen [7]. „Es ergibt sich also derzeit kein ganz einheitliches Bild.“
    Auch im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil gibt es Unterschiede. Sogenannte ARIAs („Amyloid-Related Imaging Abnormalities“) können unter der Therapie auftreten, eine Nebenwirkung, die dadurch definiert ist, dass sie in der Kernspintomographie zu sehen ist. Man unterscheidet zwei Formen: ARIA-E (E für Ödem) und ARIA-H (für Hämorrhagien). ARIA-E treten bei etwa einem Viertel aller Patientinnen und Patienten unter Lecanemab, das alle zwei Wochen infundiert wird, auf. Sie werden allerdings nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen symptomatisch. Die Neigung zur Ödembildung war bei Aducanumab mit 30–40 % recht hoch, bei Lecanemab mit 12 % und bei Donanemab mit 24 % niedriger. „ARIA-H in Form von Mikrohämorrhagien oder einer superfiziellen Siderose sind potenziell gefährlicher. Allerdings muss man wissen, dass diese auch bei den Placebo-Behandelten (9–14 %) in den Studien auftraten, der Anteil der mit Antikörpern Behandelten war aber höher und lag bei 17–32 %“, erklärt Prof. Dodel. Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern unter Koagulation schienen besonders gefährdet.

    Eine weitere Limitation neben den Nebenwirkungen sieht der Experte in der „Versorgungslogistik“. Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht zweiwöchentlich, die anderen Antikörper vierwöchentlich infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mit der Kernspintomographie.
    Offene Fragen sind derzeit: Welche Patientinnen und Patienten sollen behandelt werden – und in welchem Erkrakungsstadium? Wer ist für die Diagnostik und die entsprechenden Verlaufskontrollen verantwortlich?

    Einen großen Diskussionspunkt stellt zudem aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis dar. „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Angesichts der hohen Zahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten – 400.000 neue Demenzdiagnosen pro Jahr in Deutschland, ein Großteil davon ist der Alzheimer-Erkrankung zuzuschreiben – würden diese Therapien das Gesundheitsbudget massiv belasten. Auch muss bedacht werden: „Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30 %. Es muss hinterfragt werden, ob das gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Ausgaben rechtfertigt.“

    [1] 221AD30 Phase 3 Study of Aducanumab (BIIB037) in Early Alzheimer's Disease (EMERGE). NCT02484547
    [2] 221AD301 Phase 3 Study of Aducanumab (BIIB037) in Early Alzheimer's Disease (ENGAGE). NCT02477800
    [3] Swanson CJ, Zhang Y, Dhadda Set al. A randomized, double-blind, phase 2b proof-of-concept clinical trial in early Alzheimer's disease with lecanemab, an anti-Aβ protofibril antibody. Alzheimers Res Ther. 2021 Apr 17;13(1):80. doi: 10.1186/s13195-021-00813-8. Erratum in: Alzheimers Res Ther. 2022 May 21;14(1):70. PMID: 33865446; PMCID: PMC8053280.
    [4] van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P e al.. Lecanemab in Early Alzheimer's Disease. N Engl J Med. 2023 Jan 5;388(1):9-21. doi: 10.1056/NEJMoa2212948. Epub 2022 Nov 29. PMID: 36449413.
    [5] Sims JR, Zimmer JA, Evans CD et al.; TRAILBLAZER-ALZ 2 Investigators. Donanemab in Early Symptomatic Alzheimer Disease: The TRAILBLAZER-ALZ 2 Randomized Clinical Trial. JAMA. 2023 Jul 17. doi: 10.1001/jama.2023.13239. Epub ahead of print. PMID: 37459141.
    [6] Sperling RA, Donohue MC, Raman R et al; A4 Study Team. Trial of Solanezumab in Preclinical Alzheimer's Disease. N Engl J Med. 2023 Sep 21;389(12):1096-1107. doi: 10.1056/NEJMoa2305032. Epub 2023 Jul 17. PMID: 37458272; PMCID: PMC10559996.
    [7] DGN e. V. & DGPPN e. V. (Hrsg.) S3-Leitlinie Demenzen. Ab dem 08.11. abrufbar auf https://dgn.org/leitlinien

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 12.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    https://www.dgnvirtualmeeting.org/home/dgn/dgn2023/de-DE


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    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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