Die Generationen Y und Z sind faul und möchten nur chillen und die Babyboomer arbeiten sich zu Tode: Solche Zuschreibungen hört man beinahe täglich, sei es unter Freunden und in der Familie oder in den Medien. Aber: Sie sind wissenschaftlich nicht nachweisbar. Das hat Martin Schröder, Soziologieprofessor an der Universität des Saarlandes, herausgefunden. Er hat hunderttausende Umfragen aus rund 40 Jahren untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Wie jemand zur Arbeitswelt steht, ist keine Frage des Geburtsjahres. Viel mehr kommt es darauf an, wann man jemanden im Laufe seines Lebens fragt. Die Ergebnisse wurden nun im Journal of Business and Psychology veröffentlicht.
„Die ganzen Dreißigjährigen haben doch heute alle keine Lust mehr zu arbeiten! Typisch Generation Y!“ So lautet eine dieser Tage recht häufig geführte Klage von erfahrenen Berufstätigen, die 50 Lebensjahre überschritten haben. Auf diesen Vorwurf reagieren viele der Kritisierten mit einem gelangweilten „Ok, Boomer…“, womit sie sich ironisch auf die aus ihrer Sicht überzogenen Leistungsanforderungen der so genannten Babyboomer-Generation (geboren in den 1950er bis Mitte 1960er Jahre) beziehen. Den Jungen ist die Arbeit augenscheinlich nicht mehr so wichtig wie den älteren Generationen. Drumherum und dazwischen tummeln sich noch die Generationen X (ca. 1965-1980) und die Generation Z (Ende der 1990er bis Anfang der 2010er geboren).
Ganze Regalreihen füllen sich inzwischen mit Generationen-Ratgebern, die den Älteren und Jüngeren erklären möchte, wie die jeweils andere Generation tickt. Auch Martin Schröder, Soziologie-Professor an der Universität des Saarlandes, hätte ein paar Zentimeter in dieser Regalreihe hinzufügen können. „Ein Verlag stellte mir einen lukrativen Buchvertrag in Aussicht, wenn ich nur zeigen könnte, dass die Generation Y ‚anders‘ tickt als die älteren Generationen“, so der Wissenschaftler. Also hat er sich an die Arbeit gemacht und hunderttausende Datensätze aus vier Jahrzehnten untersucht. Und das angesichts der Allgegenwart des Themas überraschende Ergebnis lautet, so Martin Schröder: „Ich habe nichts gefunden, was darauf hindeutet, dass die Einstellung zu Arbeit und Beruf tatsächlich mit dem Geburtsjahr zusammenhängt.“ Hier die faulen 30-Jährigen aus der Generation Y, die in ihrer 20-Stunden-Woche am Strand von Bali mehr oder weniger sinnvolles Internetzeug programmieren oder „was mit Medien“ machen, da die Mittfünfziger-„Boomer“ knapp vorm Burnout, die dank Jahrzehnten voller 70-Stunden-Wochen zwar wohlhabend sind und das Land mit ihrer wichtigen Arbeit am Laufen halten, aber auch den Scherbenhaufen ihres Familienlebens zusammenkehren können: allenfalls ein Klischee, aber nicht mehr.
„Natürlich steckt immer ein Quäntchen Wahrheit in solchen Zuschreibungen. Aber die Generationen unterscheiden sich weniger untereinander. Es kommt vielmehr auf den Zeitpunkt an, in welchem Lebensabschnitt sie nach ihrer Leistungsbereitschaft und ihrer Einstellung zur Arbeit gefragt werden“, sagt der Soziologe. Denn die Generationenhypothese besagt, dass sich Individuen aufgrund ihres Geburtszeitpunkts unterscheiden, unabhängig von ihrem Alter und unabhängig davon, wann man sie fragt. Berücksichtigt man jedoch die beiden letztgenannten Effekte, die als „Alterseffekte“ und „Periodeneffekte“ bekannt sind, so gibt es diese „Generationseffekte“ kaum noch.
An einem Beispiel erläutert heißt das: Der heute 60-Jährige schimpft zwar über den heute 15-jährigen Azubi, weil der keine Lust mehr hat, sich Nachtschichten und Wochenenden aufzubürden, um viel Geld zu verdienen und die Karriereleiter hochzuklettern. „Aber das ist in der Tat keine Generationenfrage. Was wir herausgefunden haben, ist, dass wir heute schlicht alle anders ticken als vor 30 Jahren“, fasst Martin Schröder die Erkenntnisse zusammen. „Denn nicht die Generationenzugehörigkeit erklärt unser Denken, sondern der Zeitpunkt in unserem Leben, an dem wir nach unserer Einstellung zur Arbeit gefragt werden. Wir denken heute alle anders als früher; das gilt für den 15-Jährigen genauso wie für den 60-Jährigen. Wenn man also verschiedene Generationen gleichzeitig befragt, stellt sich heraus, dass sie fast genau gleich denken.“ Anders gesagt: Uns allen ist heute die Arbeit nicht mehr ganz so wichtig wie der Gesellschaft vor 50 Jahren, egal, ob wir 15 oder 50 sind.
Martin Schröders Aussagen stehen auf soliden Füßen. Denn für die Arbeit hat der Wissenschaftler fast 600.000 Datensätze aus dem weltweit erhobenen Integrated Values Survey genutzt. Hinter jedem einzelnen Datensatz steht eine Person aus 113 Ländern, die zwischen 1981 und 2022 nach verschiedenen Aspekten hinsichtlich ihrer Einstellung zu Arbeit und Beruf gefragt wurden. Abgesehen von der Überprüfung der Arbeitsmotivation hat Martin Schröder in diesem riesigen Datenberg auch die Antworten zur subjektiven Wichtigkeit von Freizeit, guten Arbeitszeiten, der Möglichkeit, Initiative zu zeigen, großzügigem Urlaub, dem Gefühl, etwas erreichen zu können, eine verantwortungsvolle Aufgabe zu haben, eine interessante Aufgabe zu haben, eine Aufgabe zu haben, die den eigenen Fähigkeiten entspricht, angenehme Kollegen zu haben und angenehme Menschen zu treffen überprüft. „Es gab praktisch keine Auswirkungen der Generationenzugehörigkeit auf diese Antworten“, lautet das zentrale Fazit.
Dass sich die Mär von den Generationen in der Arbeitswelt trotzdem so hartnäckig hält, hat nach Martin Schröders Position drei Gründe: Erstens verwechseln viele schlicht die genannten „Alters- und Periodeneffekte“, also in welchem Lebensalter und in welchem Jahr jemand gefragt wird, mit dem mutmaßlichen „Generationeneffekt“. Dies ist darauf zurückzuführen, dass junge Menschen erstens schon immer weniger arbeitswillig waren als Menschen mittleren Alters, wie die Daten zeigen, und zweitens, dass alle Menschen – unabhängig von Alter und Geburtsjahrgang – Erwerbsarbeit heute für weniger wichtig halten als in der Vergangenheit. „Wir verwechseln also Alters- und Periodeneffekte mit Generationeneffekten und sehen deshalb Generationen, wo es keine gibt.“
„Der zweite Grund, warum wir an Generationen glauben (wollen), ist, dass ‚Generationismus‘ zu einem neuen -ismus geworden ist, so wie Sexismus oder Rassismus“, führt Martin Schröder aus. „Unser Gehirn liebt es, Menschen in Gruppen einzuteilen, weil dies uns erlaubt, unsere eigene soziale Gruppe als besser als andere zu sehen, was uns ein befriedigendes Gefühl gibt. Doch das ist nicht nur unmoralisch, sondern oft auch illegal. Und so landen wir bei spöttischen Aussagen wie „Ok, Boomer‘.“ Dieser unwiderstehliche Mechanismus, zu kategorisieren, zu stereotypisieren und dann aufgrund angeborener Merkmale zu diskriminieren, findet also nicht nur zum Beispiel bei der Hautfarbe oder dem Geschlecht statt, sondern auch bei dem Merkmal des Geburtsjahres.
„Ein dritter und letzter Grund, warum wir davon ausgehen, dass es Generationen gibt, obwohl sie es nicht tun, ist, dass Menschen mit dieser Behauptung schlicht und einfach Geld verdienen“, konstatiert Martin Schröder. Diese „Jugendforscher“ müssten wissenschaftliche Erkenntnisse, die ihrem Geschäftsmodell widersprechen, ignorieren, weil ihr Einkommen davon abhängt, dass sie weiterhin „generationensensible“ Coachings, Bücher und Vorträge verkaufen, die Ratschläge zu einem Phantom erteilen, das sich als Phänomen tarnt.
Dieser Gefahr sieht sich Martin Schröder nun nicht ausgesetzt. „Denn wer nachweist, dass es keinen Sinn macht, zwischen Generationen zu unterscheiden, profitiert üblicherweise nicht finanziell davon, sondern ist in der Regel ein Universitätsprofessor, der mit dem Nachweis, dass es Generationen gibt oder nicht gibt, kein Geld mehr verdient.“ Sagt der Universitätsprofessor Martin Schröder.
Prof. Dr. Martin Schröder
E-Mail: martin.schroeder@uni-saarland.de
Schröder, M. Work Motivation Is Not Generational but Depends on Age and Period. J Bus Psychol (2023). https://doi.org/10.1007/s10869-023-09921-8
Prof. Dr. Martin Schröder
Studio Schloen
Studio Schloen/privat
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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