Viele Berufstätige üben den Spagat zwischen Job und Pflege. Kleine Kinder müssen betreut, die Eltern versorgt werden – und der Beruf stellt auch seine Anforderungen. Wegen der individuellen Belastungen werden Arbeitszeiten reduziert, Arbeit im Betrieb auf Kolleginnen und Kollegen umverteilt, auf Fort- und Weiterbildung und letztlich auch auf Laufbahnperspektiven wird verzichtet. Unternehmen kennen die Probleme, unterstützen die Pflegevereinbarkeit aber sehr unterschiedlich: Es gibt „Informierte Allrounder“, „Solide Kümmerer“ und „Unspezifische Soforthelfer“, wie eine aktuelle Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Westfälische Hochschule) zeigt.
Die IAT-Forscherinnen Silke Völz und Michaela Evans haben zusammen mit Uwe Borchers und Jan Hendrik Schnecke vom ZIG – Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL, Bielefeld, basierend auf einer Unternehmensbefragung eine explorative Typologie von Unternehmen entwickelt. Diese liefert Hinweise für gezieltere Informations- und Maßnahmenstrategien, um Vereinbarkeitskompetenz auf individueller, betrieblicher und regionaler Ebene zu stärken.
Die Analysen zeigen deutliche Unterschiede: Die „Informierten Allrounder“ messen der Vereinbarkeitsthematik eine hohe Relevanz bei. Es handelt sich oftmals um sensibilisierte und informierte Unternehmen, informelle Pflege- und Sorgetätigkeiten der eigenen Mitarbeitenden haben hier Einfluss auf die Implementierung von Maßnahmen, die über gesetzliche Vorgaben und individuell ausgerichtete Flexibilisierungsmaßnahmen hinausgehen. Diese Unternehmen haben größtenteils die unmittelbare Erfahrung gemacht, dass eine fehlende Pflegevereinbarkeit über die individuellen Folgen hinaus für den Betrieb selbst von struktureller Bedeutung ist.
Die „Soliden Kümmerer“ zeigen sich hinsichtlich der Bewertung der Vereinbarkeitsrelevanz für ihre Organisation eher als unsicher. Die Unternehmen möchten sich um pflegende Mitarbeitende kümmern, da sie zumindest einzelne negative Erfahrungen gesammelt haben, die auch für den Betrieb insgesamt als relevant erlebt wurden. Allerdings sind die Aktivitäten und Unterstützungsinstrumente dieser Unternehmen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus nicht spezifisch auf die Bedürfnisse von pflegenden An- und Zugehörigen ausgerichtet. Vor allem flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung sowie Informationsangebote über gesetzlich verankerte Unterstützungsmaßnahmen stehen im Fokus.
Den „Unspezifischen Soforthelfern“ ist die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege für die eigene Organisation bislang eher unwichtig. Sie haben zwar negative Erfahrungen mit mangelnder Vereinbarkeit gemacht, die Folgen werden jedoch eher auf der individuellen Ebene der pflegenden Erwerbstätigen selbst adressiert. Bei individuellen Bedarfsfällen werden sie zwar über Flexibilisierungsangebote aktiv, halten jedoch insgesamt nur wenige pflegespezifische Unterstützungsmaßnahmen vor.
„Angesichts des in vielen Branchen und Berufen akuten Fach- und Arbeitskräftemangels gehören die Themen „Pflegevereinbarkeit“ und „Vereinbarkeitskompetenz“ auf die Agenda einer trans-formationsorientierten Arbeits(markt)- und Wirtschaftspolitik,“ fordert Michaela Evans, Direktorin des IAT-Forschungsschwerpunkts Arbeit und Wandel. Den Unternehmen gelingt es nur teilweise, passgenaue Angebote und Maßnahmen zur Pflegevereinbarkeit umzusetzen und diese auch strukturell zu verankern. Unterschiedliche Ausgangslagen, Kapazitäten und betriebliche Entwicklungspfade in der Förderung von Vereinbarkeitsstrukturen erfordern differenziertere Sensibilisierungs-, Informations- und Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen. Hierzu bietet die explorative Typologie, die aus der Unternehmensbefragung work & care entwickelt wurde, eine Grundlage sowohl für vereinbarkeits-förderliche Maßnahmenportfolios der Unternehmen als auch für regionale Unterstützungsstrategien: Wie können Unternehmen in ihrer jeweiligen Ausgangslage erfolgreich für die Förderung von Pflegevereinbarkeit aktiviert und wirksam unterstützt werden?
„Das ist auch Standortpolitik“, meinen die IAT-Forscherinnen. „Denn gerade dort, wo informelle und familiäre Sorgenetzwerke erodieren oder fehlen, entstehen Bedarfslagen, die weder von den pflegenden Erwerbstätigen noch von den Betrieben allein hinreichend aufgefangen werden können“, so die IAT-Forscherin Silke Völz. Dies erfordere eine bessere und gezieltere Einbettung von Betrieben in regionale, strukturpolitische Strategien und Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Hier gebe es bislang nicht ausgeschöpfte Potenziale. Dies betrifft u. a. die Vernetzung mit Selbsthilfeorganisationen, lokalen Gesundheits- oder Rehabilitationseinrichtungen oder dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement wie auch eine digitale Weiterentwicklung der Unterstützungsmaßnahmen.
Silke Völz, Tel.: 0209/1707-131, voelz@iat.eu; Michaela Evans, Tel.: 0209/1707-121, evans@iat.eu
Völz, S., Evans, M., Borchers, U. & Schnecke, J.H. (2023): Wie unterstützen Unternehmen die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege? Eine explorative Typologie. Forschung Aktuell, 2023 (12). Gelsenkirchen: Institut Arbeit und Technik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen. https://doi.org/10.53190/fa/202312
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Wirtschaft
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