idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
21.12.2023 09:58

Endlich geklärt: Die Physik des Sektkorkenknallens

Dr. Florian Aigner PR und Marketing
Technische Universität Wien

    Wenn man eine Sektflasche entkorkt, kommt es zu komplexen Überschall-Phänomenen. An der TU Wien konnte nun erstmals genau berechnet werden, was dabei passiert.

    Es klingt nach einem simplen, wohlbekannten Alltagsphänomen: In einer Sektflasche herrscht hoher Druck, der Korken wird vom in der Flasche komprimierten Gas nach außen getrieben und fliegt mit einem kräftigen Plopp davon. Doch die Physik dahinter ist kompliziert.

    Experimente mit Hochgeschwindigkeits-Kameras gab es bereits, doch eine mathematisch-numerische Analyse fehlte bisher. Diese Lücke konnte man am Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien in Kooperation mit dem privaten Österreichischen Kompetenzzentrum für Tribologie (AC2T) nun schließen: Mit aufwändigen Computersimulationen gelang es, das Verhalten von Korken und Gasströmung nachzurechnen. Dabei stieß man auf erstaunliche Phänomene: Eine Überschall-Stoßwelle bildet sich aus, mehr als die eineinhalbfache Schallgeschwindigkeit kann der Gasstrom dabei erreichen. Die Ergebnisse sind auch für andere Anwendungen wichtig, bei denen es um Gasströmungen um ballistische Flugkörper bzw. Projektile oder Raketen geht.

    Die Stoßwelle aus der Flasche

    „Der Sektkorken selbst fliegt mit einer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit davon, er erreicht vielleicht 20 Meter pro Sekunde“, sagt Lukas Wagner, der Erstautor der Studie, der als Doktorand an der TU Wien sowie auch am AC2T forscht. „Das Gas, das dabei aus der Flasche herausströmt, ist aber viel schneller“, sagt Wagner. „Es überholt den Korken, strömt an ihm vorbei und erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 400 Metern pro Sekunde.“

    Das ist schneller als die Schallgeschwindigkeit. Der Gasstrahl durchbricht also kurz nach dem Öffnen der Flasche die Schallmauer – und das geht mit einer Stoßwelle einher. Normalerweise ändern sich Größen wie Druck und Temperatur in einem Gas kontinuierlich: Zwei Punkte, die sich nahe aneinander befinden, haben auch ungefähr den gleichen Luftdruck. Wenn aber eine Stoßwelle entsteht, ist das anders. „Dann kommt es zu Sprüngen in diesen Größen, zu sogenannten Unstetigkeiten“, sagt Bernhard Scheichl (TU Wien & AC2T), der Dissertationsbetreuer von Lukas Wagner. „Dann haben Druck oder Geschwindigkeit vor der Stoßwellenfront einen ganz anderen Wert als knapp dahinter.“

    Diese Stelle im Gasstrahl, an der sich der Druck abrupt verändert, wird auch als „Mach-Scheibe“ bezeichnet. „Ganz ähnliche Phänomene kennt man auch von Überschallflugzeugen oder Raketen, bei denen der Abgasstrahl mit hoher Geschwindigkeit aus den Triebwerken austritt“, erklärt Stefan Braun (TU Wien), von dem die ursprüngliche Idee für das Projekt stammt und der die Diplomarbeit von Herrn Wagner zum Thema betreute. Die Mach-Scheibe bildet sich zunächst zwischen Flasche und Kork und bewegt sich dann zurück, in Richtung Flaschenöffnung.

    Kurzfristig kälter als der Nordpol

    Nicht nur der Gasdruck, sondern auch die Temperatur ändert sich dabei schlagartig: „Wenn Gas expandiert, dann wird es kühler, das kennt man von Sprühdosen“, erklärt Lukas Wagner. Bei der Sektflasche ist dieser Effekt sehr stark ausgeprägt: Punktuell kann das Gas auf bis zu -130° C abkühlen. Dabei kann es sogar passieren, dass aus dem CO2, das den Sekt perlen lässt, winzige Trockeneis-Kristalle entstehen.

    „Dieser Effekt hängt davon ab, welche Temperatur der Sekt ursprünglich hatte“, sagt Lukas Wagner. „Unterschiedliche Temperaturen führen zu unterschiedlich großen Trockeneis-Kristallen, die dann Licht auf unterschiedliche Weise streuen. Dadurch entsteht unterschiedlich gefärbter Rauch. Im Prinzip kann man also an dieser Farbe die Sekttemperatur ablesen.“

    Korkenexpansion und Stoßwellen-Knall

    „Dass es beim Ploppen einer Sektflasche tatsächlich zu Überschallphänomenen kommt, war zunächst alles andere als klar, das würde man nicht unbedingt erwarten“, sagt Bernhard Scheichl. „Aber unsere Simulationen zeigen, dass sich das auf ganz natürliche Weise aus den Gleichungen der Strömungsmechanik ergibt, und unsere Ergebnisse stimmen mit den Experimenten sehr gut überein.“

    Der hörbare Knall beim Öffnen der Flasche ist eine Kombination aus unterschiedlichen Effekten: Erstens dehnt sich der Kork abrupt aus, sobald er die Flasche verlassen hat und erzeugt dadurch eine Druckwelle, und zweitens hört man die Stoßwelle, erzeugt durch den überschallschnellen Gasstrahl – ganz ähnlich dem bekannten aeroakustischen Phänomen des Überschnallknalles. Beides gemeinsam ist für den charakteristischen Klang des Sektkorken-Ploppens verantwortlich. Die Ausdehnung des Korkens wurde auf Basis der Experimente, die Herr Wagner bei AC2T durchführte, modelliert.

    Die Methoden, die nun entwickelt wurden, um die Rätsel rund um die Physik des Sektkorken-Knallens zu lösen, lassen sich auch auf andere verwandte Bereiche anwenden: Vom Abfeuern einer Pistolenkugel bis zum Start einer Rakete – in vielen technisch wichtigen Situationen hat man es mit sehr festen Strömungskörpern zu tun, die in starker Wechselwirkung mit einem viel schnelleren Gasstrom stehen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dipl.-Ing. Lukas Wagner
    Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
    Technische Universität Wien
    Lukas.Wagner@ac2t.at

    Privatdozent Dr. Bernhard Scheichl
    Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
    Technische Universität Wien
    +43 1 58801 32225
    bernhard.scheichl@tuwien.ac.at

    Prof. Stefan Braun
    Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
    Technische Universität Wien
    +43 1 58801 32223
    stefan.braun@tuwien.ac.at


    Originalpublikation:

    Lukas Wagner, Stefan Braun, Bernhard Scheichl,
    Simulating the opening of a champagne bottle,
    akzeptiert in: Flow (2023), 3 E40, doi:10.1017/flo.2023.34.
    frei zugängliche Version: https://arxiv.org/abs/2312.12271


    Bilder

    Stefan Braun, Lukas Wagner, Bernhard Scheichl
    Stefan Braun, Lukas Wagner, Bernhard Scheichl
    TU Wien
    TU Wien


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Maschinenbau
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Stefan Braun, Lukas Wagner, Bernhard Scheichl


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).