idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
27.12.2023 08:56

Künstliche Intelligenz als psychotherapeutische Unterstützung

Dr. Cristian Heuss Kommunikation
Universität Basel

    Künstliche Intelligenz kann Gefühle aufgrund von Gesichtsausdrücken in psychotherapeutischen Situationen verlässlich erkennen. Das zeigt eine Machbarkeitsstudie von Forschenden der Fakultät für Psychologie und der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) der Universität Basel. Das KI-System ist auch in der Lage den Therapieerfolg bei Borderline-Patientinnen und -Patienten zuverlässig vorauszusagen.

    Das Gesicht ist ein Spiegel für die Gefühlslage eines Menschen. Die Interpretation von Gesichtsausdrücken, zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie oder der psychotherapeutischen Forschung, kann deshalb gut charakterisieren wie sich ein Mensch gerade fühlt. Bereits in den 1970er-Jahren entwickelte der Psychologe Paul Ekmann ein standardisiertes Kodierungssystem, um einem Gesichtsausdruck auf einem Bild oder in einer Videosequenz, Basisemotionen wie Glück, Ekel oder Trauer zuzuordnen.

    «Das System von Ekman ist weit verbreitet und ein Standard in der psychologischen Emotionsforschung», sagt Dr. Martin Steppan, Psychologe an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel.

    Die Auswertung und Interpretation aufgezeichneter Gesichtsausdrücke im Rahmen eines Forschungsprojekts oder einer Psychotherapie sind aber extrem zeitaufwendig. Daher weichen Fachleute in der Psychiatrie oft auf wenig verlässliche indirekte Methoden aus wie etwa die Leitfähigkeitsmessung der Haut, die auch ein Gradmesser für emotionale Erregung sein kann.

    «Wir wollten herausfinden, ob KIs die Gefühlslage von Patientinnen und Patienten in Videoaufzeichnungen von Therapiesitzungen zuverlässig bestimmen können», sagt Martin Steppan, der die Studie zusammen mit Prof. em. Klaus Schmeck, PD Dr. Ronan Zimmermann und Dr. Lukas Fürer von den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) konzipiert hat. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im Fachmagazin «Psychopathology».

    KI entgeht kein Gesichtsausdruck

    Die Forschenden verwendeten dazu frei verfügbare künstliche neuronale Netze, die mithilfe von über 30'000 Gesichtsfotos auf die Erkennung von sechs Basisemotionen trainiert wurden: Glück, Überraschung, Ärger, Abscheu, Trauer, und Angst. Am Center for Scientific Computing der Universität Basel analysierte diese KI danach Videodaten der Therapiesitzungen von insgesamt 23 Borderline-Patientinnen und -Patienten. Insgesamt über 950 Stunden an Videoaufnahmen mussten die Hochleistungsrechner für diese Studie verarbeiten.

    Das Resultat war erstaunlich: Der statistische Vergleich zwischen der Auswertung von drei geschulten Therapeuten und der KI zeigten eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Die KI beurteilte die Gesichtsausdrücke so verlässlich wie der Mensch. Darüber hinaus erkannte die KI aber auch kürzeste Gefühlsregungen im Millisekunden Bereich, beispielsweise ein kurzes Lächeln oder einen Ausdruck von Ekel.

    Solche sogenannten 'Micro Expressions' können Therapeuten entgehen oder sie werden von diesen nur unbewusst wahrgenommen. Die KI ist somit in der Lage kurze Gefühlsregungen sensibler zu messen, als dies geschulten Therapeutinnen und Therapeuten möglich ist.

    Das Zwischenmenschliche bleibt wichtig

    Die KI-Analyse brachte zudem einen unerwarteten Befund. Patientinnen und Patienten, die zu Beginn einer Therapiesitzung emotionale Beteiligung zeigten und lächelten, brachen später die Psychotherapie seltener ab als Menschen, die sich gegenüber dem Therapeuten oder der Therapeutin unbeteiligt zeigten. Dieses «soziale» Lächeln könnte demnach ein guter Vorhersagewert für den Therapieerfolg bei einer Person mit einer Borderline-Symptomatik sein.

    «Es hat uns doch überrascht, dass relativ einfache KI-Systeme so robust Gesichtsausdrücke auf ihre Gefühlsregungen deuten können», sagt Martin Steppan.

    KI könnte sich damit zu einem wichtigen Hilfsmittel in Therapie und Forschung entwickeln. Bei der Untersuchung bereits bestehender Videoaufzeichnungen von Forschungsstudien könnten mit KI emotional relevante Momente in einer Gesprächsaufnahme einfacher und direkter aufgespürt werden. Diese Fähigkeit könnte auch die Supervision von Psychotherapeutinnen und -therapeuten unterstützen.

    «Die therapeutische Arbeit ist aber weiterhin in der erster Linie Beziehungsarbeit und bleibt eine menschliche Domäne», sagt Steppan. «Zumindest vorläufig.»


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Martin Steppan, Universität Basel, Fakultät für Psychologie, E-Mail: martin.steppan@unibas.ch


    Originalpublikation:

    Martin Steppan, Ronan Zimmermann, Lukas Fürer, Matthew Southward, Julian Koenig, Michael Kaess, Johann Roland Kleinbub, Volker Roth Klaus Schmeck
    Machine Learning Facial Emotion Classifiers in Psychotherapy Research: A Proof-of-Concept Study
    Psychopathology (2023), doi: 10.1159/000534811


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Informationstechnik, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).