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01.07.2004 10:56

RUB-Studie über die Selbstgleichschaltung der DFG im NS-Staat

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    In einem Akt des vorauseilenden Gehorsams schaltete sich die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) offenbar schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 selbst gleich und überprüfte Stipendienbewerber nach politischen und rassischen Kriterien. In seinem kürzlich erschienenen Buch "'Nur politisch Würdige' - Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937" geht PD Dr. Dr. Lothar Mertens von der Fakultät für Sozialwissenschaften der RUB den bislang unbeantworteten Fragen auf den Grund, wie die Forschungsförderung der DFG nach 1933 ablief, wer und welche Themen gefördert wurden und welche Kriterien bei der Stipendiatenauswahl eine Rolle spielten.

    Bochum, 01.07.2004
    Nr. 201

    Nur 'politisch Würdige' ...
    Keine Stipendien für jüdische Wissenschaftler
    Studie über die Selbstgleichschaltung der DFG im NS-Staat

    In einem Akt des vorauseilenden Gehorsams schaltete sich die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) offenbar schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 selbst gleich und überprüfte Stipendienbewerber nach politischen und rassischen Kriterien. In seinem kürzlich erschienenen Buch "'Nur politisch Würdige' - Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937" geht PD Dr. Dr. Lothar Mertens von der Fakultät für Sozialwissenschaften der RUB den bislang unbeantworteten Fragen auf den Grund, wie die Forschungsförderung der DFG nach 1933 ablief, wer und welche Themen gefördert wurden und welche Kriterien bei der Stipendiatenauswahl eine Rolle spielten. Viele aus heutiger Perspektive oft skurrile Auszüge aus den Bewerbergutachten runden das Buch ab und liefern Beispiele für die freiwillige Instrumentierung der DFG für den NS-Staat.

    Politische Zuverlässigkeit und 'rassische' Herkunft

    Jahrelang hat der Bochumer Zeithistoriker PD Dr. Dr. Lothar Mertens Archive durchforstet und fast 7.000 Förderakten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus den Jahren 1933 bis 1937 ausgewertet. Nun hat er Bilanz gezogen: Schon in den ersten Jahren der NS-Herrschaft hatte sich die DFG aus eigenem Antrieb selbst gleichgeschaltet. 1933/34 richtete sie eine Personalstelle ein, die alle Stipendienbewerber bei Partei wie auch Gestapo auf ihre politische Zuverlässigkeit und 'rassische' Herkunft überprüfte. Selbst ihr Privatleben wurde akribisch durchleuchtet. Auch stellte Mertens fest, dass sich die DFG aus freien Stücken in die NS-Kriegsplanungen einbeziehen ließ und dies sogar selbst angeboten hatte. Kein Wunder also, dass die Gesellschaft schon 1934/35 vermehrt kriegsrelevante Rüstungsforschungen und Untersuchungen finanziell unterstützte, die die Autarkiebestrebungen des NS-Staates vorantreiben sollten.

    Bereitwillige Instrumentierung

    So prägten vor allem politisch-völkische Aspekte die Stipendienvergabe der DFG im Dritten Reich. Schon im Frühjahr 1933, als sich die Ideologie des braunen Staates noch nicht in allgemeinen Vorschriften und Gesetzen eingenistet hatte, verweigerte die Gesellschaft jüdischen Wissenschaftlern die Unterstützung. Treue NSDAP-Mitglieder dagegen, die so genannten 'alten Kämpfer', durften sich über längere und meist höher dotierte Stipendien als unpolitische Wissenschaftler freuen. Die Beurteilung über einen der Bewerber spricht Bände: "Außerdem möchte ich erwähnen, dass über die Person seines Vaters das Gerücht im Umlauf ist, er sei jüdischer Abstammung" - wenn also nicht "dringende Gründe für eine Bewilligung vorliegen", sei ein Stipendium abzulehnen. So hat sich DFG bereitwillig für die zweifelhaften Ziele der Nationalsozialisten instrumentieren lassen. Das ausgeprägte vorauseilende Gehorsam der Organisation - vor allem während der Amtszeit des Nobelpreisträgers Johannes Stark (1934-36), einem glühenden Verehrer der 'arischen Physik' und entschiedene Gegner Einsteins und Heisenbergs - kam der NS-Führung entgegen.

    "Vergeudung des Volksvermögens"

    So bietet Mertens' Untersuchung dem Leser einen Einblick in die bisher unbekannte Förderpraxis der DFG im Dritten Reich. Er geht darauf ein, wie das wissenschaftliche Schaffen durch bevorzugte bzw. als 'unwichtig' abgestempelte Forschungsbereiche gesteuert wurde und wie das Personalamt die Funktion eines scharfen Wachhundes übernahm. In zahlreichen Zitaten und Textauszügen lässt er Verantwortliche und Betroffene selbst zu Wort kommen und beschwört so den Geist einer Zeit herauf, in der eine allgegenwärtige Ideologie das gesellschaftliche Leben untergrub. So lehnte die DFG etwa Stipendienbewerber ab, weil sie als "politisch wenig aktiv, Typ des indifferenten Wissenschaftlers, jedoch kein Gegner" beurteilt wurden; scheinbar unberechtigte Studien galten als "Vergeudung des Volksvermögens"; und denkende Frauen wurden mit dem Satz abgespeist: "Lieber zehn Pfund an Wissen weniger und zehn Kalorien an Charakter mehr!". Nicht zuletzt diese plastischen Details machen das Buch zu einer spannenden zeitgeschichtlichen Lektüre, die es zu lesen lohnt - auch und vielleicht gerade als Nicht-Historiker.

    Titelaufnahme

    Lothar Mertens (Hg.): "Nur politisch Würdige". Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937. 414 Seiten, 64,80 Euro, Akademie Verlag, München 2004, ISBN: 3-05-003877-2

    Weitere Informationen

    Lothar Mertens, Fakultät für Sozialwissenschaften der RUB, 44780 Bochum, Tel. 0170/4153703, E-Mail: Lothar.Mertens@rub.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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