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18.01.2024 13:34

Weltweit größte Koala-Stammbaum-Genomdatenbank soll den Bestand der gefährdeten Art schützen

Jan Zwilling Wissenschaftskommunikation
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.

    Ein internationales Forschungskonsortium unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) baut die größte Koala-Stammbaum-Genomdatenbank der Welt auf. Diese wird dabei helfen, die gefährdeten Koala-Bestände zu schützen, ihre Krankheiten besser zu verstehen und vorzubeugen und damit das langfristige Überleben der Koalas zu sichern. Eine große Herausforderung für diese Tiere ist beispielsweise das Koala-Retrovirus (KoRV), welches die Anfälligkeit für bakterielle Infektionen, Leukämie und andere Krebsarten erhöht. Alle Koalas in zoologischen Gärten in Nordamerika und Europa, aber auch nahezu alle wildlebenden Koalas in Australien, tragen dieses Virus in sich.

    Überlebenshilfe für Koalas: Die San Diego Zoo Wildlife Alliance, das kalifornische Forschungsunternehmen Illumina, die Universität Sydney, das Australian Museum Research Institute, die Universität Nottingham, das Leibniz-IZW und der ZooParc de Beauval in Frankreich wollen die gesundheitlichen Folgen der Koala-Viren verstehen und damit langfristig den Bestand der Art sichern. Fast alle Koalas – in ihren natürlichen Lebensräumen in Australien ebenso wie in zoologischen Gärten – sind auf natürliche Weise mit einem oder mehreren Retroviren infiziert, allen voran dem Koala-Retrovirus (KoRV). Bei einigen Koalas lösen diese Virusinfektionen schwere Krankheiten wie Krebs aus, die die Population gefährden. Wissenschaftler*innen aus mehreren biologischen und veterinärmedizinischen Disziplinen arbeiten weltweit zusammen, um das Verständnis von KoRV zu verbessern. Um zu wissen, wie Retroviren von Generation zu Generation übertragen werden und sich verändern, untersuchte ein Forschungsteam um die San Diego Zoo Wildlife Alliance in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-IZW fünf Generationen von Koalas im Zoo von San Diego und sequenzierte die Genome aller Individuen.

    Am Leibniz-IZW beschäftigt sich Prof. Alex D. Greenwood, Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten, seit vielen Jahren mit dem Retrovirus KoRV und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit von Koalas. „Wir haben zwar viel über Integrationen von KoRV- in das Genom der Körperzellen von Koalas und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit von wildlebenden Koalas gelernt, aber wir wissen immer noch nicht wirklich, wie KoRV von einer Generation zur nächsten übertragen wird, wie neue Integrationen von KoRV in das Koala-Genom entstehen und welche Integrationen für die Gesundheit der Koalas am bedeutendsten sind“, sagt Greenwood. Ganze Genome von wildlebenden Koalas seien bereits sequenziert worden, aber es fehlten Informationen über ihre Abstammung und ihren Gesundheitszustand. Das Koala-Genomprojekt der San Diego Zoo Wildlife Alliance soll diese neuen Informationen liefern.

    Die in menschlicher Obhut lebende Koala-Population in Nordamerika wurde zwischen 1976 und 1981 mit 14 Koalas aus Australien gegründet. Mehr als 40 Jahre später pflegt die San Diego Zoo Wildlife Alliance 30 Koalas – die größte Kolonie außerhalb Australiens. „Die Koalas in dieser Untersuchung sind Teil eines der umfassendsten Stammbäume weltweit, mit familiären Beziehungen, die in jahrzehntelanger sorgfältiger Betreuung und Pflege auch mithilfe von Biobanken zuverlässig dokumentiert wurden“, sagt David Alquezar, Ph.D., Manager des Australian Centre for Wildlife Genomics, Australian Museum Research Institute. „Die Untersuchung von KoRV-Integrationen in diesem 'geschlossenen System' verwandter Individuen bietet eine einzigartige Gelegenheit, die KoRV-Mobilität zu erforschen und die Auswirkungen dieser Integrationen auf die Krankheitsgeschichte einzelner Tiere zu beleuchten. Dies ist besonders wichtig für Koala-Populationen in menschlicher Obhut, in denen idealerweise ein Reservoir robuster und gesunder Individuen gezüchtet wird, die in künftigen Auswilderungen eingesetzt werden können.“

    „Für die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere ist eine entscheidende Frage, ob wir die Auswirkungen von KoRV-induzierten Krankheiten auf Koalapopulationen durch Tests und Zuchtprogramme reduzieren können“, so Dr. Rachael Tarlinton von der Fakultät für Veterinärmedizin und -wissenschaft der Universität Nottingham. Die meisten Viren werden durch Infektion „horizontal“ (zwischen verschiedenen Individuen innerhalb einer Generation) übertragen, sind also exogen. Sie injizieren ihren genetischen Code in die Körperzellen (somatische Zellen) eines Wirtsorganismus und veranlassen diese, Kopien des Virus herzustellen, die dann andere Wirtsorganismen infizieren können. Einige Viren injizieren ihren genetischen Code jedoch direkt in die Keimbahnzellen eines Wirtsorganismus, also in Spermien oder Eizellen. Wenn dies geschieht, kann das virale Erbgut zu einem dauerhaften Bestandteil des Genoms ihres Wirts werden: ein endogenes Virus, das nicht horizontal innerhalb einer Generation, sondern vertikal von einer (Wirts-) Generation zur nächsten übertragen wird.

    Die vertikale Übertragung von Retroviren ist ein relativ gängiger Vorgang, so die Forschenden. Alle lebenden Organismen, auch Menschen, haben retrovirale DNA in ihr eigenes Erbgut aufgenommen. So machen die Überreste von endogenen Retroviren acht Prozent des menschlichen Genoms aus. Bei den allermeisten Arten liegen diese viralen Integrationen jedoch Millionen von Jahren zurück und die DNA ist inzwischen so weit abgebaut, dass sie keine anderen Wirte mehr infizieren oder gesundheitliche Probleme verursachen kann. Das Koala-Retrovirus ist ein besonderer Fall. Es hat erst in den letzten 50.000 Jahren mit der Endogenisierung in Koalas begonnen. Auf einer evolutionären Zeitskala sei das praktisch gestern, so die Forschenden. Einige der KoRV sind noch exogene Subtypen und damit bei weitem nicht harmlos. Diese Subtypen bescheren wildlebenden sowie in menschlicher Obhut lebenden Koalas regelmäßig schwerwiegende Gesundheitsprobleme.

    „Wir wissen nicht, was mit dem Wirt passiert, wenn ein Retrovirus exogen ist und es zunächst zu einem relativ harmlosen Mitreisendem wird“, sagt Alex Greenwood. „Wir wissen auch nicht, wie sich das Virus in dieser Zeit verändert, um sich besser an den Wirt anzupassen, falls es überhaupt dazu kommt.“ Rachael Tarlinton fügt hinzu: „In einigen Fällen sind diese Viren auch vorteilhaft für ihre Wirte, indem sie die Genexpression verändern und neue genetische Vielfalt einführen. Wir wissen nur nicht, wie dieser Prozess abläuft und wie schnell sich die Veränderungen bei Wirt und Virus einpendeln.“

    Alle Koalas tragen ein hohes Krebsrisiko. Cora Singleton, leitende Tierärztin der San Diego Zoo Wildlife Alliance, erläutert: „Koalas sind sehr gut darin, frühe Stadien mancher Krebsarten zu verbergen. Sie können an einem Tag gesund erscheinen und am nächsten Tag plötzlich eine subtile Verhaltensänderung zeigen. Wir untersuchen dann Blut und Knochenmark und stellen oft fest, dass sie Krebs im Spätstadium haben.“ Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es keine adäquate Behandlung für die erkrankten Koalas.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
    Alfred-Kowalke-Straße 17, 10315 Berlin, Deutschland

    _ Prof. Dr. Alex D. Greenwood
    Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten
    Telefon: +49(0)30 5168255
    E-Mail: greenwood@izw-berlin.de

    _ Dr. Guilherme Neumann
    Wissenschaftler in der Abteilung für Wildtierkrankheiten
    Telefon: +49(0)30 5168455
    E-Mail: neumann@izw-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Kooperationen
    Deutsch


     

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